wurden grenzüberschreitende Geldströme stark reglementiert. Man konnte Geld im Ausland anlegen, aber ausschließlich in Form langfristiger Investitionen, nicht zur kurzfristigen Spekulation mit Währungen oder Staatsanleihen.
Stellen Sie sich zur Veranschaulichung einen Öltanker vor. Wenn das Schiff nur einen einzigen großen Tank hat, dann kann das Öl in immer größeren Wogen hin und her schwappen, bis es das gesamte Schiff zum Kentern bringt. Dieses Bild steht für das System nach dem Ersten Weltkrieg, als die Wellen des spekulativen Geldes zum Untergang der Demokratien beitrugen. In Bretton Woods erfanden die Delegierten nun ein neues Schiff, in dem das Öl auf viele kleinere Tanks verteilt war, wobei jeder Tank für ein Land stand. Die Ölmenge blieb dieselbe, sie wurde nur anders verteilt. Die Flüssigkeit konnte in den kleinen Tanks herumschwappen, aber dort würde sie nicht mehr genug Schwung entwickeln, um das ganze Schiff zu gefährden. Und wenn ein Tank ein Leck bekam, dann wäre nicht mehr die gesamte Fracht bedroht. Es war möglich, Öl von einem Tank in den anderen zu pumpen, aber dazu war die Erlaubnis des Kapitäns erforderlich, und das Geld musste durch die offiziellen Pumpen des Schiffs gepumpt werden (womit die Metapher endgültig an ihre Grenzen stößt).
Wer die Finanzwelt kennt, wie sie sich seit den 1980er-Jahren darstellt, der kann sich das System von Bretton Woods kaum vorstellen, denn seither hat sich die Finanzwelt von Grund auf verändert. Unentwegt fließt Geld von einem Land ins andere, auf der Suche nach Investitionsmöglichkeiten in China, Brasilien, Russland oder wo auch immer. Ist eine Währung überbewertet, dann spüren die Investoren ihre Schwäche und umkreisen sie wie Haie einen kranken Wal. In globalen Krisenzeiten flüchtet sich das Geld in sichere Häfen wie Gold oder amerikanische Staatsanleihen. Zu Boomzeiten bläht es anderswo die Börsenkurse auf und sucht rastlos nach besseren Erträgen. Die Wellen des flüssigen Kapitals sind so gewaltig, dass sie selbst starke Staaten fortreißen könnten. Konzertierte Angriffe von Spekulanten auf den Euro, den Rubel oder das Pfund, wie wir sie in den vergangenen Jahrzehnten erlebt haben, wären unter dem System von Bretton Woods unvorstellbar gewesen, denn das war darauf ausgelegt, genau so etwas zu verhindern.
Eine der vielleicht besten Beschreibungen dieses längst vergessenen Währungssystems stammt aus dem James Bond-Roman Goldfinger von Ian Fleming, der 1959 erschien. Der gleichnamige Film hat eine andere Handlung, doch in beiden geht es um einen sowjetischen Agenten, der das westliche Finanzsystem zum Einsturz bringen will, indem er sich an den Goldreserven vergreift. Im Roman schickt »M«, der Chef des britischen Geheimdienstes, Bond zur Bank von England, wo dieser einen Colonel Smithers kennenlernt (»Colonel Smithers sah exakt so aus, wie man sich jemanden mit dem Namen Colonel Smithers vorstellen würde«). Smithers soll verhindern, dass Gold aus England ins Ausland geschmuggelt wird.
»Gold und goldgestützte Währungen sind das Fundament des internationalen Finanzgeschäfts«, erklärt Smithers 007. »Wir wissen nur, wie stark das Pfund ist, und andere Länder wissen das nur, wenn wir wissen, wie viele echte Werte hinter unserer Währung stehen.« Das Problem ist nur, dass die Bank von England nicht bereit ist, mehr als 1000 Pfund für einen Goldbarren zu zahlen, was dem Preis von 35 Dollar pro Unze in den Vereinigten Staaten entspricht, und das, obwohl das Gold in Indien, wo die Nachfrage nach Goldschmuck hoch ist, 70 Prozent mehr einbringt. Es ist daher extrem gewinnträchtig, Gold außer Landes zu schmuggeln und im Ausland zu verkaufen.
Der Schurke Auric Goldfinger hat einen teuflischen Plan: Er will alle Pfandleiher in ganz Großbritannien aufkaufen, den Goldschmuck der Briten horten, ihn zu Tafeln schmelzen, diese in seinen Rolls-Royce einbauen, damit in die Schweiz fahren, sie dort umschmelzen und dann nach Indien bringen. Damit will er nicht nur die britische Währung und Wirtschaft untergraben, sondern mit den Gewinnen will er gleichzeitig Kommunisten und andere Missetäter finanzieren. Ein Sechstel der 3000 Mitarbeiter der Bank von England hat die Aufgabe, Betrügereien wie diese zu verhindern, erklärte Smithers, doch Goldfinger sei einfach zu gerissen für sie. Inzwischen sei er der reichste Mann Großbritanniens, in einem Banktresor auf den Bahamas stapele er Goldbarren im Wert von 5 Millionen Pfund.
