Walter Thaler

Erinnerungswürdig


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Jahrhunderte später werden die Nachfahren der protestantischen Salzburger Aussiedler*innen genau in diesem Gebiet Ostpreußens an der Nordsee erneut zu Emigrant*innen. Denn in den Märztagen 1945 wird die Schlacht von Heiligenbeil (heute: Mamonowo) zu einer der letzten großen Kesselschlachten des Zweiten Weltkrieges. Im Rahmen der Schlacht um Ostpreußen wird die 4. Armee von den sowjetischen Truppen mit dem Rücken zum zugefrorenen Haff eingeschlossen. Diese deutsche Armee hatte es im Winter 1944/45 geschafft, die Zivilbevölkerung Ostpreußens zu einem großen Teil über das gefrorene Haff nach Westen zu schleusen. Doch nun sind sie von den deutschen Truppen abgeschnitten und von der russischen Armee eingekesselt. In einem zweimonatigen Kampf im März und April 1945 fallen 80 000 deutsche Soldaten oder werden verwundet, 50 000 kommen in russische Gefangenschaft.

      Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges werden die Landkreise, in denen die Salzburger Protestant*innen eine neue Heimat gefunden haben, als russische Enklave aus dem alten deutschen Gebiet ausgegliedert und als Enklave Kaliningrad zu einem russischen Sperrgebiet erklärt. Für die verbliebene deutsche Bevölkerung (ca. 25 000 Menschen), die gegen Kriegsende nicht vor den Russen in den Westen fliehen können, besteht zunächst ein Ausreiseverbot. Ihre Vertreibung beginnt erst auf Befehl Stalins vom 11. Oktober 1947. Bis 1992 ist die Enklave Kaliningrad (Oblast Kaliningrad) für westliche Besucher*innen gesperrt. So sind die Nachfahr*innen der Salzburger Exulant*innen mehr als 200 Jahre später wieder zu Vertriebenen geworden. Als Erinnerung an ihre Verbundenheit mit der ursprünglichen Heimat wird von der Sektion Königsberg des Deutschen Alpenvereins im Jahr 1927 in 1 630 Metern Höhe direkt vor dem Massiv des Hochkönigs die Ostpreußenhütte errichtet.

      FRANZ MICHAEL VIERTHALER

      1758–1827

      Salzburgs erster großer Schulreformer

      Franz Michael Vierthaler wird wegen seiner umwälzenden Schulreformen mit Fug und Recht als einer der größten Pädagogen Österreichs eingestuft. Es ist die Zeit der Aufklärung, in die Vierthaler hineinwächst. Den alten Autoritäten der Kirche und der königlichen Macht wird nun die Vernunft gegenübergestellt. Ausgehend vom französischen Philosophen René Descartes gehen Voltaire und Jean-Jacques Rousseau von konkretem Wissen und freiem Denken aus. Rousseau fordert in seinem Werk „Émile oder Über die Erziehung“ in Vorwegnahme der Französischen Revolution das Prinzip der Gleichheit.

      Im Sinne der Aufklärung löst Vierthaler in Salzburg das Schulwesen aus der Hörigkeit der Kirche und des Militärs und führt als erster eine geregelte Lehrerausbildung ein. Mit seinen Standardwerken zur Pädagogik und seinen zahllosen philosophischen und geografischen Schriften übt er einen großen Einfluss auf die gesamte Bildungspolitik des Habsburgerreiches aus. Durch sein Wirken als Direktor des Waisenhauses in Wien, das 2 500 Zöglinge betreut, verbessert er die medizinische und hygienische Versorgung und wird zum Vorbild für die im 20. Jahrhundert entstehenden Kinderdörfer.

      Vierthaler wird am 25. September 1758 als fünftes Kind des Maurermeisters und Stuckateurs Jakob und seiner Gattin Maria Anna Vierthaler in Mauerkirchen im bayerischen Innviertel geboren, wo er die Pfarrschule besucht. Wegen seiner schönen Singstimme empfehlen ihn der örtliche Pfarrer und seine beiden geistlichen Onkel dem Benediktinerstift Michaelbeuern als Sängerknabe. Dort kommt er erstmals mit der lateinischen Sprache in Kontakt, für die er zeit seines Lebens Begeisterung zeigt. Ein Jahr später tritt er zu den fürsterzbischöflichen Sängerknaben in Salzburg über und wird Schüler des mit der Benediktineruniversität verbundenen Gymnasiums. Später setzt er seine Studien im bayerischen Burghausen fort. Im Herbst 1775 inskribiert er an der Universität Salzburg. Zu Beginn des Studiums muss er die zweijährige philosophische Fakultät absolvieren, die für alle weiteren Studien als Vorstufe verpflichtend ist. Er wählt sodann die juridischen Fächer, obwohl seine Vorliebe den klassischen Sprachen und der Geschichte gilt.

      Eine Zeitlang versucht er sich als Dramatiker und kann sein Trauerspiel „Der englische Spion“ mit Erfolg im Salzburger Hoftheater aufgeführt sehen. Als am Kollegium Virgilianum, einem Institut für junge Adelige zur Erklärung und Wiederholung des universitären Lehrstoffes, eine Instruktorenstelle frei wird, bekommt er diese. Doch als ihm kurz darauf ein Theologe als erster Instruktor vorgesetzt wird, verlässt er das Institut und widmet sich erneut der schriftstellerischen Tätigkeit. Schon bald erscheint der erste Band seines siebenteiligen Werkes „Philosophische Geschichte der Völker und Menschen“ (1787).

