Michael Reh

Asta


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warum sollte sie ihre Putzfrau ermorden? Die entlässt man gewöhnlich, wenn man nicht zufrieden ist, oder?«

      Tom schmunzelte. »Meine Mutter hätte unsere Putzfrau auch umgebracht, aber sie war meistens zu besoffen, um überhaupt irgendwas zu registrieren.« Auf Heikos fragenden Blick hin winkte er nur ab. »Frag lieber nicht. Meine Familie kommt bestimmt nicht aus einem Bilderbuch, ich bin der letzte Spross, sie sind alle tot und das ist auch gut so. Was ist übrigens mit mir? Ich hoffe, ich stehe nicht unter Verdacht? Ich kann dir versichern, dass ich die Opfer nie getroffen habe.«

      »Nein, du stehst nicht unter Verdacht, keine Angst. Obwohl du nicht der Erste wärst, der den Fund einer ­Leiche meldet, die er selbst dort hingelegt hat.« Er zwinkerte Tom zu. »Ich glaube nicht, dass du als Täter infrage kommst! Was hat dich eigentlich hierher verschlagen? In diese Einöde? Ein Typ wie du hier bei uns auf dem Land? Vollkommen ungewöhnlich!«

      »Das Übliche. Burn-out! Ich muss irgendwo zur Ruhe kommen. Zwanzig Jahre New York, Berlin und die Kunstszene killen jegliche Kreativität. Auch meine. Ich konnte nicht mehr so weitermachen wie bisher.«

      »Aber warum gerade hierhin? Wer zieht denn freiwillig in ein gottverlassenes Gesindehaus am Ende des Deichs im Niemandsland? Und dann noch im Winter?« Heiko trank einen Schluck des heißen Tees und lehnte sich zurück ins Sofa.

      »Meine Familie väterlicherseits kommt ursprünglich aus dieser Gegend. Ich fühle mich hier wohl. Es fühlt sich an wie ein Zuhause, oder als ob es eines werden könnte. Das habe ich von Anfang an so empfunden. Mein Großvater war außerdem nach dem ersten Weltkrieg für einige Monate hier. Er hatte geschäftliche Verbindungen zur Zementfabrik und hat mir in meiner Kindheit oft davon erzählt. Er besaß eine Zinkfabrik in La Salle in Illinois. Die Zementfabrik in Hemmoor hatte dort seit 1910 eine Dependance und mein Großvater Edmund war zeitweise ein Teilhaber. Aber durch den Ersten Weltkrieg und die Inflation ging alles den Bach runter. Edmund tat alles, um die Fabrik zu retten, kam 1923 nach Deutschland, um Geschäftsbeziehungen zu pflegen, und lebte für einige Monate hier in der Gegend, in der Villa des Fabrik­besitzers. Da werde ich in den nächsten Tagen mal hinfahren, solange das gute Wetter anhält. Ende der Achtzigerjahre wurde das Fabrikgebäude abgerissen und die Kreidegrube zugeschüttet. Ich glaube, man hat einen See daraus gemacht.«

      Heiko nickte. Der Kreidesee war sehr beliebt bei Tauchern, wenn auch gefährlich. Seit seiner Kindheit hatte er immer wieder entsprechende Schlagzeilen in den »Stader Nachrichten« gelesen.

      »Im Grunde kenne ich diese Gegend schon seit meiner Kindheit aus den Beschreibungen meines Großvaters und wollte immer hierhin. Mein Anwalt in Berlin kennt den Besitzer dieses Hauses, et voilà, eins kam zum anderen. Ich entschloss mich kurzerhand, Berlin zu verlassen und es mit dem Landleben zu probieren. Dass ich allerdings eine Leiche finden würde, hätte ich nicht gedacht. Aber ich habe sie ja auch nicht gefunden, das war Schoko.« Der Hund spitzte die Ohren, bewegte sich aber nicht. Tom sah lächelnd auf den Rücken des Hundes. »Ein seltsamer Begleiter, ich weiß. Frag mich nicht, was in seinem Kopf vorgeht, aber er bekommt alles mit.«

      »Offensichtlich! Und er mag Clara Jolcke.«

      Tom sah ihn an. »Ja, das ist mir auch aufgefallen. Man kann allerdings nicht behaupten, dass das auch für ihre Schwester gilt, von der hat er sich zumindest fernge­halten. Seltsam, ich fand sie sehr nett. Ich habe sie heute zufällig kennengelernt.«

      Heiko schaute ihn erstaunt an: »Wie hast du das denn geschafft? Letzte Woche wussten wir nichts von ihr, und du triffst sie eher als der leitende Kommissar. Als ich sie vorhin besuchen wollte, schlief sie im Garten.«

      »Reiner Zufall. Ich war mit Schoko unterwegs und habe mir heute Mittag das alte Haus noch mal angesehen, Clara Jolckes Wagen war nicht da, und ich dachte, ich schau mich mal um. Das war ja letzte Woche in dem Regen nicht möglich.«

