Maßstabe dar[stellt]“ (MW 2, 16). Der Künstler17 schafft das die Schönheit der in sich vollendeten Natur spiegelnd aktualisierende Kunstwerk und ist deshalb der Gipfel der SchöpfungSchöpfung, der Würdigste unter allen Würdigen (vgl. MW 2, 17);18 durch die „Betrachtung [der] Kunstwerke“ kann wiederum der „menschliche Geist“ „veredelt und verfeinert werden“ (MW 2, 18).19 Zudem nimmt Moritz die von KantKant, Immanuel kurz zuvor formulierte Selbstzweckformel auf: „Der einzelne Mensch muß schlechterdings niemals als ein bloß nützliches sondern zugleich als ein edles Wesen betrachtet werden, das seinen eigentümlichen Wert in sich selbst hat […]“ (MW 2, 19; Herv. i.O.). Die Selbstzweckhaftigkeit aller „denkenden Wesen“, die wiederum eine prinzipielle Gleichheit aller Menschen insinuiert, muss der Mensch „empfinden“ und „fühlen“ (!) (MW 2, 18). Grund dieser Selbstzweckhaftigkeit ist die Tatsache, dass der menschliche Geist „ein in sich selbst vollendetes Ganze [sic]“ ist (MW 2, 19) – und genau das ist Moritzʼ Definition der genuin ästhetischen, von allen Nützlichkeitsabwägungen freien Qualität eines Kunstwerks.20
MoritzMoritz, Karl Philipp parallelisiert somit die Würde des Menschen mit der Würde des Kunstwerks. Noch deutlicher als oben wird die Menschenwürde zu einem ästhetischen Begriff: Zwar wird sie argumentativ begründet und definiert als Selbstzweckhaftigkeit des rationalenRationalität und schöpferischen Menschen, der – in seiner Rationalität! – ein in sich selbst vollendetes Ganzes ist, vom Einzelnen jedoch soll sie mit den unteren Erkenntnisvermögen sinnlichSinnlichkeit empfunden werden. In seiner großen ästhetischen Programmschrift Über die bildende Nachahmung des Schönen, während Moritzʼ Italienreise entstanden und 1788 publiziert, erhält das Verhältnis von Schönheit, KunstKunst, Künstler und Menschenwürde schließlich eine folgenschwere Präzision. Der Text, eine für die Weimarer Klassik grundlegende ästhetische Positionierung, postuliert die AutonomieAutonomie der Kunst sowie die Zweckfreiheit des Schönen und explizitiert die bereits in Moritzʼ früheren Schriften umrissene Vorstellung, dass das Schöne ein nicht rational, sondern ausschließlich mit den unteren Erkenntnisvermögen erfassbares Phänomen ist.21
Zunächst taucht die Vokabel „Würde“ auf, als MoritzMoritz, Karl Philipp das Verhältnis zwischen den Begriffen „schön“ und „edel“ untersucht. Zwar beziehe sich dieser auf die „innre Seelenschönheit“, jener auf die „Schönheit auf der Oberfläche“, und deshalb bedürfe der Mensch, „um edel zu sein, der körperlichenKörper Schönheit nicht“. Trotzdem sei – eine Art physiognomische Gleichung – die äußere ein Spiegel innerer Schönheit, die Moritz auch als „innere Seelenwürde“ bezeichnet. Diese Korrelation dient sogar als Erklärung des „edlen Stils in Kunstwerken“; diesen bestimmt Moritz als Schönheit, die zugleich die „innre Seelenwürde des hervorbringenden Genies“ sichtbar macht (MW 2, 961). Diese eigentlich recht konventionelle Argumentation in der Tradition Winckelmanns und der Antikerezeption des 18. Jahrhunderts22 weist dem Begriff der Würde im Kontext der Ästhetik einen bestimmten Rang zu: Die Seelenwürde als Synonym des Edlen bezeichnet eine Art erhabene Würde, eine ethische Grundhaltung, die innere Größe – oder, um einen strapazierten Begriff zu benutzen: die HumanitätHumanität – eines Menschen. Durch diesen „Mittelbegriff des Edeln“, so Moritz, „wird der Begriff des Schönen […] zum Moralischen hinübergezogen und gleichsam daran festgekettet“ (MW 2, 962). Dieser enge Würdebegriff hat Auswirkungen darauf, was als schön gelten darf. Gleichzeitig ist er mit einem ganz konkreten Ideal verbunden: Die „höchste[] Mischung“ von äußerer und innerer Schönheit, „da wo das äußere Schöne ganz in Ausdruck innrer Würde und Hoheit übergeht“ (MW 2, 968), kennzeichnet Moritz als das „Majestätische“. Dieses ist der Gipfel der Schönheit und, realiter, der SchöpfungSchöpfung, mithin auch der Menschheit. Von dem tendenziell integrativen Würdebegriff des Erfahrungsseelenkundlers unterscheidet sich diese Würde merklich.
