Группа авторов

Leopardis Bilder


Скачать книгу

und Unlust wechseln einander ab, ihre Heiterkeit – «lieta» (v. 22) über den ersten Ausblick – «vista» (v. 23), den die einleitenden Verse 1-18 darstellen, wechselt sich synästhetisch ab mit einem Primat des Hörens – etwa «udir», «suon» (v. 47sq.), «tuon» (v. 53, 61), «suon» (v. 66) –, der den Wechsel von Steigen und Fallen – «sorgea», «salir» (v. 32, 35) des Gewitters gleichsam spiegelt, ohne aber eine typische doppia vista, die auf das Unsichtbare sinnlich ausgreift, erreichen zu können, so dass das Gedicht mit einer negativen «vista» (v. 70) endet. Die Natur determiniert25 gleichsam den psychischen Übergang «in colei» (v. 30) von diletto (v. 26) und «piacere» zur «paura» (v. 30). Der Spiegelcharakter findet sich auch auf der lexikalischen Ebene, insbesondere durch die auffallenden Wiederholungen – etwa: «luna» (v. 18, 33), «bosco» (v. 38sq.), «piacer(e)» (v. 23, 30), «momento» (v. 40, 73), «lampo», «lampi» (v. 50, 67, 74), «pioggia» (v. 47, 63) –, die im Dienste zweier Funktionen stehen: Einerseits wird additive Totalität bzw. mathematische Erhabenheit dargestellt, was durch die fünffache Verwendung von «ogn(i)» (v. 7, 34, 40, 42, 64) unterstrichen wird. Andererseits wird der prozessuale Charakter betont und verkettet, der früh mit «e tutte ad una ad una» (v. 14) angesprochen wird.

      Das Schritt-Verlangsamen und Herz-Schwinden – «fermò l’andare», «il cor venne meno» (v. 72) – nimmt den Tod vorweg, erinnert im Zurückdrehen (v. 73) und in den Folgen an Orpheus und Eurydike. An einen Intertext26 erinnert Leopardi im Zibaldone:

      Quell’usignuolo di cui dice Virgilio nell’episodio d’Orfeo, che accovacciato su d’un ramo, va piangendo tutta notte i suoi figli rapiti, e colla miserabile sua canzone, esprime un dolor profondo, continuo, ed acerbissimo […]. (2552, Zib. 281; M.H.)27

      Ein poetologischer Unterschied in diesem «lamento» (v. 12), den die Natur – und nicht ein lyrisches Ich oder Du – singt, liegt darin, dass im frammento nicht der Gesang bzw. die canzone «miserabile» ist, sondern die donna selbst («la misera» [v. 52]). Das Leid als Bildspender der Dichtung ist noch nicht in eine explizit reflektierte Struktur eingebettet. Leopardis Bildlogik ist hier noch substantiell, noch nicht funktionell. Das Bild des Gewitters ist Wirklichkeit, noch nicht als Bild wirklichkeitsbildend. Dem entspricht, dass Spento il diurno raggio in occidente zeitlich das erste und in der Anordnung das letzte Gedicht ist, das die teoria del piacere thematisiert:

      Nella carriera poetica il mio spirito ha percorso lo stesso stadio che lo spirito umano in generale. […] La mutazione totale in me, e il passaggio dallo stato antico al moderno, seguì si può dire dentro un anno, cioè nel 1819. […]. Allora l’immaginazione in me fu sommamente infiacchita […]. (1517, Zib. 143sq.)

      Diese «mutazione totale in me» wird retrospektiv 1820 als «passaggio dallo stato antico al moderno» inszeniert28 und zugleich zurückgebunden an jene fragmentarische Einbildungskraft, die aus dem Appressamento ein Fragment macht:

      E s’io mi metteva a far versi, le immagini mi venivano a sommo stento, anzi la fantasia era quasi disseccata (anche astraendo dalla poesia, cioè nella contemplazione delle belle scene naturali ec. come ora ch’io ci resto duro come una pietra); bensì quei versi traboccavano di sentimento […]. Così si può ben dire che in rigor di termini, poeti non erano se non gli antichi, e non sono ora se non i fanciulli o giovanetti, e i moderni che hanno questo nome, non sono altro che filosofi. (1517, Zib. 143sq.; M.H.)

      Wenn Naturszenen den modernen, philosophischen Dichter versteinern, lässt sich analog der Appressamento mit dem Io antico und der Frammento mit dem Io moderno gleichsetzen. Die Fragmentierung der ‹antiken› Einbildungskraft findet nicht nur durch Kürzung der Vorlage statt, sondern auch strukturell, indem eine donna die Rolle des Io antico einnimmt. Erst ihr Tod legitimiert sie als abschließendes Bild der teoria del piacere. Denn die Begierde nach Bildern des Unendlichen ist koextensionsal mit der Dauer der Existenz:

      Questo desiderio e questa tendenza non ha limiti, perch’è ingenita o congenita coll’esistenza, e perciò non può aver fine in questo o quel piacere che non può essere infinito, ma solamente termina colla vita.29

