Walter Thaler

Erinnerungswürdig


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Thurwieser. Wegen seiner umfassenden Bildung, aber auch durch seine alpinistischen Erfolge, seine meteorologischen Erkundungen sowie seine sonderbare Aufmachung ist er in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in der Landeshauptstadt allseits bekannt. Mit seinem blauen Frack, seinen Schnallenschuhen und seinem schwarzen Filzhut mit dem Edelweißsträußchen stellt er eine besondere Attraktion dar.

      Da Peter Karl Thurwieser für die Landwirtschaft oder ein Handwerk zu schwächlich ist, wird der in Kramsach in Tirol Geborene (damals zum Fürsterzbistum Salzburg gehörig) an die Universität Innsbruck zum Studium der Theologie geschickt. Im Jahr 1810 tritt er in das Priesterhaus in Salzburg ein, wo er im September 1812 zum Priester geweiht wird. Vor allem das Studium der Mathematik und der orientalischen Sprachen (Hebräisch, Chaldäisch, Aramäisch und Arabisch) faszinieren ihn. Er übernimmt zunächst die Katechetenstelle in Mülln, später wird er Hilfspriester in Bergheim und Siezenheim.

      Im März 1820 wird er als Professor des Bibelstudiums des Alten Testaments und der orientalischen Sprachen an das Lyceum, das an die Stelle der 1810 von den Bayern aufgelösten Universität getreten ist, berufen. In dieser Funktion wirkt er 43 Jahre. In diesen mehr als vier Jahrzehnten widmet er sich intensiv den mathematischen Wissenschaften, der Meteorologie mit einer präzisen Aufzeichnung der Salzburger Wetterverhältnisse und den orientalischen Sprachen. Vom Salzburger Erzbischof Friedrich Fürst zu Schwarzenberg erhält er die Kustodenstelle an der Salzburger Kollegienkirche. Da die Uhr dieser Kirche sehr unpräzise ist, versucht er sie zur Verlässlichkeit zu bringen, was ihm aber misslingt. Da die Uhr dieser Kirche sehr unpräzise läuft, wird zu Thurwiesers Zeit ein unpünktlicher Mensch in der Stadt auch als „Collegi-Uhr“ bezeichnet (Nora Watteck). Thurwieser versucht, das Uhrwerk zu mehr Verlässlichkeit zu bringen, was ihm aber misslingt.

      Als Priester und Wissenschafter ist er in der ganzen Stadt hoch geachtet. Als Mensch lebt er in äußerster Bescheidenheit und trägt bis zu seinem 60. Lebensjahr keinen Mantel und verwendet keinen Regenschirm. Zudem ist er bekannt für seine Wohltätigkeit, da er stets mittellose Studenten finanziell unterstützt.

      In einer Zeit, da die Gebirge von den Menschen nicht nur als unwirtliche Gegend, sondern auch als Sitz von verwunschenen Seelen und bösen Geistern betrachtet werden, beginnt Thurwieser die Alpen planmäßig zu ersteigen und zu erforschen. So wird er zum Erstbesteiger des Hochkönigs über die Übergossene Alm zum Gipfel (1826), des Ankogels, des Dachsteins (1834) und der Watzmann-Südspitze sowie Drittbesteiger des Ortlers (1838). Eine der Ortlerspitzen trägt seither den Namen Thurwieser-Spitze. Das Gasteinertal, das Zillertal und die Berge des Berchtesgadener Landes sowie der Tiroler Alpen und die Dolomiten sind seine bevorzugten alpinistischen Ziele.

      Dabei trägt der kleingewachsene Theologe immer seine barometrischen Geräte mit. Nur wenn er steile Felsen erklettern muss, legt er seinen blauen Frack ab, der ihm auch bei Übernachtungen im Gelände als Wärme- und Wetterschutz dient. Bei seinen Touren trägt er als Nahrungsmittel gebackene Zwetschken und hartgesottene Eier mit, von denen er sogar ein Dutzend auf einmal verzehren kann. Zum Schutz gegen die Sonnenbestrahlung hängt ein grüner Schleier von seinem Filzhut herab. Wegen seiner sonderbaren Erscheinung jagt er den Sennen auf den Almen, die noch keine Touristen zu sehen bekommen haben, Furcht ein. Bei seinen Gipfelbesteigungen lässt er zumeist selbst gefertigte Feuerwerkskörper und Knallfrösche explodieren, was ihm den Ruf eines Hexers oder Zauberers einträgt.

      Viele seiner Bergtouren unternimmt er in Gesellschaft hochstehender Persönlichkeiten, so oftmals mit Erzherzog Johann und mit dem Erzbischof Kardinal Schwarzenberg. Seine alpinistischen Erkundungen und Erfahrungen, die als Meisterstücke touristischer Schilderungen gelten, veröffentlicht er sodann in der Zeitschrift des Innsbrucker Ferdinandeums und im „Salzburger Amts- und Intelligenzblatt“. Den Gaisberg besteigt Thurwieser während seines Lebens 480 Mal.

