wie sie Wiktor Janukowytsch und nach Ansicht von Sonderermittler Mueller auch Paul Manafort verwendet haben?
Auf der Karte von TI brennt die Ukraine tiefrot, auf der Korruptionsskala steht sie auf Platz 131 und ist damit neben Russland das korrupteste Land Europas. Doch ohne britische Briefkastenfirmen hätte Janukowytsch sein Vermögen niemals auf die Seite schaffen können. Warum steht dann Großbritannien neben Deutschland und Luxemburg auf einem sauberen zehnten Platz der Liste? Paul Manafort versteckte sein Geld in Banken und Unternehmen auf Zypern und St. Vincent, doch die stehen auf den relativ guten Plätzen 47 und 35. Die Vereinigten Staaten, wo das Geld schließlich endete, stehen sogar auf dem 18. Platz.
Wenn ukrainische Politiker für ihre krummen Touren auf die Mithilfe anderer Länder angewiesen sind, warum werden ihre Betrügereien dann ausschließlich auf dem Konto der Ukraine verbucht? Wenn sich Anwälte aus Großbritannien und Zypern den ukrainischen Lumpen andienen, womit verdienen ihre Länder dann ihren Ruf als ehrliche Makler? Geld kennt keine Grenzen. Es ist lange her, seit Staatsgrenzen den Fluss des Geldes behinderten. In Kiew kann ich genauso mit meiner britischen Kreditkarte bezahlen wie in Kalifornien, Cambridge oder St. Kitts. Das heißt natürlich nicht, dass es die Grenze nicht mehr gibt. Die ukrainischen Ermittler haben ihre liebe Not, an Beweise aus dem Ausland heranzukommen, und Ermittlern in anderen Ländern geht es nicht besser. Geld kennt keine Grenzen, aber Gesetze schon. Die Reichen leben global, wir Übrigen in engen Grenzen.
Zusammen mit einigen Kollegen versuche ich aufzuzeigen, was das bedeutet. Mein Freund Roman Borisovich hat sich dazu die Londoner Kleptokraten-Tour ausgedacht: Mit einem roten Doppeldeckerbus klappern wir nicht die üblichen Touristenziele ab, sondern die Immobilien russischer Oligarchen, arabischer Diktatoren, nigerianischer Provinzfürsten und anderer korrupter Politiker, die ihr Vermögen in den Ländern am unteren Ende der TI-Liste gemacht haben und es in den Ländern am oberen Ende verstecken.
In unseren Bus passen zwar nur fünfzig Leute, doch das Ziel ist einfach: Wir wollen den Schleier fortziehen, der den Missbrauch des internationalen Finanzsystems verhüllt. Es soll niemand mehr sagen können, er habe von nichts gewusst.
Ein Ort, den wir gern besuchen, ist der Eaton Square, eine der vornehmsten Adressen Londons, ein prächtiges Rechteck cremefarbener Stadtpaläste hinter schulterhohen schmiedeeisernen Gittern. Im Januar 2017 stieg eine Gruppe von Aktivisten, die sich Autonomous Nation of Anarchist Libertarians nennen (womit sie sich das hübsche Akronym ANAL verdient haben), durch ein offenes Fenster in Eaton Square 102 ein und öffnete das Haus als Obdachlosenunterkunft. Das Gebäude ist riesig, die Säulen der Fassade erinnern an einen griechischen Tempel. Als ich ankam, flatterte an einem seiner Fahnenmasten eine schwarze Fahne, und auf dem Balkon stand ein bärtiger Anarchist und rauchte. Er rief herunter, was ich wolle, und versprach, sofort herunterzukommen.
Ein älterer Herr in violetten Cordhosen und Barbour-Jackett, der Zeuge unseres Gesprächs geworden war, überquerte mit seiner Frau die Straße, um mir mitzuteilen, dass ich »Dreck« sei. Als der bärtige Anarchist zur Tür herauskam, hörte er gerade noch den Schluss unseres freundlichen Wortwechsels und grinste mich an. Er war Ungar. Er führte mich eine Treppe hinunter in den Keller und von dort durch einen Notausgang in einen Raum, der einmal ein Kino gewesen war. Ihr Einspruch gegen den Räumungsbescheid war gerade abgewiesen worden, erklärte er mir, und er werde ausziehen. Er habe allerdings nichts dagegen, wenn ich mich ein wenig umsehe. Der Fußboden war mit edlem Parkett ausgelegt, die Treppen führten hinauf zu ins Dach eingelassenen Laternen. Ein Saal führte in den nächsten. Das Graffiti an den Wänden änderte nichts an der Tatsache, dass hier jemand ein hübsches Eigenheim erstanden hatte.
