Indikator für psychische Gesundheit. Wird der Selbstwert bedroht, folgt eine Stressreaktion. Für Semmer ist der Angriff auf das Selbst das Kernelement im Stresserleben. Stressoren treten in einem sozialen Kontext auf (z. B. dem Arbeitskontext). Der soziale Kontext verleiht Stressoren eine zusätzliche Bedeutung. Semmer unterscheidet „Stress through Insufficiency“ (Stress, der durch Versagenserleben ausgelöst wird) und „Stress through Disrespect“ (Stress, der durch Respektlosigkeit ausgelöst wird).
„Stress through Insufficiency” wird durch Misserfolge ausgelöst, die internal als selbst verursachte Fehler interpretiert werden. Diese internale Attribution von Misserfolg führt zu einer Abwertung des persönlichen Selbstwerts. „Stress through Disrespect“ ist ein Angriff auf den sozialen Selbstwert der Mitarbeiter, ausgelöst durch mangelnden Respekt und geringe Wertschätzung. Mangelnder Respekt kann durch direkte illegitime Verhaltensweisen anderer, illegitime Stressoren oder illegitime Aufgaben erlebt werden. Beim expliziten Ausdruck von Missachtung wird der Angriff auf den sozialen Selbstwert der Mitarbeiter besonders deutlich. Es ist die Illegitimität der Handlung anderer Organisationsmitglieder, die als soziale Stressoren eine Stressreaktion hervorruft. Dazu gehören beispielsweise persönliche Beleidigungen, jemanden vor anderen bloßzustellen oder ein unhöfliches ungerechtfertigtes Feedback. Aber auch aufgaben- und arbeitsbezogene Stressoren können als „illegitim“ bewertet werden, obwohl keine direkte soziale Beteiligung erkennbar ist. Der Stressor wird in der Bewertung seiner Ursache als mangelnde Beachtung von legitimen Bedürfnissen der Mitarbeiter interpretiert. Beispielsweise wird durch regelmäßige Computerabstürze (ein aufgabenbezogener Stressor) Stress ausgelöst, weil dies die Aufgabenerledigung behindert. Wenn Mitarbeiter darüber hinaus diese Situation so bewerten, dass sich die Organisationsleitung nicht ausreichend für gut funktionierende Arbeitsgeräte einsetzt und es egal ist, wie gut oder schlecht man täglich arbeiten kann, dann erhält dieser Computerabsturz eine zusätzliche illegitime soziale Bedeutung, es handelt sich um einen illegitimen Stressor. Schließlich können illegitime Aufgaben im Vergleich zu legitimen Aufgaben Stressreaktionen deutlich verstärken. Bei illegitimen Aufgaben handelt es sich um zugeteilte Aufgaben, die in Abgrenzung zu den Kernaufgaben entweder als unangemessen oder unnötig wahrgenommen werden. Zu jedem Beruf zählen Aufgaben, die grundsätzlich stressend sind (z. B. Zeitdruck in einem Sekretariat, der Umgang mit Toten und Verletzten bei einem Polizeieinsatz oder die Versorgung von Schwerkranken in einem Krankenhaus). Solche Stressoren sind unveränderlich mit dem Berufsbild verbunden. Die Bewältigung solcher Aufgaben bestätigen die eigene berufliche Identität, machen zufrieden, sind eine interne Belohnung und damit selbstwertsteigernd. Oben wurde bereits gezeigt, wie die gesundheitsförderliche Wirkung von Challenge Stressoren über die positive Selbstwertbestätigung der sozialen Berufsrolle vermittelt wird (Widmer et al., 2012). Polizeibeamte, die bei einer extremen Einsatzlage viele Stunden eingesetzt sind, bestätigen ihre berufliche Kernidentität und werden sich kaum über lange Arbeitszeiten beschweren. Werden sie hingegen aufgefordert Überstunden zu machen, um für eine Controllingmaßnahme Daten zu erfassen, wird es wahrscheinlicher sein, dass sie sich beschweren („dafür bin ich nicht zur Polizei gegangen“), weil sie diesen Auftrag als illegitim bewerten. In einer Studie fragten Semmer und Kollegen (Semmer, Jacobshagen & Meier, 2006) Berufstätige nach ihren Aufgaben und ließen diese im Anschluss einschätzen, bei welchen davon sie glauben, dass sie a) von jemand anderem erledigt werden sollten (diese wurden von den Forschern im Anschluss als „unangemessen“ klassifiziert) oder b) bei denen man sich fragt, ob sie überhaupt erledigt werden müssen (diese wurden von den Forschern im Anschluss als „unnötig“ klassifiziert). Insgesamt wurden ein Drittel aller genannten Aufgaben als illegitim bewertet. Dabei waren bei den als Primäraufgaben klassifizierten Aufgaben (z. B. Unterrichten bei Lehrern) nur 10 % der Aufgaben als illegitim bewertet worden, während bei den Sekundäraufgaben (z. B. Formulare zu Dokumentationszwecken ausfüllen) nahezu zwei Drittel der Aufgaben als illegitim eingeschätzt worden waren. Ein standardisierter Fragebogen dieser Forschergruppe zu illegitimen Aufgaben zeigt, dass der Stressor illegitime Aufgaben wie erwartet mit Wohlbefinden negativ korreliert und dass er über die negativen Effekte von aufgabenbezogenen und sozialen Stressoren auf Wohlbefinden hinaus einen zusätzlichen negativen Effekt auf das Wohlbefinden hat (Jacobshagen, Liechti, Stettler & Semmer, 2009).