      Das entspricht strukturell der transzendentalen Erinnerung, die entreferentialisierte Bilder als uneigentlichen Ursprung hat. Innerhalb der Sammlung der Canti ist der Appressamento unverfügbar und entspricht damit der nicht erinnerbaren immagine fanciullesca (cf. Abschnitt 1), die nur fingiert werden kann. Dieses io mi fingo (cf. Abschnitt 2) erfüllt sich auf implizite Weise dennoch auch hier, indem der Kommentar-Einschub der Verse 22-27 die angelegte Beobachtungsperspektive bricht. Zugleich kommt der Beobachtung so eine doppelte Funktion zu, die die Makrostruktur spiegelt. Die donna steht für das Andere seiner selbst, da sie selbst nicht als Beobachtende ins lyrische Bild gerät. Zugleich ist sie als Nicht-Beobachtende paradoxerweise modern.30 Denn sie ermöglicht erst die Beobachtung aus der Perspektive eines Quasi-Io-antico, das die erhabene Natur als solche, d.h. natürlich31, wahrnimmt. Das moderne Ich kann das Gewitter nicht im antiken Modus wahrnehmen, aber die Fiktion eines ungebrochenen antiken Ichs ermöglicht die Illusion oder Vision einer solchen Naturerfahrung. Das ist mit einer doppelten Fragmentierung erkauft. Deshalb gilt für Leopardis Bildlichkeit: Bilder sind nicht Abbilder von etwas, sondern fragmentierte Bilder, die den Verlust der Abbildfunktion selbstreflexiv in ihre Bildlogik aufnehmen.

      Das Fragment führt in den Versen 23, 24 und 30 lexikalisch die teoria del piacere ein, um so semantisch durch die Fragmentierung anzuzeigen, dass eine Bildlogik beobachtet wird, die sich dadurch auszeichnet, latent und retrospektiv zu sein. Diese Bezugsferne geht innerhalb von Leopardis Poetik einher mit einer Vagheit lyrischer Bilder, die vornehmlich auditiv evoziert werden. Entsprechend stellt der die Sinne überfordernde Lärm des Gewitters nicht mehr ein Sprachproblem dar, sondern ein Jenseits der Einbildungskraft:

      e ’l rombar che la lingua dir non osa. (292, v. 72) ~ e il suon che immaginar l’alma non osa (v. 66)

      Das Erhabene übersteigt nun die Sprache, da diese droht, unpoetisch zu werden, in dem Sinne, dass «parole» nicht mehr zur lyrischen Darstellung ausreichen.32 Der klassische Topos des Bildverbots im Erhabenen, das Kant eine «negative Darstellung»33 nennt, lässt sich auch eine negative Bildlichkeit nennen. Wenn die Seele bzw. «l’alma» nicht mehr poetische Bilder entwerfen kann – gleichsam kein ardire wagt («non osa») –, bricht die Sprache («la lingua dir») ab. Damit ist der Tod der donna auch ein Bild für das Scheitern der Sprache. Dieses Scheitern ist vorweggenommen im negativen Umschlag von piacere in paura (v. 30), in dieser «negative[n] Lust»34, die wiederkehrt im Scheitern der Einbildungskraft (cf. v. 66). Dieser «Bildverlust» ist ein «Weltverlust», insofern die Sprache nicht mehr welthaltig ist, da ihr Anschauung und Konstellationen abhandenkommen.35

      Das Sich-Ängstigen – «paura» (v. 30), «spavento» (v. 42, 71) – des Herzens – «cor» (v. 24, 72), «alma» (v. 66) – tritt ein, anders als in L’infinito: «ove per poco | il cor non si spaura» (121, v. 7sq.). Entsprechend bedeckt am Ende der Entwicklung des Gewitters und des Gedichts die donna die Augen und wird – im etymologischen Sinne36 – mystisch:

      Ella dal lampo affaticati e lassi

      Coprendo gli occhi, e stretti i panni al seno,

      Gia pur tra il nembo accelerando i passi. (vv. 67-69)

      Dieser Blickverschluss – faustisch gesagt: diese Weltverdunklung37 – bedeutet ihren Tod; auch, da sie zu keiner doppia vista fähig ist. Die Entwicklung kulminiert in einem Augenblick – «momento» (v. 40, 73) – und einem «lampo» (v. 67, 74), der eine negative Epiphanie darstellt. Diese Bewegung, die mit einer Versteinerung abbricht, fragmentiert die Einbildungskraft des Io antico38: «[E]d ella era di pietra» (v. 76) führt eine Dauer39 des Bildes ein und beendet das Gewitterbild. Die zwei paradigmatischen Formen der Schock-Abwehr, die reflexive Distanz – wie in L’infinito –, die ein Sich-Ängstigen verhindert, und die Selbstbeobachtung – wie in La sera del dì di festa – sind im frammento nur angelegt. Der reflexive und funktionale Umgang mit Bildern ist noch defizitär. Deshalb könnte man das letzte eigenständige Gedicht der