»Das Gold gehört England, oder zumindest das meiste davon. Die Bank kann nichts dagegen unternehmen. Deswegen wollen wir, dass Sie Mr. Goldfinger das Handwerk legen, Mr. Bond, und das Gold zurückholen. Sie haben von der Währungskrise und den hohen Zinsen gehört? Natürlich. Also, England braucht das Gold dringend, je schneller umso besser.«
In dieser etwas langatmigen, aber unverzichtbaren Einleitung (Spoiler-Warnung: Bond schafft es tatsächlich, Goldfinger zu überwinden, doch zuvor legt er sich mit der Mafia von Chicago an, verhindert einen Überfall auf Fort Knox und verführt eine Lesbe, »die sich vorher noch nie mit einem Mann getroffen hat«) wirft Colonel Smithers eine philosophische Frage auf, die uns in das Innerste des Systems von Bretton Woods führt. Aus heutiger Sicht könnte man Goldfinger nichts zur Last legen, außer vielleicht, dass er Steuern hinterzieht. Er kauft das Gold zu einem Preis, den die Kunden akzeptieren, und verkauft es auf einem anderen Markt, auf dem sie mehr zu zahlen bereit sind. Es war sein Geld. Es war sein Gold. Er ölte das Getriebe des Handels und investierte das Kapital in effizienter Weise da, wo es den größten Ertrag erbrachte, oder etwa nicht?
Nein, denn so funktionierte Bretton Woods nicht. In den Augen von Colonel Smithers gehörte dieses Gold eben nicht nur Goldfinger, sondern auch Großbritannien. Für das System war der Besitzer des Geldes nicht der Einzige, der darüber zu entscheiden hatte, was damit passierte. Nach den ausgeklügelten Regeln hatten auch die Nationen, die das Geld ausgaben und seinen Wert hüteten, ihre Rechte daran. Um eine Wiederholung der Schrecken der Weltwirtschaftskrise und des Zweiten Weltkriegs zu verhindern, hatten die Alliierten in Bretton Woods beschlossen, dass beim internationalen Handel das Recht der Gesellschaft über dem der Reichen stand.
Das war nur eine von vielen Vorkehrungen, die in den Dreißiger- und Vierzigerjahren getroffen wurden, um Vollbeschäftigung, Stabilität und Wohlstand zu sichern. In den Vereinigten Staaten schob die Gesetzgebung des New Deal der Spekulation einen Riegel vor, und in Großbritannien und anderen westlichen Ländern garantierte der Wohlfahrtsstaat die medizinische Versorgung und kostenlose Schulbildung für alle. Diese Neuerungen waren erstaunlich erfolgreich: Während der Fünfziger- und Sechzigerjahre erlebte der Westen ein nahezu ungebrochenes Wirtschaftswachstum, die Infrastruktur und Volksgesundheit verbesserten sich dramatisch. Das war allerdings nicht ganz billig und wurde mit Steuergeldern finanziert: Beatlesfans erinnern sich an George Harrisons »Taxman«, den Steuereintreiber, der 19 Shilling einsteckte und ihm nur einen einzigen ließ. Das entsprach tatsächlich ziemlich genau dem, was das Finanzamt von den Einnahmen der Beatles behielt. Für die Reichen war es nicht einfach, ihr Geld vor dem Zugriff des Finanzamts in Sicherheit zu bringen – dank der Einzeltanks des Öltankers. Steuern ließen sich kaum vermeiden, es sei denn man wechselte den Wohnsitz (wie die Rolling Stones, die nach Frankreich zogen, um Exile on Main Street aufzunehmen).
Was man von dem innovativen Tanker hielt, hing davon ab, ob man zu den Leuten gehörte, die Steuern zahlten, oder zu denen, die in den Genuss eines noch nie da gewesenen Lebensstandards kamen. Die Beatles und die Rolling Stones konnten dem jedenfalls nicht viel abgewinnen, genauso wenig wie Rowland Baring, ein Spross der Dynastie der Barings Bank, Dritter Earl von Cromer und von 1961 bis 1966 Direktor der Bank von England. »Die Kontrolle der Wechselkurse stellt einen Eingriff in die Rechte der Bürger dar«, schrieb er 1963 an die britische Regierung. »Daher halte ich sie für ethisch falsch.« Seiner Ansicht nach sollten die Bürger mit ihrem Geld machen können, was sie wollten, und die Regierung dürfe ihre Rechte, dieses Geld im Ausland anzulegen, nicht beschneiden. Den neuen Öltanker hielt er für einen Irrweg. Kapitäne sollten das Öl nicht daran hindern dürfen, dahin zu schwappen, wo sein Besitzer es haben wollte, egal wie sehr es das Schiff beutelte.
»M« sah das interessanterweise genauso. Im Roman Goldfinger erklärt er James Bond, er verstehe gar nicht, wovon Colonel Smithers da rede. »Ich persönlich würde meinen, dass die Stärke des Britischen Pfunds davon abhängt, wie viel wir alle arbeiten, und nicht davon, wie viel Gold wir haben«, sagt er mit der Überheblichkeit eines Mannes, der glaubt, seine Ansichten stünden über der Politik. »Aber diese Antwort ist wahrscheinlich zu einfach für Politiker. Oder eher zu kompliziert.« Diese Ansicht war auch in der City of London verbreitet, wo die Banker glaubten, die Bewertung einer Anlage solle dem Markt überlassen werden, und nicht der Politik.
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