Stress und Ressourcen
Ressourcen spielen im Stressgeschehen eine entscheidende Rolle. Die bedeutende Rolle von Ressourcen im Stressgeschehen bei Menschen wurde schon von Selye erkannt, wobei er sich in seiner tierexperimentellen Forschung auf die generelle Wirkung von Stressoren im Allgemeinen Adaptionssyndrom konzentrierte (Szabo et al. 2012). Im transaktionalen Stressmodell (Lazarus & Folkmann, 1984) wird postuliert, dass die Bewertung von Stressoren und ihre kurz und langfristigen Folgen von den Bewältigungsfähigkeiten und Bewältigungsmöglichkeiten der Person abhängen. Ausgehend von nachfolgend konzipierten Stressmodellen ist die Rolle von Ressourcen im Stressprozess mittlerweile empirisch sehr gut belegt worden. Zapf und Semmer (2004) haben herausgearbeitet, wie Ressourcen an verschiedenen Stellen des Stressgeschehens ihre gesundheitsförderliche Wirkung entfalten. Empirische Arbeiten zum Zusammenhang von Stressoren, Ressourcen und Stressfolgen zeigen, dass ein Stressor besonders dann negative Effekte auf Gesundheit und Wohlbefinden hat, wenn zu wenig Ressourcen zur Stressbewältigung zur Verfügung stehen (Bakker, Demerouti & Euwema, 2005; Bakker, Hakanen, Demerouti & Xanthopoulou, 2007). Dieser Moderationseffekt lässt sich zum einen damit erklären, dass Ressourcen ein Sicherheitssignal darstellen, das die negative Bewertung des Stressors als bedrohlich oder schädigend abschwächen kann, und zum anderen dadurch, dass Ressourcen bei der konkreten Stressbewältigung helfen, weil sie Bewältigungsmöglichkeiten und Strategien zur Verfügung stellen. Eine erfolgreiche Adaptionsleistung führt dann in der Folge zu geringeren Stressfolgen und wirkt sich positiv auf das Wohlbefinden aus. Darüber hinaus zeigen empirische Befunde, dass Ressourcen auch direkt positiv auf Gesundheit und Wohlbefinden der Mitarbeiter wirken (Crawford, Lepine & Rich, 2010). Dieser Effekt lässt sich aus der selbstwertsteigernden Wirkung von Ressourcen ableiten (so zeigen beispielsweise Karriereentwicklungsmöglichkeiten, dass ich in der Organisation mit meinen Fähigkeiten und Kompetenzen geschätzt werde), aus der Funktionalität von Ressourcen für die Befriedigung persönlicher Ziele (so verschafft mir beispielsweise eine Gehaltserhöhung die Möglichkeit, einen langgehegten Konsumwunsch zu erfüllen) und aus dem Wert von Ressourcen an sich (z. B. der Erholungsurlaub bietet Freiräume und Entspannungsmöglichkeiten). Schließlich können Ressourcen bereits die Auftretenswahrscheinlichkeit für Stressoren reduzieren. So wirken sie indirekt auf Gesundheit und Wohlbefinden, weil durch eine Reduzierung der Stressoren auch geringere negative Effekte auf Gesundheit und Wohlbefinden folgen. So können Mitarbeiter mit hohem Handlungsspielraum einen weiteren Arbeitsauftrag möglicherweise ablehnen und dadurch die Arbeitsdichte reduzieren. Negative Korrelationen zwischen Ressourcen und Stressoren finden sich in einer Metaanalyse (Crawford et al., 2010).
In einer aktuellen Konzeption werden die Erkenntnisse zum Zusammenwirken von Stressoren und Ressourcen im Job Demands-Ressources Model (Bakker & Demerouti, 2007; Demerouti, Bakker, Nachreiner & Schaufeli, 2001) zusammengefasst. Die bis dahin einflussreichen Stressoren-Ressourcen Modelle, wie beispielsweise das Job-Demand-Control Model von Karasek (1979), das Effort-Reward-Imbalance Model von Siegrist (1996) und das Conservation of Ressources Model von Hobfoll (1998, 2001)
haben spezifische Kombinationen von Stressoren und Ressourcen als verantwortlich für das Entstehen von Stress und dessen negative Folgen für Gesundheit und Wohlbefinden herausgestellt. Das Job Demand-Ressources Model definiert hingegen allgemein Stressoren und Ressourcen und bietet damit die Möglichkeit, berufsspezifische Kombinationen von Stressoren und Ressourcen in ihrer Wirkung empirisch zu untersuchen (siehe Tabelle 1).
Tabelle 1
Zusammenfassung der Stress-Resourcen-Modelle
Modellname | Ressourcen | Quelle |
Transaktionales Stressmodell | Bewältigungsfähigkeiten und Bewältigungsmöglichkeiten der Person | Lazarus & Folkmann (1984) |
Job Demands-Ressources Model | Zusammenfassung der Erkenntnisse zum Zusammenwirken von Stressoren und Ressourcen,
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