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Exil und Heimatferne in der Literatur des Humanismus von Petrarca bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts


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Die zweite Begebenheit aus der Antike, auf die Filelfo Bezug nimmt, ist die Ermordung des makedonischen Königs Philipp II. durch Pausanias, einem Mitglied seiner Leibwache. Auch Pausanias kam so zu einem viele Jahrhunderte währenden Nachruhm – man beachte die abbildende Wortstellung clarum longa in saecula nomen –, den er auf rechtschaffene Weise niemals erworben hätte.

      Als unausgesprochener Dritter in dieser Reihe fungiert Cosimo, doch fehlt seinen Untaten das Format, um von sich aus ewige Berühmtheit zu erlangen. Dass sich aushilfsweise Filelfos Satyrae um Cosimos Ruhm bemühen, weiß dieser freilich nicht zu schätzen. Statt sich Filelfo dankbar zu erweisen, ersinne er dessen Tod: Ipse tuae studeo famae; tu, perfidus, atrum / ingratusque mihi loetum struis aere doloque (23–24). Mit dem Begriffspaar aere doloque wird eindeutig darauf angespielt, dass Cosimo einen Auftragsmörder engagiert habe.31 In nur zwei kurzen Versen wird er so als treuloser und undankbarer Mörder charakterisiert, der voller Arglist selbst davor nicht zurückschreckt, andere durch Bestechung zu Verbrechen anzustiften. Dies sei jedoch bloße Geldverschwendung: Nil tamen efficias: nummos consumis et artem (25). Seien ihm, Filelfo, die Sterne nämlich günstig gesonnen, verhindern sie ohnehin die feram necem und Cosimo bemühe sich vergeblich; bedrohen sie ihn aber mit dem Tod, dann würden Filelfos cautio et ingenii vigor indefessus sowie seine acris cura und sein labor vigil nicht zulassen, dass die saeva astra sich durchsetzten (26–27). Auf diese Weise wird Cosimo die Macht über Leben und Tod genommen, die dieser zu haben glaubt. Filelfo schreibt sie stattdessen teils dem Schicksal, teils sich selbst zu. Voll Ironie sich auf die Kosten-Nutzen-Rechnung einer elenden Kaufmannsseele einlassend, fordert der Humanist den Bänker Cosimo wenig später dazu auf, das Geld und Gold, mit dem er die Heimat unterdrücke, lieber zu sparen: Nummis parce tuis, patriam quibus opprimis; auro / parce, quadruplator! (32–33a).

      Im Anschluss flicht Filelfo allgemeine Gedanken über den Tod ein, der nur ein Mittel sei, um die Seele aus ihrem Gefängnis, dem Körper, zu befreien und sie dorthin zurückkehren zu lassen, von wo sie gekommen sei (33–50). Der Exkurs leitet inhaltlich geschickt zur zweiten Hälfte der Satire über, wo sich zunächst die Reihe der rhetorischen Fragen fortsetzt: Quidnam mihi triste minaris / adventare canens supremi temporis horam, / […]? / Num biberis Clarii, dic vates, numinis undas? Nachdem Filelfo hat wissen wollen, warum ihm Cosimo seine letzte Stunde androhe, fragt er ihn ironisch, ob er von der Quelle des Clarius, ein Beiname des Wahrsagegottes Apoll, getrunken habe, und nennt ihn einen Propheten, vates (50–53), um gleich darauf seinerseits eine unheilvolle Warnung auszusprechen: Verum / oro, cave ne te brevior iam deserat annus (54b–55). Cosimo möge sich vorsehen, dass er nicht selbst bald sterben werde. Fast genau in der Mitte des Gedichts, das wie jede Filelfische Satyra hundert Verse zählt, erfolgt eine Art Peripetie. Der Dichter, der in Anlehnung an Ovids Ibis selbst zum vates zu werden scheint,32 spricht eine Mahnung aus, die eigentlich das Gegenteil impliziert. Das, wovor er den Adressaten warnt, entspricht dem, was er sich in Wahrheit erhofft, wie die nachfolgenden Verse explizit bestätigen: Illa mihi magna est magni faciunda voluptas, / quod te summa quidem nobis auctoribus unum / pestis perniciesque manet (56–58a). Dass Cosimo Tod und Untergang drohen, pestis perniciesque, und zwar auf Veranlassung Filelfos, bereitet diesem das größte Vergnügen, voluptas. Tatsächlich hatte sich der Humanist 1436 mit anderen Exilierten zusammengeschlossen, um erstmals konkrete Schritte gegen Cosimo und seine Anhänger zu unternehmen.33 Die Gruppe setzte ihrerseits einen Meuchelmörder auf Cosimo, Marsuppini und Girolamo Broccardi an, worauf die Formulierung nobis auctoribus anspielt. Doch die Anschläge scheiterten allesamt, woraufhin Filelfo auch offiziell verurteilt, d.h. aus Florenz verbannt wurde.

