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Exil und Heimatferne in der Literatur des Humanismus von Petrarca bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts


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      (Wie ist dir dann ums Herz, wenn du mich aus der Nähe siehst, und den erkennst, der dir, dem Dieb, gesungen hat, dass der Tod kommen wird, mit dem du die begangenen Verbrechen büßen wirst, unheilvoller Verräter, Zerstörer des Vaterlandes, und allen, die die goldene Tugend schmückt, ein gottloser und bedrohlicher Feind?).

      An dieser Stelle wird Cosimo als latro bezeichnet (74), womit Filelfo den Invektiventopos des Diebstahls bedient.41 Schwerwiegend und traditionsreich sind auch die Beschimpfungen als dirus proditor, als eversor patriae und cunctisque profanus hostis et infestus (75–77), wobei das Adjektiv dirus den Vokativ dire aus Vers 1 wieder aufnimmt und proditor ebenso wie eversor mit dem Genitivattribut patriae zu verbinden ist: Cosimo wird zum Verräter und Vernichter des Vaterlands gestempelt,42 das Filelfo ebenso wie viele andere durch dessen Schuld verlassen musste. Zudem sei Cosimo allen, die sich durch die goldene Tugend, aurea virtus, auszeichneten, ein frevelhafter und bedrohlicher Feind (77), eine Gegnerschaft, die impliziert, dass er als Vertreter des vitium angesehen werden muss.43 Die nächste Frage enthält die erneute Anschuldigung, dass es Cosimo zusetze, dass Filelfo den Exilanten finanzielle Unterstützung zukommen lasse, exulibusne doles, quoniam substantia quantum / nostra sinit praebemus opem monitisque favemus? (78–79), gefolgt von den provozierenden Fragen Odisti officium? Virtus tibi pulchra dolori est? (80). Das Thema moralischer Rechtschaffenheit, virtus, wird hier weitergeführt, wobei ihr diesmal das Attribut pulchra als variatio zum vorherigen aurea zugeteilt wird. Die virtus anderer ist für Cosimo etwas, das ihm Schmerz bereite, und auch pflichtbewusster Hilfsbereitschaft, officium, begegne er mit Hass. Der florentinische Machthaber erscheint so als Gegenbild eines ciceronischen vir bonus.

      Sollte der Leser geglaubt haben, dass der Höhepunkt Filelfischer Bosheit bereits mit dessen Beschreibung von Cosimos grausamem Tod erreicht worden sei (63–67), so sieht er sich nun in den Versen 81–82 getäuscht, die das bisher Vorgetragene um Facetten grober Gemeinheit und Obszönität bereichern: Oderis et doleas, rumparis, et intima laxent / pendentis testes cum spurco viscera pene. Die konzessiven Konjunktive oderis und doleas nehmen das Vokabular aus Vers 80 wieder auf. Das nachfolgende rumparis kann entweder rückbezogen werden und dann psychisch so viel wie „du sollst vor Missgunst platzen“44 bedeuten oder aber es markiert eine physische Verletzung, die mit dem anschließenden Wunsch korrespondiert, Cosimos Geschlechtsteile mögen funktionslos werden. Mit diesem direkten Angriff auf Cosimos Männlichkeit scheint Filelfo jegliche Hemmung und Respekt verloren zu haben – Nisard spricht sogar von „science pornographique“ –, zugleich bewegt er sich jedoch in den vorgezeichneten Bahnen antiker Invektiventopik.45

      Ab Vers 83 schildert Filelfo die Verurteilung des sicarius Philipp, der vergeblich um die Hilfe seines Auftraggebers Mundus fleht. Auch Philipps Bestrafung erfolgt unter Beifall des Volkes, populi plausu (89), womit ein klarer Rückbezug zu Vers 65 und damit eine Parallelität zwischen Cosimo und dem Meuchelmörder hergestellt wird. Philipp wird jene rechte Hand abgeschnitten, mit der er einst auf Anweisung des Medici Filelfos Gesicht verwundet und durch eine Narbe entstellt hatte: Flaenti truncatur dextra Philippo / illa tuo faciem qua dudum vulnere nobis / foederat (92b–94a). Abschließend wird Cosimo ermahnt, er solle sich endlich seinem Verbrechen stellen und sich daran erinnern, dass es eine göttliche Macht gebe, der nichts verborgen bleibe, die den ganzen Geist sehe, Geheimnisse erkenne und über alles urteile und die dem Schuldigen und dem Frommen gleichermaßen zurückerstatten würde, was sie verdienen (96–100a):

      Pone modum sceleri tandem, numenque memento

      esse aliquod latuisse nihil quod possit, et omnem

      quod videat mentem secretaque cernat, et omnes

      iudicet, ac referat pariter sontique pioque

      pro meritis.

      Der Schlussvers der Satire verdeutlicht jedoch durch das nachklappende Surdo narratur fabula Mundo (100b) die Sinnlosigkeit der Ermahnung: Mundus bleibt für Filelfos Worte taub. Dass er kein aktiver Zuhörer ist, wird durch die Passivkonstruktion unterstrichen. Der Dichter scheint, erschöpft nach all den Beleidigungen und Verunglimpfungen, zu resignieren. Zugleich schließt sich mit dem letzten Wort, Mundo, der Kreis zum Anfang der Satire, die mit dem Vokativ Munde (1) begann.