      Er lachte.: »Hört sich ganz nach Schnüffelei an, ich gebe es zu. Aber man findet ja nicht jeden Tag eine Leiche, wer weiß, was da alles auf dem Hof abgeht. Oder was du da sonst noch finden wirst. Wie auch immer. Luisa von Bassen kam natürlich ausgerechnet in dem Moment zurück, als ich durch die Fenster des Nebenhauses schaute, in dem sie wohnt. Sie kam von einer medizinischen Massage im Nachbarort, und ihre Physiotherapeutin Gloria Fuchs hat sie in einem Van zurückgebracht. Sie sieht ihrer Schwester ein bisschen ähnlich, allerdings ist Luisa die Goldmarie und Clara die Pechmarie. Sehr gepflegt, zugewandt, aufmerksam, stillvoll, kultiviert und überhaupt nicht verbittert. Erstaunlich bei ihrem Zustand. Sie hat mich zum Tee eingeladen und wir haben eine Weile geplaudert. Sie war letzte Woche, als ich die Leiche gefunden habe und wir bei ihrer Schwester waren, gar nicht zu Hause, sondern bei ihrer Physiotherapeutin.«

      »Gloria Fuchs? Wirklich? Gloria ist Luisa von Bassens Pflegerin?«

      »Die beiden schienen sehr vertraut miteinander, hatte ich den Eindruck.« Tom nickte. »Kennst du sie?«

      Heiko verdrehte die Augen. »Rote Haare, Ende dreißig, ein Meter achtzig, Modell männermordender Vamp?«

      Tom lachte laut auf. »Besser kann man sie nicht beschreiben. Ich dachte, sie verschlingt mich auf der Stelle!«

      Kann ich verstehen, dachte Heiko. »Gloria und ich kommen aus demselben Dorf und sind zusammen auf das Gymnasium in Stade gegangen. Sie war mal meine beste Freundin und hat mir sehr bei meinem Coming-out geholfen.«

      Okay, jetzt war es raus: Ein schwuler Kommissar in der Einöde zu Besuch beim attraktivsten Mann, den er seit Jahren gesehen hatte. Heiko wäre am liebsten im Erdboden versunken. Tom lächelte kurz. Offensichtlich kein Problem für ihn.

      »Wir haben uns nach der Schule aus den Augen verloren, ganz einfach. Es gab keinen Streit. Unterschiedliche Interessen, das Leben verändert sich und wir uns auch. Sie ist allerdings im Landkreis bekannt und lässt nichts anbrennen, wenn du verstehst, was ich meine. Ein hungriges Monster! So hat sie sich selber mal bezeichnet! Ab und zu sehe ich sie in Stade auf dem Wochenmarkt. Wir grüßen uns, mehr nicht. Was ihren Job betrifft, da soll sie ziemlich gut sein.«

      »Den Typ kenne ich gut. Solche Frauen sind nichts für mich. Und im Moment bin ich nicht auf der Suche. Bin irgendwie kein Beziehungstyp, scheint mir. Und du?«

      Heiko wich Toms Blick nicht aus. »Ich offensichtlich auch nicht. Finde mal einen guten Mann in diesem Landkreis. Die fallen nicht vom Himmel.«

      Tom schaute ihn aus klaren grünen Augen an. »Ich kenne mich zwar mit Männern nicht aus, aber glaube mir, es gibt keinen großen Unterschied, ob du auf Männer oder Frauen stehst. Die guten sind einfach rar gesät. Egal wo auf der Welt und ob Stadt oder Land, das macht da auch keinen Unterschied. Und Traumprinzen existieren genauso wenig wie Traumfrauen. Möchtest du noch einen Schuss Rum in deinem Tee? Du bist doch jetzt sicher nicht mehr im Dienst.«

      Heiko nickte zur Bestätigung. Tom stand auf, ging in die kleine Küche und machte eine Flasche auf. »Dieser hier ist echt gut … und er wärmt auch die Seele.« Er gab Heiko die Flasche. Heiko starrte auf das Etikett: Mount Gay Rum! Sollte das ein Witz sein? Heiko sah Tom an, deutete auf das Etikett und beide brachen in schallendes Gelächter aus. Schoko drehte sich um, kam zu Tom, sah ihn fragend an und setzte sich dann direkt vor ihn. Tom lachte immer noch.

      »Alles okay, Dicker. Wir begießen nur eine Männerfreundschaft!«

      Er kraulte Schokos Ohren, der dann zu Heiko ging, sich vor ihn setzte und wartete, bis der ihm über den Kopf strich. Den Hund sollte einer verstehen. Es schien so, als sei Heiko jetzt Teil seines Rudels.

      Beide Männer schütteten einen großen Schuss Rum in ihre Tassen und tranken dann schweigend. Es war ruhig, friedlich. Heiko entspannte sich. Es gab kein Geheimnis zwischen ihnen. Sein Blick streifte durch den Raum. In dem offenen Durchgang zur Küche hing ein Dartspiel. Er stand auf und sah es sich aus der Nähe an. »Wow, das ist ein original englisches Sammlerstück aus dem neunzehnten Jahrhundert«, stellte er anerkennend fest.

      »Kennst du dich damit aus?«, fragte Tom.

      Heiko nahm die drei Pfeile aus der Scheibe, ­positionierte sich am Ende des Raumes, sechs Meter entfernt von der Dartscheibe. Die Pfeile trafen alle drei mit Präzision und erstaunlicher Geschwindigkeit die Mitte.