Michael Reh

Asta


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      »Und wie sitzt es sich so auf meiner Bank? Haben Sie dafür auch eine Erlaubnis oder einen Durchsuchungs­befehl?«

      Heiko ließ sich nicht aus der Fassung bringen. »Warum wollen Sie das wissen? Der Deich ist öffentliches Gelände und Ihr Name steht nicht auf der Bank. Also alles völlig legal. Und warum sind Sie hier? Verfolgen Sie mich?«

      Sie rollte mit den Augen und machte eine scheuchende Handbewegung, die ihm bedeutete, dass er zur Seite rücken sollte. »Ich komme oft am Abend hierher, wenn es nicht regnet.« Sie setzte sich an die äußere Ecke der Bank und schaute auf die Baumreihen. Die ersten Blätter waren an den Bäumen, es sah aus, als hätte jemand einen zarten grünen Flaum auf die Äste gelegt.

      »Sie haben Luisa getroffen.« Sie hob abwehrend die Hand. »Machen Sie mir nichts vor und belügen Sie mich niemals, ich bin zu alt und habe zu viel Mist erlebt in meinem Leben. Für Lügen und Tricks habe ich keine Zeit mehr, die ist eh bald für mich abgelaufen. Ich bin krank, ausgelaugt, habe zehn Jahre unschuldig und unfreiwillig im Knast gesessen. Ich sage es Ihnen hier und heute ein einziges Mal. Ich habe meinen Mann und Reiner nicht umgebracht. Ich habe auch Petra und Cordes nicht umgebracht, wie könnte ich und warum? Haben sie mich genervt? Ja! Haben sie mich betrogen? Ja! Bin ich eine einsame alte Spinnerin? Höchstwahrscheinlich! Aber ich bin unschuldig. Auch wenn ich alle kannte, auch wenn die Spuren zu mir führen. Ich bin es leid, mich zu verteidigen. Ich bin es leid, als Mörderin gesehen zu werden, ­gebrandmarkt, ausgestoßen. Aber ich kann es nicht ändern, wie ich heute Morgen bei der Vernehmung bereits gesagt habe. Und ich werde mich nicht mehr ändern, ich kann es gar nicht. Ich will es auch nicht!«

      Sie drehte sich zu ihm und sah ihn klar und entschlossen an: »Ich habe diese Menschen nicht ermordet! Suchen Sie hier nicht weiter. Lassen Sie mich und meine Schwester in Ruhe. Sie sitzt seit zwanzig Jahren im Rollstuhl. Wir haben genug durchgemacht. Sie sind ein schlaues Bürschchen, und ich hoffe nur, Sie sind clever genug, um diese Fälle aufzuklären. Aber begeben Sie sich nicht auf den Holzweg. Sie haben hier weder was zu suchen noch zu finden. Mein Leben geht Sie einen Dreck an und beschuldigen Sie mich nicht, nur um eine schnelle Lösung präsentieren zu können.«

      »Ich beschuldige Sie nicht, ich mache meinen Job!«

      Clara Jolcke erhob sich wortlos und wollte gehen. Heiko stand auf und verstellte ihr den Weg. Sie ging ihm knapp bis zur Brust, eine kleine alte Frau, die seinem Blick nicht auswich.

      »Was hat es mit dem Buchstaben auf sich?«

      Sie schaute ihn verständnislos an. Er setzte alles auf eine Karte. »Der Buchstabe auf der Wange Ihres Mannes?«

      »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen.« Sie bewegte sich keinen Millimeter und sah aus wie eine Raubkatze kurz vor dem Sprung.

      »Wir haben auf der Wange Ihres toten Mannes einen Buchstaben gefunden, der ihm eingeritzt worden ist. Sie waren doch am Tatort, ist Ihnen das nicht aufgefallen? Haben Sie das nicht gesehen?«

      Sie wurde blass. »Ich weiß nichts von irgendeinem Buchstaben, was soll das, was ist das für eine blöde Frage, wollen Sie mich verarschen?« Sie versuchte, an ihm vorbeizugehen, aber Heiko wich nicht von der Stelle.

      »Wenn Sie es nicht waren, wer hat es dann getan? Wer hat ihn umgebracht und einen Buchstaben in sein Gesicht eingeritzt, ein Zeichen hinterlassen? Was glauben Sie?«

      Wütend zuckte sie mit den Schultern. »Wenn ich das wüsste, hätte ich nicht zehn Jahre umsonst abgesessen. Das habe ich ja nun schon oft genug zu Protokoll gegeben. Ich bin nicht hier, um Ihren Job zu machen. Ich war es jedenfalls nicht, so Gott mein Zeuge ist. Falls es so etwas wie einen Gott geben sollte, was ich stark bezweifle. Egal, ob Jesus, Jahwe, Allah oder eine höhere Macht. Und wenn es sie gibt, dann ist sie meschugge. Rutschen Sie mir den Buckel runter mit Ihren Zeichen, spekulieren sie gefälligst woanders herum und lassen Sie mich in Ruhe. Und jetzt gehen Sie mir endlich aus dem Weg.«

      »Wir haben auch bei Christian Cordes und Petra Harlor ähnliche Zeichen auf den Gesichtern gefunden. Die Fälle sind eindeutig miteinander verbunden. So viel steht fest.«

      Mit einer Kraft, die er ihr nicht zugetraut hätte, drückte sie seinen Arm zur Seite, lief an ihm vorbei. Sie drehte sich noch einmal kurz um.

