Oliver Bullough

Land des Geldes


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Zahn zu ziehen, die verhindern sollten, dass heißes Geld über die Grenzen floss. Außerdem mussten sie für ihr Produkt geschickt verschiedene Aspekte nationaler Regelwerke miteinander verbinden.

      Mit seinen juristischen Taschenspielereien schuf Fraser eine Anleihe, die gute Zinsen abwarf, auf die keine Steuern fällig wurden und die sich überall wieder zu Geld machen ließen. Das war Offshore in höchster Vollendung. »Das Geheimnis war, dass die Anleihen anonym waren, dass keine Steuern fällig wurden, und dass sie nach Fälligkeit ausgezahlt wurden, ohne dass jemand Fragen stellte«, schrieb er. Es handelte sich um sogenannte Inhaberschuldverschreibungen, das heißt, es war nicht auf einen Namen ausgestellt. Wer das Papier hatte, dem gehörte es, und der Eigentümer wurde nirgends namentlich registriert. Frasers Eurobonds waren reine Zauberei. Vor ihrer Erfindung konnte man mit den Guthaben auf Schweizer Nummernkonten nicht viel anfangen. Nun konnte man diese fantastischen Anleihen kaufen, und verdiente Geld, ohne Steuern dafür zahlen zu müssen.

      Ein derart ehrgeiziges Projekt hatte die Londoner City seit einem halben Jahrhundert nicht mehr gesehen, und einen Moment lang sah es so aus, als würde es an einer Lappalie scheitern: Niemand erinnerte sich, wie die komplizierten Platten gestochen wurden, mit denen Inhaberschuldverschreibungen gedruckt wurden. Zum Glück konnte man zwei Tschechen auftreiben, die das noch wussten, und dann mussten die Papiere nur noch von den Direktoren der Bank unterschrieben werden. »In Brüssel gab es eine Signiermaschine mit zwölf Federhaltern, mit der man zwölf Zertifikate auf einmal unterzeichnen konnte«, erinnerte sich Spira später. »Aber die Bank musste drei oder vier Leute eine Woche lang nach Luxemburg schicken, um die Papiere zu unterzeichnen. Da sehen Sie mal, wie bescheuert die Bürokratie damals war.«

      Und wer kaufte Frasers magische Erfindung? Das war ein Geheimnis, denn die Verkäufe wurden vor allem von Schweizer Banken abgewickelt, die die Namen ihrer Kunden nicht preisgaben. Fraser hatte jedoch eine ungefähre Vorstellung. »Die wichtigsten Käufer waren Einzelpersonen, vor allem aus Osteuropa, aber auch aus Lateinamerika, die einen Teil ihres Vermögens in transportabler Form anlegen wollten. Für den Fall, dass sie eilig wegmussten, wollten sie die Scheine in einem Köfferchen mitnehmen können«, schrieb er. »Damals wollten noch immer viele der überlebenden Juden aus Osteuropa nach Israel und in den Westen auswandern. Dazu kamen die üblichen gestürzten südamerikanischen Diktatoren. Sie alle hatten ihr Geld in der Schweiz.«

      Spätere Historiker versuchten, Frasers Darstellungen die Spitze zu nehmen, und behaupteten, die »gestürzten südamerikanischen Diktatoren« hätten lediglich ein knappes Fünftel der ersten Anleihen gekauft. Doch Fraser selbst hatte seine Darstellung schon verharmlost; die gestürzten Diktatoren mochten in Südamerika leben, doch das war nicht unbedingt ihre Heimat. Anfang der Sechzigerjahre lebten in Südamerika noch viele Menschen, die sich während des Zweiten Weltkriegs an der Plünderung Europas beteiligt, ihre Beute in der Schweiz versteckt und sich dann nach Argentinien abgeseilt hatten. Für die nationalsozialistischen Kriegsverbrecher muss es schon frustrierend gewesen sein, ihr Raubgut in der Schweiz zu haben und keine Zinsen dafür zu bekommen. Dank Ian Fraser hatten sie nun die Möglichkeit, ihr Geld risikolos und steuerfrei für sich arbeiten zu lassen.

      Die verbleibenden vier Fünftel der Schuldverschreibungen wurden von den üblichen Steuerhinterziehern gekauft – den »belgischen Zahnärzten«, wie die Banker sie nannten: gut verdienende Freiberufler, die einen Teil ihres Einkommens nach Luxemburg oder Genf gebracht hatten und sich über diese hübsche Anlagemöglichkeit freuten. Fraser konnte nicht so tun, als verwundere ihn das. In seinen Memoiren erinnerte er sich daran, wie »Onkel Eric« – Eric Korner, einer von Warburgs leitenden Bankern – einen Broker in Zürich hatte, den er immer anrief, wenn ein Unternehmen bessere Nachrichten zu verkünden hatte als erwartet. Korner stieg ein, ehe der Rest des Marktes davon erfuhr, verdiente auf Kosten seiner Klienten steuerfreies Schwarzgeld und vergrößerte zugleich den Schweizer Topf, mit dem neue Anleihen gekauft werden konnten.

