plauschen, Hühner auf der Straße picken und Händler Bob-Marley-T-Shirts und geschältes Zuckerrohr an die Kreuzfahrttouristen verkaufen. Von hier geht es mit der Fähre zur Südküste hinunter. Auf dem kurzen Stück zwischen den beiden Inseln rollen die Wellen ungebrochen vom Atlantik heran, sodass das Bootchen kräftig schaukelt, bis man den Schatten von Nevis erreicht.
Vom Meer aus gesehen ist Nevis ein tropisches Paradies, die Hänge steigen gemächlich aus den Wellen und werden immer steiler, bis sie in den Wolken verschwinden. Es sieht aus, als liege auf dem Gipfel Schnee, weshalb die ersten Spanier die Insel Nuestra Señora de las Nieves (Unsere liebe Frau des Schnees) nannten; die Engländer verballhornten den Namen und machten daraus Nevis.
Im 18. Jahrhundert nutzten die Briten Nevis als Umschlagplatz für Zucker und Sklaven. Hier kam auch Alexander Hamilton zur Welt, einer der Väter der Verfassung der Vereinigten Staaten, der es hier erstaunlicherweise zu einer Art Popikone gebracht hat. Während des 19. Jahrhunderts gewannen Kolonien mit mehr Einwohnern und besseren Transportverbindungen die Oberhand, und Nevis verlor gegenüber St. Kitts an Bedeutung. Zum Zeitpunkt der Unabhängigkeit war Nevis nicht einmal mehr ein verschlafenes Nest, und man muss es Barnard und seinen Offshore-Anwälten hoch anrechnen, dass sie die Insel überhaupt gefunden haben. Nördlich von Charlestown, der Miniaturhauptstadt von Nevis, befindet sich das Luxushotel Four Seasons, das 1990 eröffnet wurde und Nevis zu einem annehmbaren Urlaubsziel für die Superreichen machte. Nicht von ungefähr ist die Schnittmenge zwischen den betuchten Hotelgästen und den Kunden der Vermögensschutzdienstleister groß.
Für jeden, der sich ein wenig mit den Geschäften der Insel beschäftigt hat, ist ein Rundgang durch Charlestown ein sonderbares Erlebnis, denn hier drängen sich die nominellen Zentralen der an diesen Geschäften beteiligten Firmen. Der Briefkasten des Unternehmens, mit dem die Präsidentenfamilie von Aserbaidschan ihre Beteiligung an den Gold- und Mobilfunkunternehmen des Landes tarnt, befindet sich direkt gegenüber der Anlegestelle der Fähre. Zehn Meter weiter steht das Edith L. Solomon Building, dessen Schriftzug einige Buchstaben abhandengekommen sind: Hier hat ein skandalgebeutelter Kredithai aus Idaho seine Anschrift. In dreißig Meter Entfernung folgt das Büro von Morning Star, nomineller Sitz von Unternehmen, die allein in Großbritannien insgesamt 36 Immobilien besitzen, darunter ein Nobelobjekt im Londoner Stadtteil Mayfair mit Blick auf den Hyde Park. Insgesamt befinden sich mehr als dreihundert Immobilien in England und Wales in Besitz von Unternehmen, die als ihren Sitz eine Adresse in einem fußballplatzgroßen Areal auf Nevis angeben.
Besonders interessierten mich zwei Unternehmen, die demselben Geflecht angehörten wie zwei Konten in Litauen, mit deren Hilfe einige Milliarden Dollar aus Russland gewaschen worden waren. Journalisten, die die Operation 2014 aufdeckten, gaben ihr den Spitznamen »russischer Waschsalon«. Das Unternehmen gab als seine Anschrift Hamilton Development, Suite B in Charlestown an, genau wie die Nevis International Trust Company (NITC). Aber in der ganzen Stadt schien niemand zu wissen, wo sich dieses Gebäude befand. Daher erkundigte ich mich im Büro der Finanzaufsicht, und die Empfangsdame schickte mich den Berg hinauf.
So kam es, dass ich mich den Hang des erloschenen Vulkans hinaufschleppte. Die einzige Abwechslung auf dem einstündigen Fußmarsch waren ein paar Affen, die mich neugierig anglotzten. Als ich endlich an dem Ort ankam, den mir die Empfangsdame genannt hatte, hatte niemand eine Ahnung, wovon ich redete. Ich müsse wieder hinunter an die Küste, teilte man mir mit. Hamilton Development befinde sich an der Küstenstraße hinter dem Four Seasons. Aber auch dort hatte ich keinen Erfolg. Eine weitere Empfangsdame war so freundlich, die NITC in den Gelben Seiten nachzuschlagen und anzurufen. Die Angestellte, die ans Telefon ging, weigerte sich, mir die Adresse der NITC zu verraten oder mir Auskunft über die Unternehmen zu geben, nach denen ich sie fragte.
»Ich bin kein Einbrecher«, sagte ich schließlich.
»Das kann ja jeder sagen«, erwiderte sie. Und damit war das Gespräch beendet.