      »Ein letztes Mal, ich habe nichts damit zu tun. Ich habe Johann und seinen gottverdammten Freund nicht umgebracht und auch niemals irgendjemandem irgendwas ins Gesicht geritzt. Was ging mich dieser tumbe Kommissar an? Der hat nur stur seinen Job gemacht und mich am Tatort verhaftet, das hätte ich an seiner Stelle auch getan. Und nennen Sie mir einen guten Grund, nur einen einzigen, warum ich Petra in einen Baumstumpf stecken sollte, das kann ich rein körperlich gar nicht. Ich bin eine alte Frau, hatte einen Schlaganfall und leide an Diabetes, falls Ihnen das entgangen sein sollte.«

      »Vielleicht hatten Sie Hilfe?«

      Sie schnaubte verächtlich: »Hilfe? Sind Sie jetzt völlig durchgedreht? Wer soll mir denn geholfen haben? ­Vielleicht mein netter Nachbar? Oder ein geheimer Liebhaber?« Sie bellte ihn fast an, es schien, als fletschte sie ihr Gebiss, die Fäuste geballt. »Ach nein. Es war meine Schwester, wie dumm von mir, das nicht gleich zu sagen. Die kommt ja überall so wunderbar mit ihrem Rollstuhl hin.« Ihr Blick war hart und eisig, alle Mauern waren hoch, die Zugbrücke zu ihrer Seele hochgezogen.

      »Und mein Name steht auf dieser Bank, schauen Sie auf die Rückseite. Vergessen Sie nicht, vielleicht auch mal die Perspektive oder den Standpunkt zu wechseln, Herr Kommissar, dann entdecken Sie vielleicht mehr.« Ohne ein weiteres Wort stapfte sie in den alten Holzpantinen von dannen und drehte sich nicht mehr um. Es gab nichts weiter zu sagen.

      Heiko schaute ihr nach. Eine erstaunliche Frau, der er kein Wort glaubte und die ihn dennoch irgendwie faszinierte. Er ging zur Rückseite der Bank. Auf einem mit Grünspan überzogenen Messingschild stand ein Wort: ASTA. Darunter fast unleserlich und verwittert: Gestiftet von Clara Jolcke.

      »Unfassbar.« Tom schaute Heiko erstaunt an. »Mut hat sie, das muss man ihr lassen. Und keine Angst vor der Konfrontation. Eine seltsame Frau, aber wen wundert es nach dem, was sie erlebt hat? Glaubst du wirklich, dass sie unschuldig ist und zehn Jahre ohne Grund im Gefängnis saß? Wer würde da nicht verbittert sein oder sich selbst aufgeben? Aber wer hat die Morde dann begangen? Das konnte sie dir ja auch nicht sagen. Oder wollte es nicht! Und wer ist Asta?«

      Er schaute Heiko fragend an. Die beiden Männer saßen im alten Gesindehaus vor dem kleinen Kamin. Schoko hatte ihnen den Rücken zugedreht, schaute auf die Tür, hörte aber aufmerksam zu.

      Es war ein kleines reetgedecktes Haus, liebevoll restauriert. Tom hatte gleich abgewunken, als er Heikos bewundernden Blick gesehen hatte, und erklärt, dass der Vormieter für die Renovierung und die Einrichtung verantwortlich war. Es war dunkel geworden. Heißer Tee mit einem Schuss Rum stand auf dem alten Eichentisch. Tom hatte auf dem Du bestanden, schließlich sei er aus den Staaten und da duze man sich sowieso. Heiko war es nur recht, es gab genug Förmlichkeiten, und die deutsche Angewohnheit, alles reglementieren zu müssen, behagte ihm sowieso nicht.

      »Asta. Ach ja, die Inschrift auf der Bank. Keine Ahnung, ich muss mehr über Clara Jolcke herausfinden. Wo kommt sie her, was hat sie gemacht, bevor sie verurteilt worden ist, wieso sitzt die Schwester im Rollstuhl und lebt hier auf dem Gehöft? Ich weiß noch zu wenig über beide, kenne ihre Geschichte nicht. Aber die Jolcke hatte Kontakt zu allen, die ermordet worden sind, soviel ich weiß. Sie sagt, sie habe ihren Mann und seinen Freund nicht umgebracht, und bei Christian Cordes und Petra Harlor konnte die Spurensicherung nichts finden, was sie mit den Morden in Verbindung bringen könnte. Außer den Buchstaben, die auf den Wangen der Leichen eingeritzt worden sind, und der Kreide im Rachenraum habe ich sowieso kaum Anhaltspunkte. Ein Motiv für den Mord an Cordes hätte die Jolcke gehabt. Schließlich hat er sie verhaftet, da liegt Rache natürlich nahe. Man hat sie damals befragt. Aber zum Zeitpunkt, als Cordes verschwunden ist, war sie längere Zeit in Süddeutschland, steht in den Akten. Zum anderen aber und vor allem gab es damals ja gar keinen Beweis für einen Mord, Cordes war unauffindbar.«

      »Was hat sie denn in Süddeutschland gemacht?«, fragte Tom. »Oder stand das nicht in den