Andreas Rauch

Musikeinsatz im Französischunterricht


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wobei man mit dieser häufig bis ans Lebensende Probleme hatte; einer etwa eine Generation währenden wirklichen Zweisprachigkeit folgte eine Phase der ‚Eindeutschung’; d. h. des Übergangs der Kolonie von der französischen zur deutschen Sprache, der sich über mehrere Generationen erstreckte.34

      Dieses Drei-Phasen-Modell EinsprachigkeitZweisprachigkeitEinsprachigkeit wird von Böhm zu einem longue-durée-Modell ergänzt, „da der Sprachwechsel je nach Medialität, soziokulturellen und lokalen Bedingungen unterschiedlich dauerte.“35 Susanne Lachenicht unterstreicht Böhms Aussage, dass nicht von einem Modell auszugehen ist, nach dem

      innerhalb von drei Generationen von französischer Einsprachigkeit zu deutsch-französischer Diglossie und dann zu deutscher Einsprachigkeit übergegangen wurde (im Kontext Brandenburg-Preußens), sondern zunächst von asymmetrischer Mehrsprachigkeit zum Zeitpunkt der Einwanderung (Patois und Französisch, Letzteres vor allem als Gottesdienstsprache) […]. In der zweiten und dritten Generation zeichnen sich zunehmende und in der dritten und vierten Generation wieder abnehmende Mehrsprachigkeit ab (Plattdeutsch mündlich auf dem Land, Hochdeutsch oder Berlinerisch mündlich in Berlin sowie Hochdeutsch als Schriftsprache auf dem Land und in der Stadt, wenn Alphabetisierung vorlag, und Französisch als zunehmend passiv beherrschte Kultsprache bei der Mehrheit der Réfugiés, wobei sich hier je nach sozialer Schicht (und auch auf individueller Ebene) wiederum gravierende Unterschiede festellen lassen.36

      Im Gegensatz zur oben beschriebenen Sprachenfrage zeigte sich die französisch reformierte Konfession als religiöser Bereich als viel stabilere und konservativere Komponente in der hugenottischen Identitätskonstruktion. Böhm begründet das mit der Rolle der reformierten Kirche als letzter Bastion des Sprachenwechsels.37 Hartweg berichtet über das

      Dilemma einer Gruppierung, die durch ihre religiös bestimmte Zusammengehörigkeit definiert und ihre Existenz durch die Eingriffe der politischen Macht als gefährlich empfindet und daher ihre Sprache als Legitimierungsmoment verteidigt, obwohl sie dadurch ein wesentliches Element ihrer geistlichen Aufgabe, nämlich die Verkündigung und die Seelsorge verkümmern läßt und dadurch z. T. ihre Existenzberechtigung oder zumindest ihren Sonderstatus einbüßt […].38

      Starke Diskussionen gab es darüber, ob deutsche Predigten in den französischen Kirchen Berlins eingeführt werden sollten, da es häufig Klagen über fehlende Französischkenntnisse bei den Kindern gab. Dieser Vorschlag wurde abgewiesen, da er „gefährlich und seine Folgen für die Erhaltung unserer Kirche nachteilig sein konnten.“39 Um der Gefahr der „Eindeutschung“ zu begegnen, wurde seitens der Berliner hugenottischen kirchlichen Behörden die französische Sprache zum wichtigsten Identifikationselement, um den Sonderstatus zu wahren. Hartweg schreibt dazu:

      Das Singen der französischen Psalmen und nicht der Lieder des deutschen Gesangbuchs, das Französische als „lingua sacra“, was keineswegs den Gebrauch des Deutschen im Alltag ausschloß, hatten symbolischen Wert, dessen Verlust die geistige Identität gefährdete.40

      Das Sprachenproblem blieb jedoch auf der Tagesordnung, was ein Beschluss aus dem Jahr 1781 beweist, zweisprachige Ausgaben des Neuen Testaments mit französischem Text und deutscher Übersetzung anzuschaffen.41