      Sein Tod erscheint gerade wegen seiner bergsteigerischen Meisterleistungen als grotesker Unglücksfall. Denn als er vom Dachboden des Imhofstöckls an der Nordseite des Mozartplatzes aus seinen Hühnern nachjagt, stürzt er am 28. Jänner 1865 vom Dach. Er stirbt im Alter von 76 Jahren an den Folgen dieses Sturzes. Sein Aussehen, seine wissenschaftlichen Tätigkeitsbereiche und seine allseitige Bekanntheit tragen ihm zu Lebzeiten schon die Spitznamen „Wetterfrosch“ und „Gamspeter“ ein.

      FRANZ STELZHAMER

      1802–1874

      Der gefeierte Mundartdichter bediente gefährliche Klischees

      Für Oberösterreich ist Franz Stelzhamer der bedeutendste Mundartdichter des 19. Jahrhunderts und Schöpfer der Landeshymne. Übersehen wird, dass er viele Jahre seines Lebens – vor allem seine Studienzeit und die letzten 18 Jahre seines Lebens – in Salzburg verbringt, in Henndorf stirbt und dort begraben liegt. Seine zärtliche Schilderung der Innviertler Heimat und seine behutsame Annäherung an die kleinen Dinge des Lebens dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass er in seinem familiären Dasein rücksichtslos und in seinen politischen Anschauungen als grausamer Antisemit auftritt.

      Stelzhamer wird am 29. November 1802 im Weiler Großpiesenham im Innviertel als Sohn der Kleinhäuslerfamilie Johann und Maria Stelzhamer geboren. Dem Wunsch seiner Eltern gemäß soll er Priester werden und wird deshalb an das Gymnasium zu St. Peter (heute: Akademisches Gymnasium) nach Salzburg geschickt. Bereits seine zwei älteren Brüder studieren dort ohne entsprechenden Erfolg. Franz aber erweist sich rasch als Primus der Klasse und darf als „Informator“ seinen Mitschülern Nachhilfe erteilen, was als Auszeichnung gewertet wird. Als sein Bruder Peter wegen „Teufelsbündelei“ im Peterskeller der Schule verwiesen wird, kommt es jedoch zu einem raschen Leistungsabfall. Dazu dürfte auch seine Liebe zu der Kaufmannstochter Antonie Nicoladoni beigetragen haben, die er in seinem in Hochdeutsch verfassten Gedichtzyklus „Liebesgürtel“ verherrlicht. Er betätigt sich auch als Mitbegründer der „Rhetoriker“, einer Vereinigung dichtender Gymnasiasten, die später von der Polizei verboten wird. Nach der letzten Gymnasialklasse verlässt er Salzburg und beginnt in Graz, wo sein Bruder Peter inzwischen lebt, das Studium der Rechtswissenschaften, das er dann in Wien fortsetzt.

      Da ihn die Not plagt und er immer wieder erkrankt, versucht er sich als Hauslehrer und beginnt, Gedichte in Mundart zu schreiben. Als die Gedichte durch seinen Freund Eduard Zöhrer vertont werden, wird er in Oberösterreich sehr rasch populär. Den literarischen Durchbruch schafft er 1837 mit seinem Band „Lieder in obderenns’scher Volksmundart“, die von der literarisch interessierten Öffentlichkeit in Oberösterreich begeistert aufgenommen werden. Am bekanntesten ist das Gedicht „s’Hoamatgsang“, das ihn zum gefeierten Heimatdichter werden lässt und 1952 im oberösterreichischen Landtag zur oberösterreichischen Landeshymne erkoren wird: „Hoamatland, Hoamatland/di han i so gern/wiar a Kinderl sein Muader/a Hünderl sein Herrn […]“

      1838 kehrt er nach Oberösterreich zurück und wird in Linz als Journalist tätig. Wegen der Popularität seiner Mundartgedichte kann er ab 1842 Vortragsreisen durch Österreich und Bayern absolvieren und wird in den Münchner Künstler- und Adelskreisen gefeiert. 1845 heiratet er die aus Böhmen stammende Näherin Betty Reis und übersiedelt mit ihr nach Ried im Innkreis. Aus dieser Ehe geht die Tochter Carolina hervor. Als die Revolution 1848 ausbricht, ist er wie die meisten Zeitgenossen ein begeisterter Verfechter, wendet sich jedoch bald davon ab. Von nun an gelingt es ihm nicht mehr, im österreichischen Literaturbetrieb zu reüssieren. Da die Familie von Geldsorgen geplagt wird, verlegt er seinen Wohnsitz nach München, weil er dort bessere Einkommenschancen sieht.

      In München schreibt er das „Bunte Buch“ (1852), das neben anderen sehr reaktionären Texten auch den Essay „Jude“ enthält. Einem fiktiven Erzähler unterschiebt er darin seine politische Zielvorstellung von der Vernichtung der Juden:

      „In alle Welt zerstreut, schlingt er [Anm. d. Verf.: der Jude] sich, ein Riesenbandwurm, um die Ernährungsorgane eines jeden kultivierten Staatskörpers […] Die Völker ringen um Vorrang und Macht, die Völker wetteifern in Kunst und Wissenschaft, in Entdeckung und Erfahrung, die Völker opfern Gut und Blut für Fürst und Vaterland; der Jude sieht zu, zufrieden, dass er heute oder morgen, da oder dort seinen Bandwurmrüssel, gleichviel, an die offene Wunde, oder an die Errungenschaft anlegen kann und – saugen“ (zit. nach