Oliver Bullough

Land des Geldes


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Beispiele aus möglichst vielen Ländern zusammengestellt, um klarzumachen, wie allgegenwärtig Moneyland ist. Zunächst beschreibe ich, wie Moneyland funktioniert und wie kleine Länder davon leben, ihre Gesetzgebung an den Interessen von Moneyland auszurichten. Dann beschreibe ich, was passiert, wenn die Mächtigen Moneyland nutzen, um sich selbst zu bereichern; dazu erzähle ich die Geschichte eines Krankenhauses in der Ukraine, die im Kleinen veranschaulicht, was in aller Welt passiert.

      Drittens zeige ich, wie Moneyland seine Einwohner und ihren Reichtum schützt, wie es ihnen Pässe verkauft, wie es sie vor den neugierigen Fragen der Journalisten schützt, und wie es verhindert, dass die wahren Eigentümer ihr gestohlenes Vermögen zurückbekommen. In Moneyland kann man ungestraft morden.

      Viertens zeige ich, wie die Moneylander das Geld ausgeben, das sie dort gebunkert haben – für Kleidung, Immobilien, Kunstwerke und so weiter –, und was ihre zunehmend schamlose Prunksucht mit dem Rest der Welt anstellt. Die Verschwendung der Superreichen nimmt inzwischen derart gewaltige Ausmaße an, dass sich ein eigener Wissenschaftszweig mit ihr beschäftigt, die sogenannte Plutonomie.

      Und schließlich beschreibe ich, wie Staaten versuchen, sich zu wehren. Ich schildere, wie die Vereinigten Staaten versuchten, gegen Schweizer Banken vorzugehen, und wie schlaue Anwälte und Banker dies als Chance nutzten, um Moneyland stärker und sicherer denn je zu machen. Das mag kein hoffnungsvoller Ausblick sein, doch wenn der erste Schritt zur Lösung eines Problems darin besteht, es überhaupt zu erkennen, dann sind wir vielleicht jetzt auf einem guten Weg.

      Die Recherchen zu diesem Buch haben sich nicht einfach gestaltet. Moneyland ist gut bewacht und gibt seine Geheimnisse nur widerwillig preis. Es stellt auch alle unsere Annahmen über die Welt auf den Kopf. Moneyland verursacht Schwindelgefühle, was auch daran liegen könnte, dass seine Existenz so vieles erklärt, wenn man sie einmal erkannt hat. Warum fahren so viele Schiffe unter ausländischer Flagge? Weil Moneyland den Eignern erlaubt, die Arbeitsschutzgesetze ihrer Heimat zu unterlaufen. Warum bauen Russen lieber Milliarden Dollar teure Brücken als Schulen und Krankenhäuser? Weil sie 10 Prozent der Baukosten stehlen und das Geld in Moneyland bunkern können. Warum leben Milliardäre in London? Weil sie dank Moneyland dort keine Steuern zahlen müssen. Warum wollen so viele korrupte Ausländer in New York investieren? Weil Moneyland ihr Vermögen dort vor dem Zugriff der Gerichte schützt.

      Bei meiner Beschreibung von Moneyland und seinen Anfängen, Entwicklungen, Strukturen und Verteidigungsstrategien stütze ich mich überwiegend auf eigene Recherchen, aber auch auf die Arbeit von Ausschüssen des amerikanischen Kongresses, Nichtregierungsorganisationen wie Global Witness oder Transparency International, Wirtschaftswissenschaftlern und vielen anderen. Eines muss ich allerdings immer wieder betonen: Was ich hier beschreibe, ist keine Verschwörung. Moneyland wird nicht von einem Erzbösewicht beherrscht, der in einem Ledersessel sitzt und eine weiße Katze streichelt. Wenn jemand Moneyland kontrollieren würde, dann ließe sich das Problem ganz einfach aus der Welt schaffen. Die Wirklichkeit ist viel komplizierter und heimtückischer: Moneyland ist das natürliche Produkt einer Welt, in der Geld frei fließt und Gesetze am Schlagbaum enden, und in der man von der Ausnutzung der daraus resultierenden Verwerfungen gut leben kann. Wenn die Steuern in Jersey niedrig und in Großbritannien hoch sind, dann kann man daran verdienen, wenn man das Vermögen seiner Klienten von Großbritannien nach Jersey verlegt. Dasselbe gilt auch für den Rest der Welt: Jedes Land hat eigene Regeln und Gesetze.

      Moneyland hat mehr Ähnlichkeit mit einem Ameisenhaufen als mit einer herkömmlichen Organisation. Die Ameise folgt keinen Anweisungen, sie hat keine Vorgesetzten, die sie aussenden, um Grassamen ins Nest zu bringen. Es gibt keine Ameisenpolizei, die alle verhaftet, die Grassamen für sich behalten, und keine Ameisenrichter, die sie dafür ins Gefängnis stecken. Die Ameisen reagieren einfach in berechenbarer Weise auf bestimmte Reize ihrer Umwelt. Auch in Moneyland reagieren Anwälte, Banker und Politiker in berechenbarer Weise. Wenn irgendwo ein Gesetz verabschiedet wird, das Reichen in irgendeiner Weise einen Vorteil verschafft, dann sorgen die Dienstleister von Moneyland dafür, dass die Superreichen in den Genuss dieses Gesetzes kommen, egal wo es gilt. Den Schaden haben alle anderen. Wenn man eine Ameise zerdrückt oder einen korrupten Anwalt verhaftet, machen die anderen einfach unbeirrt weiter. Deshalb müssen wir das gesamte System verändern, und das ist nicht einfach.

