Andreas Rauch

Musikeinsatz im Französischunterricht


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semi-liturgiques.30

      Édith Weber zeigt die Vorbildwirkung des elsässischen humanistischen Schultheaters: „Dans les Pays Rhénans, le climat est particulièrement favorable à une extension rapide et durable du théâtre humaniste et scolaire, avec participation musicale; il connaîtra un essor extraordinaire.“31

      Interessante Parallelen werden deutlich im zeitgenössischen Rappoltsweiler Schulmeisters eydt.32 Der aus dem Beginn des 16. Jahrhundert stammende Eid des Rappoltsweiler Schulmeisters beschränkt sich nicht auf das rein rechtliche Element, sondern betrifft auch interne, organisatorische und vor allem soziale Schulangelegenheiten. Der Schulmeister (hier im Bereich der Musik Schulmeisterliche Chorregent) muss den abendlichen Chorgesang mit seinen Schülern organisieren (Obendsalve), den Chor als Chorleiter leiten und dirigieren, bei Veranstaltungen in Basel begleiten und für Ordnung während der Predigt sorgen:

      Zu allen chorgesängen soll ein schulmeister selbs, so er zugegen sin mag, zuston vnd regieren und die kinder im chor und an den predigten in stiller zucht, in loblicher ordnung angezogen halten.[…]. Es soll auch ein schulmeister die burgerschaft mit belonung der kindern nit höher besweren, dann wie altem harkommen ist, und was den armen schülern zu allmuesen von meß singen, […] oder sust sunderlichen von andechtigen luten gegeben wurdt, das soll auch inen pliben und under sy allein geteilt werden, und ein schulmeister oder sin prouisor daruon nichts nemmen.33

      Knepper kommentiert das Arbeitspensum des Schulmeisters wie folgt: „Bei der straffen Ordnung, die dieser Eid voraussetzt, wird man den ganzen Schulbetrieb für einen höchst förderlichen halten und den Rappoltsweiler Schulmeister zu den meistbeschäftigten Pädagogen rechnen müssen.“34

      Eine komplexe praxisrelevante Anwendung von Sturms Ideen wird deutlich in der 1565 auf Anfrage von Pfalzgraf Wolfgang von Zweibrücken und Neuburg zur Strukturierung der 1561 gegründeten Lauinger Schule verfassten Scholae Lauinganae.35 Sturms Schüler führten die Straßburger Schulreform im In- und Ausland fort. Der humanistische Reformpädagoge stellt im ersten Kapitel seiner Schrift die septem artes liberales vor. Er ergänzt das klassische Trivium und Quadrivium mit Landwirtschaft, Ethik, Politik und erwähnt auch die Bedeutung der protestantischen Religion für Unterricht und Schulleben.

      Unter der Rubrik Geometrie zieht Sturm einen Vergleich zwischen Mathematik und Musik:

      […] etiam voluptatis causa addita est musica, quae ut numerando scientia de numeris iudicat, ita haec de sonis et vocum varietate, dissimilitudine, concentione, spatiis atque temporibus praecepta certa et perpetua demonstrat et in his, quid autum, quid grave, quid intermedium, quid longum, quid breve, quid moderatum sit, admirabili varietate considerat.36

      Sturm gibt auch Hinweise für seine Lehrerkollegen. Die erste Aufgabe des Lehrers ist Gewissenhaftigkeit (diligentia).37 Im Abschnitt III, 19 bezieht er sich mit Modus / das rechte Maß auf Aristoteteles und und erklärt es am Beispiel der Musik. Hier zeigt sich eine weitere didaktische Funktion von Musik für den Unterricht. Da Musik für die Schüler durch Singen und Hören plastisch erfahrbar und ausführbar ist, lassen sich dadurch Verhaltensregeln besser vermitteln.

      Sed quoniam omnibus rebus modus necessarius est, et moderatio ratioque requitur. Modus primum unus est, cum ordinem, quem ostendimus, instituere et sequi. Alter non plus properare, quam vires discipuli patiantur. Tertius qui properationem potest adiuvaren memoriam non solum praesentis, sed etiam superiorum dierum renovare. Id fiet primum interrogatione praeceptoris per omnes facta decurias voce clara, ut reliqui in tota curia, etiam extremi queant exaudire. Quod in musica sit, ut omnes simul canant et audiant, id etiam in hac debet fieri arena, ut omnes simul vel pugnent vel spectent, hoc est omnes pueri aut interrogant et respondeant aut simul audiant, quae respondeantur atque interrogentur. Vitiosa et detrimentosa ratio est, auri adolescebtis unius astare et non omnium aures interrogationibus et responsionibus feriri atque excitari.38