Auf der Suche nach Antworten auf allgemeinere Fragen verabredete ich mich mit Heidi-Lynn Sutton, oberste Finanzaufseherin von Nevis. Ihre Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass die Infrastruktur der Insel nicht von Kriminellen, korrupten Politikern und Steuerflüchtlingen missbraucht wird – keine unwichtige Aufgabe. Sie kam in Begleitung dreier Kollegen. Zu viert saßen sie mir an einem Konferenztisch gegenüber wie bei einem Vorstellungsgespräch.
Ich fragte, warum das Außenministerium der Vereinigten Staaten Nevis zuletzt so kritisch beurteilt habe. Das Amt für Internationalen Drogenhandel und Gesetzesvollzug gibt jedes Jahr einen Bericht zum Stand des internationalen Kampfs gegen Geldwäsche und Finanzkriminalität heraus. Der Bericht des Jahres 2017 beschrieb Nevis als »attraktiven Standort für Kriminelle, die ihre Einnahmen verbergen wollen«. Konkret kritisierte er die anonymen Konten und das Bankgeheimnis der Insel sowie Gesetze, mit denen sich die wahren Eigentümer der dort registrierten Firmen verschleiern lassen.
Sutton klang wie eine Lehrerin, die nur mit Mühe ihre Verachtung für einen besonders unterbelichteten Schüler verbergen kann. Die Informationen der amerikanischen Regierung seien veraltet, klärte sie mich auf. Das verwunderte mich, denn ich hatte den Eindruck, es sei allgemein bekannt, dass die Eigentümerschaft auf Nevis nicht transparent war. Um das zu unterstreichen, berichtete ich ihr von meinem Abenteuer auf der Suche nach den Unternehmen, die am russischen Waschsalon beteiligt waren. Sie schien amüsiert, dass ich derartige Mühen auf mich genommen hatte, nur um ein Bürogebäude zu finden. »Wozu brauchen Sie die Information?«, fragte sie mich. Als ich die gewaschenen Milliarden erwähnte, lachte sie mich aus. »Dazu kann ich nichts sagen. Dazu kann ich wirklich nichts sagen.«
Während der nächsten halben Stunde wies Sutton pauschal jede Kritik an Nevis zurück, die ich referierte. Die Beschwerden der amerikanischen Anwälte, es sei zwecklos, in Nevis einen Prozess anstrengen zu wollen, schien sie nicht nachvollziehen zu können. »Aber amerikanische Anwälte haben uns doch bei der Ausarbeitung der Gesetzgebung unterstützt. Das wundert mich jetzt sehr.«
Aber verhinderten einige der gesetzlichen Vorkehrungen nicht, dass Frauen im Falle einer Scheidung einen gerechten Anteil am gemeinsamen Vermögen erhielten? Oder dass Opfer von medizinischen Behandlungsfehlern angemessen entschädigt wurden?, fragte ich weiter. Fand sie es nicht unverhältnismäßig, dass Kläger 100.000 Dollar hinterlegen mussten, um überhaupt Klage einreichen zu können?
»In einigen Ländern sind die Leute extrem prozessfreudig. Wenn man sich bei McDonald’s ein bisschen verbrennt, weil man sich Kaffee über die Hand geschüttet hat, dann rennt man gleich vor Gericht. Wir sorgen nur dafür, dass die Leute beschützt werden und dass unsere Gerichte nicht mit überflüssigen Verfahren überflutet werden«, erklärte sie mir. Ich sah, wie ein Kollege einem anderen unter dem Tisch ein Zettelchen gab.
Ihre Gleichgültigkeit ärgerte mich. Also fragte ich Sutton, ob sie sich bewusst war, dass korrupte ausländische Politiker die Infrastruktur von Nevis missbraucht hatten (»Das behaupten Sie, aber das heißt nicht, dass das auch stimmt«). Ich nannte konkrete Beispiele: die Präsidentenfamilie Taiwans (»Das ist eine Behauptung«); der gestürzte Präsident der Ukraine (»Dazu kann ich Ihnen nichts sagen«); der russische Waschsalon (»Gibt es dazu ein Ermittlungsverfahren?«). Sie schien sich nicht dafür zu interessieren, dass wenige Meter von ihrem Büro entfernte Unternehmen an Diebstahl in beispiellosen Dimensionen beteiligt waren. Allmählich hatte ich das Gefühl, ich würde den Verstand verlieren.
»Das können Sie Nevis nicht anhängen. Das passiert doch überall auf der Welt«, erwiderte sie selbstbewusst. »Ich kann Ihre Behauptung nicht nachvollziehen, dass unsere Infrastruktur dazu verwendet worden sein soll, um irgendetwas zu ermöglichen. Das kann ich nicht akzeptieren. Dazu kann ich nichts sagen.«
Wenn hier alles so wunderbar ist, fragte ich, warum haben dann Leute dem französischen Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron ein Unternehmen auf Nevis angehängt, um ihn wie einen Kriminellen dastehen zu lassen? »Das kann ich Ihnen nicht sagen. Ich kann den Leuten ja nicht in die Köpfe schauen«, erwiderte sie. »Die Leute erfinden dauernd irgendwas.«
Ich hatte im Laufe der Jahre mit vielen Aufsichtsbeamten und Ermittlern gesprochen, aber jemand wie Heidi-Lynn Sutton war mir noch nie untergekommen. Meine früheren Gesprächspartner hatten zumindest ein gewisses höfliches Interesse an meinem Anliegen geheuchelt,