      Daher beginne ich mit der Beschreibung von den Anfängen von Moneyland, das mit der Auflehnung gegen frühere Bestrebungen der Demokratisierung der Welt begann. In den finsteren Tagen des Zweiten Weltkriegs sahen sich die Alliierten einer Bedrohung für die freie Welt gegenüber, die größer war als alles zuvor Dagewesene. Ihre Antwort war der Aufbau einer Finanzarchitektur, die die Demokratie für alle Zeiten sichern sollte. Nie wieder sollte eine demokratisch gewählte Regierung durch Feinde bedroht werden. Der Versuch scheiterte, und damit beginnt die Geschichte von Moneyland.

      KAPITEL 2

      UNTER PIRATEN

      NACH DEM ERSTEN WELTKRIEG funktionierte die Welt ungefähr so wie heute, wenn auch mit weniger technischer Raffinesse. Das Geld floss mehr oder weniger nach dem Belieben seiner Besitzer zwischen den Ländern hin und her, und auf der Suche nach Erträgen brachte es Währungen und Wirtschaften aus dem Gleichgewicht. Die Reichen wurden reicher, während die Wirtschaft vor die Hunde ging. Deshalb verdanken wir den Dreißigerjahren sowohl Zärtlich ist die Nacht als auch Früchte des Zorns, sowohl Lust und Laster als auch Erledigt in Paris und London. Das Chaos führte schließlich zur Machtübernahme von Diktatoren in Deutschland und anderen Ländern, zu einer Spirale aus Währungsabwertungen und Zinserhöhungen, zu Handelskriegen und schließlich zu den Schrecken des Zweiten Weltkriegs mit seinen Abermillionen Toten.

      Nach dem Willen der Alliierten sollte es nie wieder so weit kommen. 1944 trafen sie sich daher zu einer Konferenz im Wintersportort Bretton Woods in New Hampshire, um die Einzelheiten einer internationalen Währungsordnung auszuhandeln und unkontrollierte Geldströme ein für alle Mal abzustellen. Damit sollte verhindert werden, dass Staaten den Handel als Waffe gegen ihre Nachbarn missbrauchten und Banker mit der Aushöhlung der Demokratie Geschäfte machten. Die erzwungene Stabilität sollte Kriege in Zukunft schon im Vorfeld verhindern und ein neues System des Friedens und der Stabilität schaffen. Die Alliierten blickten auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurück, die sich (zumindest im Westen) durch freien Handel und eine stabile Weltordnung auszeichnete. Damals basierte das Währungssystem auf dem Goldstandard. Der Wert einer Währung hing von der Größe der Goldreserven eines Landes ab, die mit dem Handelsvolumen wuchsen oder schrumpften, sich damit auf die Geldmenge und Preise auswirkten und das Gleichgewicht erhielten.

      Allerdings ließ sich der alte Goldstandard nicht wiederbeleben, denn 1944 befand sich der Großteil der weltweiten Goldvorräte in den Vereinigten Staaten. Also mussten sich die Delegierten etwas anderes ausdenken. Der britische Vertreter John Maynard Keynes sprach sich für eine neue internationale Währung aus, an die alle anderen Währungen geknüpft sein sollten. Sein amerikanischer Kollege Harry Dexter White war jedoch skeptisch: Er wollte nicht hinnehmen, dass der Dollar seine Stellung als wichtigste Währung der Welt verlor. Da die Vereinigten Staaten zu diesem Zeitpunkt das einzige zahlungsfähige Land der Welt waren, setzte er sich schließlich durch: Alle Währungen wurden an den Dollar geknüpft, und der wiederum basierte auf Gold. Eine Unze Feingold sollte 35 Dollar kosten.

      Soweit der Grundgedanke des Systems. Das Finanzministerium der Vereinigten Staaten verpflichtete sich, jeder ausländischen Regierung, die mit 35 Dollar in der Hand anklopfte, eine Unze Gold zu geben. Außerdem wollten die Vereinigten Staaten Dollar in ausreichender Menge bereitstellen, um den internationalen Handel zu ermöglichen, und genug Gold vorhalten, damit der Dollar seinen Wert behielt. Man brauchte keine Edelmetalle, wenn der Dollar Gold wert war.

      Auch die anderen Länder machten Zusagen. Wenn sie ihre Währung auf- oder abwerten wollten, würden sie dazu die Zustimmung eines neuen Organs einholen, das den Namen Weltwährungsfonds erhielt. Damit sollte verhindert werden, dass Diktatoren ihre Währung manipulierten,