      Was in den nachfolgenden Versen geschildert wird, erinnert an ein apokalyptisches Szenario oder an Kampfszenen aus den großen Epen. Zu Lande und zu Wasser klirren die Waffen, die Kriegsgöttin Bellona drängt, Mars spornt die Pferde an: Terraque marique / arma fremunt, Bellona premit, Mars ferreus ultro / urget equos (58b–60a). In Parallele zur Formulierung Bellona premit ist der Satz cuncti premunt: odiis te iustis, baelua, cuncti, / tetra, probi poenisque premunt gesetzt (60b–61a). Cosimo wird zu einer hässlichen Bestie erklärt, der alle Tüchtigen mit gerechtem Hass und Strafen zusetzten.34 Auffällig ist hierbei die p-Alliteration, probi poenisque premunt, die bereits in Vers 58 mit pestis perniciesque eingeführt wurde. Der Plosivlaut vermittelt den Eindruck, als würde Filelfo die Worte geradezu ausspucken. Eine weitere Vorhersage im gleichen Tenor folgt auf dem Fuß: Dabis, impie, dignum / supplicium patriae atque bonis, nec longa moratur / hora (61b–63a). Cosimo, der hier mit dem Vokativ impie bedacht wird, würde schon bald eine Strafe ereilen, die seiner Heimat und den Guten würdig sei.

      Die unheilvolle Atmosphäre erreicht gleich darauf ihren Höhepunkt (63–67):

      Brevi videas ardenti forcipe corpus,

      Munde, tuum, periture, trahi tremulumque secari

      undique membratim, spectantibus undique plausu

      civibus et superum magnae solventibus arae

      vota piosque greges pro libertate recepta.

      (In Kürze mögest du, todgeweihter Mundus, sehen, wie dein zitternder Körper mit einer glühenden Zange auseinandergezogen und stückweise an allen Seiten zerschnitten wird, während die Bürger zuschauen und von allen Seiten Beifall klatschen und während sie am großen Altar der Götter Gelübde erfüllen und gottgefällige Herden opfern für die wiedererlangte Freiheit).

      Durch eine genüsslich-sadistische Beschreibung, wie Cosimo grausam zu Tode kommen wird, entlädt sich der ganze Hass, den Filelfo gegen den Mann hegt, der einen Meuchelmörder für seine Ermordung angeheuert hat. Sowohl der Ton als auch die detailgetreue Darstellung der Szene erinnern stark an Ovids Ibis.35 Bereits im ersten Vers wird das ‚Todeswerkzeug‘ genannt, eine glühende Zange, ardenti forcipe, mit der zuerst an Mundus’ zitterndem Körper, corpus tremulum, gezogen wird, trahi, bevor dieser Stück für Stück, Glied für Glied, membratim, zerrissen bzw. wörtlich: „zerschnitten“ wird, secari.36 Der angesprochene Cosimo, Munde, erhält das Attribut periture, „der du zugrunde gehen wirst“. Die t-Alliteration von tuum […] trahi tremulumque bildet die affektive Betroffenheit des Sprechers ebenso ab wie die oben erwähnte des p-Lauts. Cosimos Folter und Hinrichtung spielen sich unter Applaus seiner zuschauenden Mitbürger ab, spectantibus […] plausu civibus,37 die als Dank für die wiedererworbene Freiheit, libertate recepta, die dafür gelobten Votivgaben darbringen und Tiere opfern. Cosimos Tod bereitet also nicht nur dem Dichter Freude (vgl. voluptas in v. 56), sondern auch den Florentinern, die endlich von einem schrecklichen Ungeheuer befreit sind.38 Obgleich Filelfo ein ihm als Individuum widerfahrenes Verbrechen zum Anlass der Satire nahm, verknüpft er sein persönliches Schicksal mit demjenigen eines Kollektivs, der Bürger von Florenz.

      Die von Filelfo für Cosimo imaginierte Hinrichtung entspricht zugleich der Bestrafung, die von den Florentiner Statuten von 1415 für Staatsumstürzler vorgesehen war.39 Der Dichter stellt sich somit einen Tod vor, den üblicherweise ‚Revolutionäre‘ erleiden mussten, ja er selbst würde der Hinrichtung zuschauen, wobei der gefesselte Cosimo ihn vom hohen Wagen aus sehen und um Gnade flehen würde: Ipse tuam spectabo necem, quemque, impie, porro / audis invitus curru spectabis ab alto / vinctus, et ‚Oh!‘ clamans ‚Miseri, miserescite Mundi!‘ (70–72).40 Zum wiederholten Male wird hier der Adressat der Invektive mit impie angesprochen, und die Fügung tuam necem nimmt auf feram necem aus Vers 28 Bezug, mit dem Unterschied, dass es jetzt um Cosimos öffentliche Exekution, nicht um Filelfos hinterhältige Ermordung geht. Der Einsatz der direkten Rede gestaltet die Schilderung sehr lebhaft und zeugt von der emotionalen Ergriffenheit des Sprechers, der Cosimo anschließend die Frage stellt, wie er sich wohl dereinst fühlen wird, wenn er ihn sieht und sich daran erinnert, dass er ihm sein Schicksal vorausgesagt hatte (73–77):

      Quid tibi tunc animi cum me prope videris, olim

      quem ventura tibi noris cecinisse latroni

      fata, quibus lueres commissa piacula dirus

      proditor, eversor patriae,