      Fassen wir zusammen: Filelfo nimmt das Attentat von 1436 als Ausgangspunkt für eine scharfe Invektive gegen Cosimo de Medici, den er mit Munde (1; 35; 64), perdite (6), improbe (14 und 16), perfidus (23), ingratus (24), quadruplator (33), vates (54), baelua tetra (60–61), impie (61 und 70), dirus proditor, eversor patriae, profanus hostis et infestus (75–77) anspricht. Die häufige und regelmäßige Verwendung von Schimpfwörtern und Verheißungen trägt zu dessen ausschließlich negativem Gesamtbild bei. Mundus ist für Filelfo nicht nur die Person, die ihn tot sehen wollte, sondern auch ein Verräter des Vaterlandes, verantwortlich für das schwere Schicksal zahlreicher Menschen, die seinetwegen ins Exil gehen mussten. Filelfo, selbst davon betroffen, unterstützt die Exilanten finanziell und durch Ratschläge und glaubt daher, Cosimo ein Dorn im Auge zu sein. Auch quält er ihn angeblich mit seinen Satiren. So entsteht der Eindruck eines leidtragenden Cosimos, der Filelfos Existenz sowie seine Invektiven ertragen muss. Der Satiriker spricht sich auf diese Weise sehr viel Macht zu, indem er meint, Einfluss auf seinen Antagonisten auszuüben. Jegliche Hoffnung auf Besserung Cosimos, Inbegriff des vitium, wird jedoch am Ende der Satire ausgeschlossen, da dieser als surdus die Anschuldigungen gegen ihn gar nicht hören kann bzw. will.

      Filelfo lässt Cosimo im Rahmen der Satyra 5, 6 qualvolle Torturen erleiden und einen grausamen Tod sterben, womit er die Rollen gewissermaßen neu verteilt bzw. vertauscht: Der Mann, der dem Dichter angeblich nach dem Leben trachtete, wird zu demjenigen, der stirbt, während die ursprüngliche Zielscheibe geplanter Mordanschläge als Zuschauer danebensteht. Die Darstellung dieser imaginierten Hinrichtung ist voller Hass und Pathos und lässt die starke emotionale Involviertheit des Autors erkennen. Filelfos Wunschvorstellung entspricht nicht der Realität,46 sie wird jedoch, zumindest zum Teil, in der tatsächlich vollzogenen Handamputation Philipps, der gewissermaßen als Stellvertreter Cosimos fungiert, realisiert.

      Das Exil gewinnt vor dem Hintergrund des zweiten Mordanschlags bei Filelfo eine neue Dimension: Obgleich er sich in Siena, fern des eigentlichen Konfliktherds Florenz, wohl größtenteils in Sicherheit wiegte, machten die Mordabsichten seiner Gegner nicht einmal vor dieser ‚Grenze‘ Halt. Räumlich nicht weit genug von der Arnostadt entfernt gelegen, bot Siena für Filelfo keinen Ort der absoluten Sicherheit, was ihm wohl auch bewusst war. Der sicarius Philipp hat diese geographische, aber auch metaphorische Grenze überschritten und somit Filelfos Lebenswelt in Siena mit jener in Florenz verschmelzen und eins werden lassen.

      Das Exil war zwar ursprünglich nicht eine Bestrafung, die jemand aktiv über ihn verhängt hatte, sondern ‚freie‘ Wahl, insofern man diesen Begriff für Filelfos Situation, mit der er sich bei der Rückkehr der Medici konfrontiert sah, anwenden kann. Dennoch war es durch die Umstände erzwungen und notwendig. Einzig seine Meinungsfreiheit ließ er sich auch im Exil nicht nehmen, wie die Satyra 5, 6 bestens vor Augen führt. Eben diese wurde ihm jedoch beinahe zum Verhängnis, denn Cosimos Haltung gegenüber den Werken der Humanisten kann als widersprüchlich bezeichnet werden: Einerseits gab er sich als gönnerhafter Mäzen und Förderer der Literatur, andrerseits tolerierte er diese – was den Inhalt betraf – nur bis zu einem gewissen Punkt.47 Gerade dieser Aspekt, das Thema der Meinungsfreiheit, verleiht der Satyra 5, 6 auch in heutiger Zeit große Aktualität.

      Festzuhalten sind einige Parallelitäten zwischen dem politischen Machthaber Cosimo und dem Humanisten Filelfo. Zunächst wechselten sie sich im wirklichen Leben mit dem Exil ab: Cosimo kehrte aus seinem zurück, woraufhin jenes Filelfos seinen Anfang nahm. Man könnte beinahe sagen, dass Filelfo die Rolle von Cosimo als Exilanten übernahm. In der fiktiven Welt der Satire übernimmt hingegen Cosimo Filelfos Rolle als Todgeweihter, d.h. er ist nun derjenige, nach dessen Leben getrachtet wird. Die Schicksale der beiden werden so auf einer Metaebene von Literatur und Realität miteinander verflochten.

      Auch