      In der Habsburgermonarchie hat Maria Theresia 1774 mit ihrer „Allgemeinen Schulordnung“ maßgebliche Schulreformen durchgeführt und die Unterrichtspflicht auf alle Schichten der Bevölkerung ausgeweitet. Es ist dies die erste Maßnahme für eine verpflichtende und egalitäre Grundschulbildung. Daher erkennt es auch der geistliche Landesfürst Hieronymus Graf Colloredo im Fürsterzbistum Salzburg als Notwendigkeit, eine moderne leistungsfähige Staatsbürokratie einzurichten. Diese führt über die Ausweitung der Bildung und die Einbeziehung bürgerlicher Akademiker anstatt bloß adeliger Funktions- und geistlicher Würdenträger in die Staatsführung. Eine verpflichtende Grundschulbildung für breite Bevölkerungsteile ist dafür die wesentlichste Voraussetzung. Der Nützlichkeitsgedanke überwiegt dabei die Vorteile einer humanistischen Bildung. Das Haupthindernis für eine tiefgreifende Änderung liegt in der mangelnden pädagogisch-didaktischen Ausbildung der Lehrer. Daher kommt die von Colloredo eingesetzte Schulreformkommission zur Einsicht, dass ein Lehrerseminar eingerichtet werden müsse.

      Nach jahrelangem Zögern betraut Colloredo schließlich Vierthaler mit dem Aufbau eines Lehrerseminars. Dieses wird im sogenannten Ritzerbogenhaus (heute: Buchhandlung Höllrigl) eingerichtet. Mit der Verpflichtung für die Lehramtskandidaten zu hospitieren und mit praktischen Lehrversuchen schafft Vierthaler die Grundlagen für die moderne Pädagogik. Er verfasst zudem zahlreiche pädagogische Schriften und Lehrbücher und übernimmt zusätzlich die Ordnung und Katalogisierung der erzbischöflichen Bibliothek. Auf Wunsch des Landesfürsten übernimmt er auch die von Lorenz Hübner geleiteten Zeitungen „Staatszeitung von Salzburg“ und „Literaturzeitung von Salzburg“. Seine naturkundlichen und historischen Reisen gibt er unter dem Titel „Reisen durch Salzburg“ (1799) heraus. Er nimmt auch am zweiten Versuch der Erstbesteigung des Großglockners teil. So kann Vierthaler in Salzburg als Begründer der Reiseliteratur bezeichnet werden.

      Als Vierzigjähriger heiratet er Josefa Kleinmayrn, die älteste Tochter des Hofratsdirektors Franz Thaddäus von Kleinmayrn und bezieht eine Wohnung am Waagplatz 72. Als am 26. Dezember 1802 das Fürsterzbistum Salzburg endgültig säkularisiert wird, übernimmt der Bruder des Kaisers, Erzherzog Ferdinand, bisher Großherzog von Toskana, als Entschädigung für das verlorene italienische Gebiet das Erzstift, das damals noch Teile von Bayern umfasst (Berchtesgaden und die Bistümer Passau und Eichstätt). Als einziger aus der von Fürsterzbischof Colloredo eingesetzten Schulkommission behält Vierthaler sein Amt. Und er übernimmt alle Schulen und Erziehungsanstalten des Landes mit Ausnahme der Universität und des ihr angegliederten Gymnasiums. Er steigt damit zum allmächtigen Landesschulinspektor im Fürsterzbistum Salzburg auf.

      Doch damit scheint sein Aufgabenbereich noch zu knapp bemessen. Denn der neue Landesherr Erzherzog Ferdinand überträgt ihm auch die Verwaltung der beiden Waisenhäuser in der Vorstadt Mülln. Die Sorge um verwaiste Kinder ist bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts ausschließlich Aufgabe der Geistlichen. Die Waisenhäuser an der Salzach sind wirtschaftlich und administrativ ruinös geführt und dem Verfall preisgegeben. Erst durch die Verdrängung des Prinzips der göttlichen Vorsehung durch den Verstand im Sinne der Aufklärung und durch die Forderung des Gemeinwohls als staatliche Aufgabe geraten soziale Fürsorgeeinrichtungen in den Fokus der Herrschenden. Dem jungen Kurfürstentum Salzburg ist noch keine politische Ruhe beschieden. Denn 1806 stürmen wieder bayerische und französische Truppen ins Land. Vierthaler hat schon bei der ersten Besetzung Salzburgs durch die Franzosen die berühmte erzene Statue des Jünglings von Helenenberg, die sich seit 1506 in Salzburg befindet, versteckt und so einem Kunstraub durch die feindlichen Truppen vorgebeugt. Nun wird er im Oktober 1806 zum Direktor des Wiener Waisenhauses ernannt. Vierthalers Bedeutung als reformatorischer Pädagoge und Wissenschafter wird also noch durch seine sozialpädagogischen Verdienste gesteigert.

      Der von pädagogischen Motiven geprägte Wissenschafter