      Im Kapitel über die vierte Klasse beschäftigt sich Sturm mit den klassischen Autoren und der Wortschatzarbeit. Dabei soll der Lehrer die Worte und Satzabschnitte nicht nur vorsprechen, sondern auch an die Tafel schreiben. Durch Fragen soll festgestellt werden, wie viel der Schüler schon verstanden hat, bevor er „stylum in manu sumere“, also „Feder und Griffel zur Hand nehmen lässt.39 Das Vor- und Nachsprechen wird plastisch mit dem „Vorkauen“ verglichen: „Si enim infantis ventriculo non nocet cibus praemasticatus, sed est salubris, cur haec praecantata noceant et non sint utilia discentibus.“40 Sturm stellt hier eine Übungstypologie als didaktische Folge der Fertigkeiten vor:

      Eadem enim ratio est exercitationis in scribendo, quae in cantando, in stylo eadem, quae in musica. Qui cantoris discipulus queat cantare, antequam didicerit, nisi praeceptoris adiuvetur praecantatione? Haec igitur exercitatio in scholis et suscipiatur et instituatur et perficiatur in hac aetate et in hac curia […].41

      Im Kapitel V De exercitationibus quotidianis / Über die täglichen Übungen geht Sturm auf den Grundsatz des täglichen Übens (V, 2) ein. Er empfiehlt für sein Gymnasium zehn Übungsformen42 und nennt dabei als erste das Singen von Psalmen. Da die Religion bei Sturm den ersten Platz einnimmt, betrifft das auch die religiösen Gesänge, Lesungen und Homilien. Sturm verweist dabei auf mehrere intertextuelle Bezüge zu Ciceros De oratore 1, 127 und entwirft wiederum räumliche Variationen (Aufstellen der Schüler in Doppelreihen), visuelle Variationen (die Schüler stehen sich gegenüber, um sich anzuschauen), akustische Variationen (Modulation der Lautstärke, Variation der Pausen, wechselweises Singen). Das Ziel ist dabei das Gotteslob (über den religiösen Gesang), aber auch eine mnemotechnische Komponente und die Berücksichtigung verschiedener Lerntypen.

      3.1. De psalmodiis

      (1) Quoniam igitur primas tenet religio sacris cantibus et recitationibus et contionibus primas damus. Et primo loco de cantu praecipimus, ut antequam in curia magister docere incipiat, psalmos aliquot alternatim e regione duplicato ordine modulentur adolescentes. Voce media soni unius, linguae nobilitate eadam et spatiis iisdem non solum versuum atque sententiarum, sed verborum etiam atque syllabarum, ut simul incipiant, simul progrediantur, simul consistant, mora vero tanta fiat, quae neque fastidium pariat neque officiat intelligentiae. Intelligenter enim cantari debet, quod canitur, ut et lex Die cognoscatur et memoria discipulorum adiuvetur et copia comparata sit, quoties autoritatibus contendendum est.43

      Wie beim Wortschatz ist auch die Wiederholung ein wichtiges lernpsychologisches Element beim Einprägen der Psalmen. Es handelt sich dabei um ein obligatorisches Training, eine Pflichtübung. Innerhalb dreier Monate sollen die Psalmen sechsmal wiederholt werden, das dreimalige Singen und dreimalige Beten symbolisiert die göttliche Trinität und schließt den Kreis zwischen Religion, Theologie und Musik:

      (2) Istud officium ter faciendum quotidie est, mane cum in scholas ingrediendum est, meridie cum domum reditur, ante caenam cum finis sit laboris quotidiani. Psalmorum numerus quos hebdomadibus oportet singulis modulari, brevitate et prolixitate singolorum aestimandus est, ut tertio mense omnes in his scholis resonent et quotannis quater queant decantari. Ter igitur canendum est et ter precandum. Quas preces pium et sanctum est ad psalmorum argumentum referre et theologi officium est has preces conficere et in his scholis custodire.44

      Im Anhang I fügt Schröder einen tabellarischen Lehrplan des von Johannes Sturm begründeten Gymnasiums nach den „Klassischen Briefen“ an.45 In erster Linie kommen klassische Autoren zum Einsatz, vor allem Cicero und Vergil. Die Texte wurden im 16. Jahrhundert ausschließlich für die Schullektüre gedruckt. Für die Klassenstufe der Prima wurden