Andreas Rauch

Musikeinsatz im Französischunterricht


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zwei Briefen in lateinischer Sprache pro Woche von der Prima bis zur Quinta und dann von der Septima bis zur Decima Gesang in beiden Sprachen, Wortschatzarbeit und Kirchenlieder vorgeschrieben.46

      Johannes Sturms Schriften sind ein wichtiges Beispiel für den schulischen Unterricht der Reformationszeit, wobei Sturm nicht nur ein theoretisches Schulkonzept vorstellt, sondern didaktische und methodische Fragestellungen aufwirft und entsprechende Lösungen dazu anbietet. In seiner Rolle als humanistischer Schulreformer, Gelehrter und Pädagoge hat er mit seinem Gymnase de Strasbourg einen didaktischen Mikrokosmos geschaffen, der als Vorbild für die gymnasiale und universitäre Bildung seiner Zeit gelten konnte. Gleichzeitig kann er als Visionär bezüglich innovativer Unterrichtsmethoden bezeichnet werden. Sturm baut musikalische Elemente in sein Unterrichtskonzept ein und erweitert es von der kirchlichen auf die weltliche Bühne mit seinem Schultheater. Er hat sich allerdings ausschließlich mit der höheren (Gymnasial- und Universitäts-) Bildung beschäftigt.

      Nach Sturms Tod 1580 waren keine Veränderungen im Straßburger Lehrplan vorgenommen worden. Zwilling berichtet von einer bedeutenden Abnahme der Schülerzahl zu Beginn des 17. Jahrhunderts. Deshalb wurden 1604 unter dem Kanzler Johann Philipp Boecklin die Statuten revidiert und zum Teil vervollständigt und man versuchte, durch die Aufnahme des Französischen in den gymnasialen Fächerkanon den Schulbesuch zu heben.47 Das Projekt wollte „die Jugendt inn der frantzösischen sprach an Ihr selber, zuvorderst lesen und pronunciren wol unnd mit allen Fleiss unterweissen, mehr mit lebendiger stimme auch unterrichten […].“48 Außerdem sollten die Schüler

      auch zur Wochen zweymal, Donnerstags und Sambstags umb ein Uhren nachmittag ettliche christliche unnd geistliche Psalmen auss den bewerthesten gesangbüchern singen lernen, auch ettliche kurtze Epistolas unnd Orationes schreiben unnd recitiren lassen […] demselbigen allem treuwlich gehorsamen und nachkhommen.49

      Wie bei Sturm findet man hier die Integration von Psalmen in den Unterricht, wie sie auch im Gottesdienst und den Bibelstunden der reformierten Gemeinden verwendet wurden.50 Kuhfuß51 zeigt, dass diese curricularen Überlegungen eine Vorbildstellung für das Schulwesen im süddeutschen Raum eingenommen hätten. Leider wurde der Lehrplan von 1604 nicht realisiert.

      Bereits Ende des 16. Jahrhunderts entstanden viele Privatschulen. Lehrmeister aller Art, Sprach-, Fecht-, Tanz- und Musikmeister waren meist geflohene französische Hugenotten. Der bedeutendste unter den Sprachmeistern war der Hugenotte Daniel Martin52, der aus Sedan als junger Mann nach Straßburg kam und viele Jahre eine Privatschule leitete. 1632 erschien seine Grammatica Gallica sententiosis exemplis referta, die eine Reihe von Gedichten, Lern- oder Merkreimen, Gesängen und Gebeten enthielt sowie originelle Angaben zur französischen Aussprache (Abb. 6).53 Einige Jahre später veröffentlichte Martin sein Parlement nouveau, einen umfangreichen Dialogband mit einhundert Kapiteln. Gleich im ersten Kapitel führt Martin den Leser in die französische Schule ein und erklärt die Tätigkeiten des Lehrers und die Leistungen seiner Schüler. Dabei lernen sie nicht nur Lesen und Schreiben, trainieren das Übersetzen, sondern widmen sich vor allem dem Sprechen, das für den Sprachmeister Daniel Martin im Mittelpunkt steht: „car pour bientost estre savant en la langue, il faut lire, exposer, composer et parler, sans estre honteux de faillir; car qui ne parle iamais mal, ne parlera iamais bien.“54 Martin ist hier sehr modern, da er das „Lob des Fehlers“ als schöpferische Energiequelle des Unterrichts schon lange vor Montessori erkannt hat.

      Abb. 6:

      Auszug aus Daniel MARTINS Grammatica gallica, abgedruckt in Carl ZWILLING, Die französische Sprache in Strassburg bis zu ihrer Aufnahme in den Lehrplan des Protestantischen Gymnasiums. In: Festschrift zur Feier des 350jährigen Bestehens des Protestantischen Gymnasiums zu Straßburg. Straßburg: Heitz & Mündel, 1888, S. 266.

