Andreas Rauch

Musikeinsatz im Französischunterricht


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Jugend lernt aber zuerst Deutsch sprechen; die französische Sprache ist fremd für sie. Soll sie in dieser den Unterricht bekommen, so muß sie während desselben nicht nur die Sachen, sondern auch die Sprache lernen. Wie sehr wird ihr dadurch das Lernen schwer und unangenehm, das der Lehrer so viel Ursache hat, leicht, faßlich und anziehend zu machen.54

      Théremins Schrift hat angeblich Friedrich Wilhelm III. dazu ermuntert, seinerseits für die Beseitigung des Französischen einzutreten.55 Jean Henry und eine Reihe Berliner Pastoren haben sich erfolglos für die Beibehaltung der französischen Sprache eingesetzt, denn die Berliner Kirchengremien gaben allmählich ihren Widerstand gegen die deutsche Sprache auf. Genauso erging es den übrigen preußischen Réfugiés-Gemeinden. So hatte sich deutsch als Gottesdienstsprache in den französisch-reformierten Gemeinden bis 1831 durchgesetzt.56

      I. 6 Grundlegende Reformideen der Dessauer Philanthropen und die Auswirkung auf den Musikeinsatz im Unterricht

      I. 6. 1 Hauchecorne, Rochow und Basedow als Wegbereiter des Philanthropismus

      Hauchecorne spielt nicht nur eine wichtige Rolle als Theologe, sondern auch als Pädagoge und Erzieher. In seiner autobiographischen Schrift Ma carrière pédagogique de cinquante ans stellt er seinen pädagogischen Werdegang vor. Hauchecorne kann als einer der „umtriebigsten Pädagogen der französischen Kolonie“ bezeichnet werden.1 Nachdem er das Französische Gymnasium in Berlin besucht hatte, studierte er Theologie am Séminaire und war als Repetitor für Griechisch in den höheren Klassen tätig.2 Seine besonderen pädagogischen Fähigkeiten3 bewies er als Katechet (Ministre catéchiste) der französisch-reformierten Gemeinde und an der École de Charité, am Waisenhaus sowie als Privatlehrer und Erzieher, als Inspektor des hugenottischen Schullehrerseminars (Pépinière des chantres et maîtres d’école). Nach Prüfung durch das französische Generaldirektorium gründete er sein eigenes Erziehungsinstitut, das in seinem Haus untergebracht und auf die Erziehung von Knaben aus gehobenen Familien des europäischen Adels ausgerichtet war.4 Unter seinen Schülern soll auch Heinrich von Kleist gewesen sein.5 In dieser sogenannten Ritterakademie6 wurden die Knaben in den Elementarfächern unterrichtet. Dieser Elementarunterricht ging weit über die Vermittlung der gängigen Bildungsrudimente hinaus.7 Seine Lehrbücher zeigen bereits realienkundliche Inhalte.8 In den höheren Klassen erfolgte eine Ausbildung entsprechend den beruflichen Vorstellungen der Zöglinge. Neben Latein, Französisch, Englisch, Deutsch, Geographie, Geschichte, Arithmetik, Zeichnen, dem Lesen nützlicher und geistreicher Bücher, Moral und biblischer Geschichte wurden unter anderem auch angewandte Mathematik,9 Experimentalphysik, Schifffahrt, Mechanik, militärische Baukunst und Landwirtschaft unterrichtet.

      Das im Unterricht erworbene theoretische Wissen wurde durch Ausflüge, Reisen und praktische Übungen gefestigt. Es zeigen sich aufklärerische und reformpädagogische Elemente und Ansätze von Künstlerwerkstätten, die später in Kerschensteiners Arbeitsschule und der Waldorfpädagogik Anwendung finden:10

      Ich bin davon überzeugt, […], dass für den Staat der größte Vortheil daraus erwächst, wenn seine Bürger in ihrer Jugend die gehörige Anleitung zur Thätigkeit, zu guten Sitten und menschenfreundlichen [meine Hervorhebung, A. R.]11 Gesinnungen erhalten haben. […]. Das Kind ist, wie die junge Pflanze, biegsam. Auch ohne harte Strafen, vermittels eines auf Achtung und Ernst gegründeten Ansehens, kann man eine zahlreiche Jugend an einen Grad von Folgsamkeit und Gehorsam gewöhnen.12

      Bereits im obenstehenden Zitat wird Hauchecornes Nähe zu den Philanthropen13 deutlich. Die Bewegung wurde von Johann Bernard Basedow initiiert, den Hauchecorne in Dessau persönlich kennen lernte.14

      Basedow hatte dort 1774 das berühmte Philanthropin gegründet, eine „Werkstätte der Menschenfreundschaft“.15 Es handelt sich um eine Versuchsschule mit Internat, deren Entwicklung von der an pädagogischen Reformen interessierten Öffentlichkeit verfolgt wurde.16 Die Philanthropen standen unter direktem Einfluss von Jean-Jacques Rousseaus Pädagogik vom Kinde aus, die mit seinem Émile ou de l’éducation „eine kopernikanische Wende“17 in der Entwicklung des Schulwesens und der Pädagogik markierten.