      Das ist der Eingang zum Tunnel von Moneyland. Das Spiel geht so: Erst beschafft man Geld (ob gestohlen, unversteuert oder einfach nur verdient), dann versteckt man es, dann gibt man es aus. Früher waren nur zwei dieser drei Schritte möglich, aber nicht alle drei: Man konnte Geld beschaffen und ausgeben, doch das war riskant. Man konnte Geld beschaffen und verstecken, aber dann lag es in der Schweiz fest und man hatte nichts davon. Moneyland setzt das Vermögen frei, und es spielt keine Rolle, woher es kommt: Man kann es bis in alle Ewigkeit stehlen, verstecken und ausgeben. Das ist das schmutzige Geheimnis der Eurobonds. Möglich wurde das Ganze durch die moderne Kommunikation: erst das Telegramm, dann das Telefon, schließlich Telex und Fax, und heute E-Mail. Das ist die Schattenseite der Revolution der Nützlichkeit, die wir als Globalisierung bezeichnen.

      Das heißt nicht, dass es nicht Menschen mit einem berechtigten Wunsch nach Anonymität gibt. Wie Fraser klarmacht, waren unter den ersten Kunden auch europäische Juden, die ihr Vermögen vor den Nationalsozialisten in Sicherheit gebracht hatten und nun eine Möglichkeit sahen, ein paar Zinsen damit zu verdienen. Doch die Anonymität und Übertragbarkeit war nicht nur für Holocaust-Überlebende attraktiv, sondern auch für Zahnärzte in Antwerpen, Insiderhändler in London und Altnazis in Buenos Aires. In der Schweiz kam das rechtmäßige scheue Geld in einen Topf mit dem dreisten Schwarzgeld und mit dem kriminellen Raubgut. Die Eurobonds waren eine bequeme Geldanlage für alle, die Geld verstecken wollten, egal woher es kam.

      Damit war der Zaubergarten von Moneyland eröffnet. Clevere Londoner Banker hatten ein virtuelles Land für Reiche geschaffen, in dem die Gesetze keine Gültigkeit hatten, egal woher man kam, und egal woher das Geld kam. Gewöhnlichen Belgiern zog der Staat die Steuern gleich vom Monatsgehalt ab, aber Zahnärzte mit einem Schweizer Nummernkonto konnten diese Steuern nicht nur umgehen, sondern das gesparte Geld auch noch verzinsen. Die geplünderten Osteuropäer mussten schuften, um ihr Land wiederaufzubauen, während die Altnazis nicht nur das Raubgut behielten, sondern auch noch ein hübsches Sümmchen damit verdienten.

      Die Tatsache, dass Steuersünder der Ersten und Kleptokraten der Dritten Welt gemeinsam in Moneyland leben, macht es besonders schwer, dagegen vorzugehen, wie wir noch sehen werden. Das haben wir Ian Fraser und seinen Kollegen bei Warburg zu verdanken.

      Die erste Ausgabe der Schuldverschreibungen belief sich auf lediglich 15 Millionen Dollar. Aber sobald klar war, wie man die Hindernisse auf dem Weg des Offshore-Geldes umgehen konnte, war der Weg frei für neue Anleihen. In der zweiten Hälfte des Jahres 1963 wurden Eurobonds in Höhe von 35 Millionen Dollar verkauft. 1964 waren es 510 Millionen, 1967 überstieg der Betrag erstmals die Milliarde, und heute ist es einer der größten Märkte der Welt. Selbst amerikanische Unternehmen kehrten New York mit seinen lästigen Regeln den Rücken und gaben Eurobonds aus, auch wenn sie sich dazu neue Tricks ausdenken mussten, um staatliche Bemühungen zur Eindämmung des heißen Geldes zu umgehen. Ein günstiges Steuerabkommen zwischen den Niederlanden und den Vereinigten Staaten erlaubte es amerikanischen Unternehmen, durch ausschließlich zu diesem Zweck eingerichtete Niederlassungen auf den Niederländischen Antillen in der Karibik Kredite aufzunehmen, sodass sie keine Steuern zahlen mussten.

      Aber was bedeutete das für die sauber getrennten Tanks des Öltankers von Bretton Woods? Es war so, als hätten die Eigentümer des Öls ihre eigenen Pumpen eingerichtet und könnten nun ohne Erlaubnis und Wissen des Kapitäns das Öl von einem Tank zum anderen pumpen. Doch hier versagt die Metapher, denn Geld ist nicht gleich Öl. Die Dollars