      I. 5 Zweisprachige Repertoires von Kirchenliedern in bilingualen Zonen

      Es ist gezeigt worden, dass in Grenznähe Städte wie Straßburg / Strasbourg in einem gewissen Umfang zweisprachig waren. Noch stärker trifft diese bilinguale Situation auf Mömpelgard zu. Die Grafschaft Montbéliard / Mömpelgard1 war im 16. Jahrhundert eine kleine deutsche Enklave im französischen Gebiet, die staatsrechtlich vom rechtsrheinischen Herzogtum Württemberg getrennt war. Die Reformation in Mömpelgard war verbunden mit dem Herzog Ulrich von Württemberg, der nach einer Anzahl von Rechtsbrüchen (beispielsweise dem Mord an seinem Freund Ulrich von Hutten 1515) aus Württemberg fliehen musste, Zuflucht in Mömpelgard fand und Kontakt zu Luthers Lehre bekam. Unter dem protestantischen Herzog Christoph (1550-1568) infolge des Augsburger Religionsfriedens 1555 setzte sich das orthodoxe Luthertum nach dem Grundsatz cuius regio eius religio durch. Michael Buhlmann beschreibt, dass sich der neue Glauben erst gegen 1588 fest verankert hat und Mömpelgard so zur „evangelischen Insel“ inmitten von katholischen Gebieten (Freigrafschaft Burgund, habsburgischer Sundgau, Bistum Basel) wurde. An der Spitze der lutherischen Kirche in Mömpelgard stand jeweils ein Fürst, der Landesherr und Bischof in Personalunion war. Eng verbunden mit der lutherischen Landeskirche war das recht progressive Schulwesen. Die Schulbildung für 5- bis 14-jährige Mädchen und Jungen war obligatorisch. Es gab in jeder Kirchgemeinde, später in jedem Dorf Grundschulen, ab 1540 eine Lateinschule und ein Gymnasium. Im Tübinger Stift erhielten Mömpelgarder Stipendiaten ab 1560 eine Ausbildung zu Pfarrern. Ein Versuch von Graf Georg II. (1662-1699) zur Gründung einer Universität in Mömpelgard scheiterte jedoch 1676.

      Es fand hier ein intensiver Austausch mit den umliegenden frankophonen Gebieten im Bereich der Verwaltung, des Handels und der Kommunikation statt als Vektor der marketplace tradition.2

      Der Auszug aus dem Mömpelgarder Gesangsbüchlein (Abb. 4) ist ein Beweis für die Zweisprachigkeit der Enklave. Die Psalmen konnten jeweils in beiden Sprachen gesungen werden. Das Gebetsbüchlein wurde so bei Tischgebeten im familiären Kreis oder zu Beginn des Unterrichts verwendet. Metrum und Rhythmus waren an die französische Version angepasst. Gleichzeitig ist ein Vergleich des (deutschen) Originaltexts von Luther mit der französischen Übertragung von Foillet interessant: Die deutsche Version der Vorrede von Jacob Foillet3 unterscheidet sich auf den ersten Blick bezüglich des Umfangs (fünf Seiten gegenüber der französischen Version mit zwei Seiten). Sie beginnt mit einer zeitgenössisch üblichen Höflichkeitsformel als Widmung an den Regenten Ludwig Friedrich (1617-1631) von Mömpelgard:

      Dem Durchleuchtigsten / Hochgebornen Fürsten / vnd Herren / Herrn Ludwig Friderichen / Hertzogen zu Wuertemberg / vnd Teck / Graffen zu Mümpelgardt / Herrn zu Heydenheym / Hericouts, Blamont, &c. Meinem gnedigen Fürsten und Herrn.4

      Die ersten sieben Abschnitte stimmen auf den historischen Kontext ein und bilden den historischen Rahmen einer besonderen, schweren Zeit:

      Da vnser getrewer HErr und Heyland Jesus Christus seine libe Juenger / vund uns alle lehret /wie wir vns in den letzten zeiten verhalten sollen / spricht er mit hellen klaren worten also: Seydt wacker allzeit / und bettet / daß ir wuerdig werden möget / zu entfliehen diesem allem / daß da geschehen soll / und zustehen vor deß Menschen Sohn. Luc. 21.

      Wer ist nun under uns / der nicht wisse / das eben auff uns die letste zeit vnd das End der Welt kommen sey.5

      Der Verweis auf Lukas 21 soll eine Warnung und zugleich eine Ermutigung durch die frohe Botschaft ausdrücken.6 Nur das tägliche Gebet spendet Hoffnung und Zuversicht: „Ist aber solches jemalen von noethen gewesen / so ists warlich in diesen letsten sichern bösen zeiten hoch vonnöthen.“7