      In diesem Zusammenhang wurde auch der Katechismus und der Goudimelsche psaultier huguenot verwendet, an dessen Stelle am Ende des 18. Jahrhunderts das livre de cantiques trat.42 Wie bei den Lutheranern spielte die Übersetzung der Bibel in die Volkssprache eine zentrale Rolle. Der calvinistische Gottesdienst war streng und nahe am Bibelwort ausgerichtet. So basierte die Predigt auf einer vom Pastor ausgewählten Bibeltextstelle, die von Bibellesungen, Liedern und Gebeten illustriert wurden. Der Psalm galt für die Reformierten als gesungenes Gebet und der Hugenottenpsalter als ein wichtiger Bestandteil hugenottischer Frömmigkeit. Die Psalmen wurden seit dem 16. Jahrhundert gesungen,43 und das galt auch für den Unterricht. Der Genfer Katechismus von Calvin bildete die Grundlage der Instruktion der Jugend im brandenburgischen Refuge und war damit auch das wichtigste Lehrbuch, nicht nur im Katechismusunterricht. Bei den Bibelausgaben reichte bald eine zweisprachige Ausgabe nicht mehr aus. Böhm zeigt anhand der Schulgeschichte der Hugenottenkolonie in Strasburg bei Berlin, dass man hier in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die deutsche Übersetzung angeschafft haben muss.44 Noch im Jahr 1783 hatte das Berliner Konsistorium im Bereich des Liedgutes und Psalmengesangs eine Neuauflage der vom hugenottischen Pastor Hauchecorne45 herausgegebenen Psalmensammlung beschlossen.46 Ab 1791 wechselte die Berliner Gemeinde zu einem neuen, von den Pastoren Hauchecorne und Henry herausgegebenen Gesangbuch, das „nur noch einen Teil der Psalmen, dafür aber 40 hymnes und 95 cantiques in französischer Sprache enthielt, die nach deutschen Melodien gesungen wurden.“47 Die beiden Herausgeber argumentierten dazu im Vorwort, dass dieses neue Gesangbuch notwendig geworden sei, weil „die Psalmen veraltete Redewendungen enthielten und für nunmehr fremd gewordene Verhältnisse stünden.“48 Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden keine eigenen Gesangsbücher mehr gedruckt und die Berliner reformierte Gemeinde übernahm für die deutschsprachigen Gottesdienste auch die deutschen Gesangsbücher.49

      Abb. 7:

      Daniel Nikolaus CHODOWIECKI, Nations, loués le Seigneur! In: Les Pseaumes de David en Vers avec des prières aux dépens de la Compagnie du Consistoire. Berlin: G. J. Decker, Imprimeur du Roi, 1783. Titel-Kupfer zu den Psalmen. Radierung 1782. Wieder abgedruckt in: Jens-Heiner BAUER, Daniel Nikolaus Chodowiecki. Das druckgrafische Werk. Hannover: Verlag Galerie J. H. Bauer 1982, S. 146, Tafel 964.

      Der Akademiesekretär Jean-Henri Samuel Formey berichtete 1785 in einer Rede zum 100jährigen Jubiläum des Potsdamer Edikts über seine Sprachkenntnisse und die der ersten Generation der Réfugiés. Er habe die deutsche Sprache wie eine tote Sprache gelernt. Parallel dazu bestätigte er, dass das Französische vielerorts in den ursprünglichen Hugenottengemeinden nicht mehr verstanden würde:

      Encore assez imparfaitement, pour la conversation, [on apprend la langue allemande, A.R.], comme on apprend les langues mortes. […]. Pour les Réfugiés qui n’ont pas eu ces raisons & ces occasions de parler allemand, on les a vus mourir dans l’âge le plus avancé, ne sachant que leur langue, ou même leur patois. Quelques uns d’entr’eux, quand on leur fasoit des reproches à ce sujet, repondoient: Que peut-on apprendre en cinquante ans. […] Je n’ignore pas que plusieurs causes ont diminué les troupeaux, & qu’une des principales est le mélange des deux Nations, qui a fait passer plusieurs membres de nos Eglises dans les Eglises Allemandes des villes, & encore plus de la campagne. Cette langue que les premiers Réfugiés ne pouvoient apprendre, a pris tellement le dessus que la langue maternelle à son tour est devenue inintelligible, & qu’en bien des endroits on ne peut plus s’en servir pour l’instruction des Catéchumes.50

      In den politischen Umwälzungen 1814 kam es zu einer für den Fortbestand der französischen Kirche entscheidenden Debatte zwischen den beiden französisch reformierten Pastoren David Louis Théremin und Jean Henry. Théremin51 hatte in einer (bezeichnenderweise auf deutsch verfassten) Streitschrift die zentrale Frage aufgeworfen:

      Ist es aber vernünftig, daß dieser Gottesdienst in französischer Sprache noch fortdaure, wenn schon der größte Theil der Gemeinen von dieser Sprache nichts mehr verstehet und sich unmöglich in derselben erbauen kann? Betet man Gott an, wenn man nicht weiß, was man hört oder was man selbst spricht?52

      Die französische Sprache war nach Théremin damit zur reinen Gottesdienstsprache geworden: „im gemeinen Leben spricht sie schon Niemand mehr.“53

      Gleichzeitig lehnt Théremin den Einsatz der französischen Sprache im Religionsunterricht ab. Der Lehrer sollte

      sich zu