      1774, im gleichen Jahr wie Basedow, gründete Hauchecorne sein Pensionat und wendete hier seine pädagogischen Konzeptionen an: Wie Basedow setzt Hauchecorne auf strenge Disziplin, aber auch auf Fröhlichkeit und Kameradschaft. Die Leistungen sollten nicht durch Drohungen und Strafen gesteigert werden, sondern durch Lob und Freude am Unterricht. Nicht nur das theoretische Wissen, sondern die praktische Erfahrung im Umgang mit Realia und eigener Tätigkeit, Erkenntnissen und Erfahrungen durch Ausflüge in die Natur, Sport und die Aneignung nützlichen Wissens wurden zu Eckpfeilern in der Elementarbildung der Kinder.18

      Aufklärerische Pädagogik sollte eine Antwort auf politisch-soziale Probleme geben. So entwickelte der Aufklärungspädagoge und Schulreformer Friedrich Eberhard von Rochow eine reformorientierte Pädagogik und Schulpolitik mithilfe seines Konzepts einer „rationalen Elementarbildung für den ‚gemeinen Mann‘ auf dem Lande und errichtete auf seinem Gut Reckahn eine Musterschule.19 Rochows pädagogische Konzeption bot neben der Elementarbildung im Lesen, Schreiben, Rechnen sowie dem Katechismus vor allem praktische handwerkliche Tätigkeiten, durch die die Kinder zu Arbeitsamkeit, Fleiß, Ordnung und Pünktlichkeit erzogen wurden.

      Ein bisher noch wenig berücksichtigter Aspekt ist Rochows Wertschätzung des Singens als Teil der Elementarbildung. Auch die Mädchenbildung wurde gefördert. In den Mädchenschulen sollten die künftigen Vorsteherinnen des Hauswesens die nötigen Kenntnisse der Hauswirtschaft erlernen.20 1776, also zwei Jahre nach Eröffnung des Basdowschen Philantropins und von Hauchecornes Pensionatsschule erscheint von Rochows Kinderfreund.21 Schon im Titel wird die Rousseausche Konzeption des Autors deutlich. Hauchecorne überträgt das pädagogische Werk zusammen mit dem hugenottischen Pfarrer Samuel Henri Catel ins Französische. Es erscheint 1778 in Berlin in der französischen Kolonie bei Starcke unter dem Titel L’Ami des enfans à l’usage des écoles in zwei Bänden.

      Die französische Version sollte als Lehr- und Lesebuch kostenlos verteilt werden an die Kinder der Maison des orphelins und der École de la Charité in Berlin: „Notre but étoit de leur offrir [aux enfants, A. R.] à la fois un manuel de lecture & un cours de Morale pratique, proportionné à leur âge & à leur capacité.“22 Das Lehrbuch beginnt mit einer Gebetsammlung für Kinder: 1. Prière pour les enfans, 2. Prière avant le repas, 3. L’enfant sincère und kurzen Geschichten und Parabeln. Am Ende schließt sich ein Psalm, ein Bibelspruch oder eine Moral in der Tradition des Exemplums an. In 4. La fille d’enfans geht es um die soziale Empathie der maîtresse d’école, die ein armes Mädchen kostenlos unterrichtet:

      Dieu veut que nous ayons compassion des pauvres, & le plus grand bien qu’on puisse faire à quelqu’un, c’est de l’instruire. Depuis ce tems elle envoya régulièrement la jeune fille à l’école, pendant quelques heures de la semaine, & plus elle s’instruisoit, plus elle travailloit avec ardeur & fidélité.23

      Im letzten Absatz folgt dann das Bibelzitat, mit dem der Leser, also das Schulkind direkt angesprochen werden soll: „Aye soin non seulement de tes propres enfans, mais des enfans d’autrui. Prov. XIX. 17.“24 Das Leben auf dem Gut Reckahn stellt einen pädagogischen Gegenentwurf zur traditionellen Schule dar. Es sollte eine freie, kindgerechte Erziehung ermöglichen mit dem Ziel, die Schüler glücklich25 zu machen, unabhängig von der finanziellen Situation der Familie.