Dieser Jemand war Andrej Gontscharenko, Manager einer Tochtergesellschaft des russischen Gaskonzerns Gazprom, der zwischen 2011 und 2014 eine Reihe von Immobilien im Westen Londons gekauft hatte. Mit einem Kaufpreis von 15 Millionen Pfund war das Haus am Eaton Square noch das popeligste, was vermutlich auch der Grund war, warum er es leer stehen ließ. »Uns geht es darum, auf die große Zahl der leer stehenden Häuser in London hinzuweisen und dafür zu sorgen, dass sie nicht verfallen, während immer mehr Leute auf der Straße leben«, erklärte Jed Miller, einer der Anarchisten, als er im Januar 2017 vor Gericht aussagte. »Diese Offshore-Unternehmen, die so viele leer stehende Gebäude in London besitzen, benutzen sie nur als Abschreibungsobjekte. Deswegen fehlt viel Geld für wichtige staatliche Leistungen.«
Man muss kein Freund von Hausbesetzungen sein, um zu erkennen, dass Miller recht hat, und dass er sich für einen Anarchisten noch erstaunlich gemäßigt äußert. Er verlangt lediglich, dass die Immobilien der Reichen derselben staatlichen Kontrolle unterliegen wie die aller anderen auch, was heute nicht der Fall ist. Neben Gontscharenkos Palast gehören 85 weitere Gebäude an diesem Platz anonymen Gesellschaften, die niemandem verraten, wer der wahre Eigentümer ist – auch nicht dem Finanzamt. Etwa dreißig Eigentümer sind im Handelsregister der Britischen Jungferninseln eingetragen, dreizehn auf Guernsey, sechzehn auf Jersey. Andere befinden sich in Panama, Liechtenstein, der Isle of Man, Delaware, den Kaimaninseln, Liberia, den Seychellen, Mauritius und – Manaforts Liebling – St. Vincent. Gontscharenko bevorzugte Gibraltar als Standort für sein Unternehmen MCA Shipping. In England und Wales gehören mehr als 100.000 Immobilien solchen Offshore-Unternehmen, genau wie die Besitzungen von Janukowytsch und Manafort.
Wenn irgendwann einmal jemand den Londonern die Frage stellen sollte, die ich Anton gestellt habe – Wieso haben Sie nicht bemerkt, was da vor sich ging? –, dann werden auch sie antworten, dass sie es schließlich nicht wissen konnten. Jedes dieser Gebäude könnte irgendeinem Verbrecher gehören, aber das lässt sich von außen leider nicht erkennen. Für eine Wohnung, die sich gleich über eine Etage von zwei benachbarten Gebäuden erstreckt, bezahlte Cane Garden Services Ltd., ein im Handelsregister der Britischen Jungferninseln eingetragenes Unternehmen, 13 Millionen Pfund. Diese Luxus-Briefkastenfirma nennt als Adresse ein Wettbüro an der Caledonian Road, einer schäbigen Durchgangsstraße im Norden Londons, an der man eher einen Drogendealer als einen teuren Anwalt vermuten würde. Ob da eine Alarmglocke schrillen sollte? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Jedenfalls löst es wieder dieses Schwindelgefühl aus. Wenn man einmal auf diese Alarmglocken horcht, hört man sie überall. Die Häuser mit den Nummern 85 und 102 gehören Offshore-Unternehmen, die als Sitz dieselbe Anschrift in Hongkong angeben. Das Unternehmen aus Liberia, dem die Nummer 73 gehört, ist im Handelsregister von Monaco eingetragen. Eine Wohnung in der Nummer 86 gehört der Panoceanic Trading Corporation, einem Unternehmen aus Panama, das seinen Namen aus einem Thriller der Sechzigerjahre geborgt zu haben scheint. So dumm kann doch kein Ganove sein? Oder ist das vielleicht ein doppelter Bluff?
Auf unserer Kleptokraten-Rundfahrt besuchen wir an einem Nachmittag in der Regel sechs oder sieben Immobilien. Das heißt, wenn wir nur die Offshore-Besitzungen am Eaton Square abklappern wollten, wären wir zwei Wochen lang unterwegs. Dann würden wir uns die umliegenden Straßen vornehmen, in denen der Offshore-Anteil auch nicht kleiner ist. Alle sind sie Teil eines dichten Filzes der Irreführung und Täuschung, der ganz Großbritannien überzieht und weit darüber hinausreicht. Bevor unsere große Rundfahrt endet, müssten wir wieder von vorn anfangen. Selbst diejenigen von uns, die sich gern einreden, dass sie das alles durchschauen, tappen im Dunkeln.
Die reichen Nomaden, denen diese Immobilien gehören, nutzen die Tatsache, dass Geld keine Grenzen kennt, das Gesetz aber sehr wohl: Sie suchen sich aus, an welche Gesetze sie sich halten wollen. In Großbritannien muss man den Eigentümer einer Immobilie offenlegen, aber wenn dieselbe Immobilie in Mauritius eingetragen ist, muss man das nicht. Natürlich kostet es Geld, sein Vermögen so anzulegen, aber wenn man es sich leisten kann, erkauft man sich damit eine Anonymität, die niemand sonst im Land genießt.
Je mehr ich mich damit beschäftigte, umso klarer wurde mir, dass dies nicht nur auf Eigentum zutrifft. Ein syrischer Flüchtling wird durch die internationalen Einreisebestimmungen ganz erheblich in seiner Reisefreiheit eingeschränkt. Ein reicher Syrer kauft sich dagegen einfach einen Pass von St. Kitts und Nevis, Zypern oder einem halben Dutzend anderer Länder, und schon stehen ihm alle Grenzen offen. Ein ukrainischer Normalbürger ist dem korrupten und ineffizienten Justizsystem seines Landes ausgeliefert. Ein reicher Ukrainer kann seine Geschäfte dagegen so einrichten, dass sie britischem Recht unterliegen, und kommt in den Genuss einer ehrbaren und effizienten Justiz. Ein nigerianischer Normalbürger muss klaglos hinnehmen,