Doch von viel größerer Tragweite als die Bedeutungsverengung an dieser Stelle ist die Verbindung von Ästhetik und Geschichtsphilosophie, die den Schluss des Textes prägt und die Vorstellung der Menschenwürde und der unbedingten Hochschätzung des IndividuumsIndividuum und seiner Selbstzweckhaftigkeit vollkommen zu kompromittieren scheint. Ausgangspunkt ist die Idee eines universellen Naturzusammenhangs, in dem alle Dinge und Wesen verkettet sind und den ein ständiger Vollendungsprozess in Bewegung hält. Dieser Vollendungs- oder Vervollkommnungsprozess basiert auf den Prinzipien Zerstörung und Bildung: „Daher ergreift jede höhere Organisation, ihrer Natur nach, die ihr untergeordnete, und trägt sie in ihr Wesen über“ (MW 2, 979).23 Von diesem Naturgesetz ist der Mensch nicht ausgenommen. Entsprechend rücken das Leiden und die Zerstörung des Individuums in den Fokus – und ihre mögliche ästhetische Rechtfertigung.24 „[D]as Individuum muß dulden, wenn die Gattung sich erheben soll“; letzteres ist notwendig, weil sie ihren „Endzweck […] nicht mehr außer sich, sondern in sich hat“ und deshalb „bis zur Empfindung und Hervorbringung des Schönen, sich in sich selber vollenden muß“ (MW 2, 985; Herv. i.O.). Die Selbstzweckhaftigkeit des Individuums überlagert der Endzweck der Gattung; diesen Endzweck beschreibt MoritzMoritz, Karl Philipp zum einen anhand seines eigenen Schönheitsbegriffs, nämlich des in sich selbst Vollendeten, zum anderen definiert er die Vollendung in Bezug auf die künstlerischKunst, Künstler-ästhetische Affinität und Produktivität der Menschheit. Für die Vollendung der Gattung ist „das duldende Individuum“ notwendig;25 in der (künstlerischen) „Darstellung“ aber, so Moritz, wenn das Leiden des Einzelnen in die „Erscheinung“ überführt wird und sich „dem höchsten Vollendungspunkt des Schönen“ annähert, „löst“ es sich „auf“ (MW 2, 985). Durch die Darstellung werde auch die individuelle Dimension überhöht: Sie zeitigt das „erhabnere MitleidenMitleid“, das wiederum die Vollendung der Gattung fördert (MW 2, 985). Das Mitleid stellt nämlich eine Verbindung zwischen dem Leiden und einem Rezipienten her – und garantiert so die Überhöhung.26 Die sowohl als ästhetisch vermittelt gedachte als auch ästhetisch konzeptualisierte VervollkommnungPerfektibilität, Vervollkommnung der Gattung hat demnach absoluten Vorrang vor der Wirklichkeit des Individuums und seines Leidens27 – doch was bedeutet dies für die Vorstellung einer besonderen, individuellen Menschenwürde?
Die „Zerstörung des Einzelnen“ – als „Zerstörung des Schwächern durch das Stärkre, und des Unvollkommnern, durch das Vollkommnere“ – ist geradezu die Voraussetzung für die GattungsvervollkommnungPerfektibilität, Vervollkommnung, für das Schöne – und für die KunstKunst, Künstler.28 Für die „Nachwelt“ hebt diese den „Jammer der Vorwelt […] wie ein köstliches Kleinod“ auf, integriert es und sichert dadurch den „Wert“ der Menschheit; ebenso löst sich der tragische Stoff der Dichtkunst „in der Veredlung unsres Wesens durch das MitleidMitleid“ auf (MW 2, 987). Anders formuliert: Die reale EntwürdigungEntwürdigung des IndividuumsIndividuum wird nicht nur akzeptiert, sondern gerechtfertigt, insofern ihre künstlerische Sublimierung im Dienst der Gattung steht;29 deren schöne Vollendung ist der höchste Wert – und keineswegs das Individuum selbst. Diese hochproblematische Sicht auf den Menschen versucht MoritzMoritz, Karl Philipp nun am Ende des Textes mit einer kühnen Wendung ins Ontologische30 zu legitimieren. Das „Schöne, in welches die Zerstörung selbst sich wieder auflöst“, verweist, im Einklang mit Moritzʼ früheren Schriften, auf die dem Menschen weder rationalRationalität noch sinnlichSinnlichkeit zugängliche Vollkommenheit der Natur, des ‚großen Ganzen‘,31 und jene utopische „HarmonieHarmonie, in welche Bildung und Zerstörung einst Hand in Hand, hinüber gehn“ (MW 2, 990; m. H.). Die „immerwährende Zerstörung“ des schwachen, unvollkommenen Individuums scheint somit „dem ewigen“ – d.h. dem Menschen unerreichbaren – „Schönen nachzuahmen“, das „über Zerstörung und Bildung selbst erhaben“ ist (MW 2, 990; Herv. i.O.). Dies ist die Prämisse für Moritzʼ exaltierte Schlussbetrachtung:32
Tod und Zerstörung selbst verlieren sich in den Begriff der ewig bildenden Nachahmung des über die Bildung selbst erhabnen Schönen, dem nicht anders als, durch immerwährend sich verjüngendes Dasein, nachgeahmt werden kann.
Durch dies sich stets verjüngende Dasein, sind wir selber.
Daß wir selber sind, ist unser höchster und edelster Gedanke. –
Und von sterblichen Lippen, läßt