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Leopardis Bilder


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e delle gioie mie vidi la fine. (155, vv. 1-6)

      […] Nerina (158sq., v. 136, 157, 160, 168)

      –, zunächst in der ersten Strophe als stellarer Mythos mit einem abstrakten Ende («vidi la fine»), den die siebte Strophe in einem persönlichen Mythos aufnimmt als Ende von «Nerina»12, deren wiederholte Nennung um die Präsenz des Bildes ringt. Diese Entsprechung der rahmenden Strophen findet sich auch in der paradoxen Spiegelung der weiteren Strophen. Die leidvolle, schlechte Vergangenheit in der zweiten Strophe steht der «maraviglia!» der Jugend, die aufblitzt («a somigliar d’un lampo»), der vorletzten Strophe gegenüber (158, v. 126, 131). Die inneren Strophen geben gleichsam den Ermöglichungsgrund an: Die dritte Strophe wird eröffnet mit einem Wind, der Erinnerungen auslöst – wie in L’infinito

      Viene il vento recando il suon dell’ora (156, v. 50)

      […] un’immagin dentro

      non torni, e un dolce rimembrar non sorga.

      […] ma con dolor sottentra

      il pensier del presente […]

      […], e il dire: io fui. (156, vv. 56-60)

      –, aber noch steigt kein Erinnerungsbild auf. Das Bewusstwerden der Gegenwart, der «pensier del presente», stellt sich als Epiphanie des Ohrs dar. Es scheint der Wind zu sein, der sich einschleicht («sottentra») und die augenblickliche Gewissheit ausspricht. Das «il dire: io fui» führt eine Distanz in den Diskurs ein, den die letzte Strophe als mythische Vorzeitigkeit inszeniert. Diese Elemente kommen in der letzten Strophe zusammen im Wunder einer plötzlichen Erscheinung, eines Bildes, das aufsteigt. Das horizontale «sottentra» wird ersetzt durch das vertikale «sorga», das die zeitliche Flüchtigkeit arretiert. Nerinas Transformation in ein Erinnerungsbild wird eingeführt als ein ausbleibendes Hörereignis –

      O Nerina! e di te forse non odo

      questi luoghi parlar? […] (158, v. 136sq.; M.H.)

      Più non ti vede […] (158, v. 140; M.H.)

      –, dann ausgeführt als Todesbild einer Erinnerung. Die zweite Nennung «Ahi Nerina!» ist bereits eine Klage. Diese wird sprachlich eingeleitet durch die auffallenden Wiederholungen – neben «passasti» vor allem «splendea». Diese unterstreichen den Versuch, durch die Sprache Nerinas Bild in der Gegenwart zu halten. Dieser Versuch wird in den letzten drei Nennungen – «dico: o Nerina», «dico: Nerina mia», «dico: Nerina» (159, v. 160, 164, 168) – noch deutlicher markiert als eine Variation des «il dire: io fui.». Sprachliche Präsenz wird als eine psychische angesprochen – «in cor mio» (156, v. 36), «infra me stesso» (159, v. 159) –, als ein bewegungsloses Bild – «non movi», «non torna» (159, v. 161, 164sq.) – und deutlich als Sprechakt markiert im dreifachen «dico». Im Rhythmus von jeweils vier Versen verliert die Sprachmagie langsam, schrittweise ihre Kraft:

      […] Ahi tu passasti, eterno

      sospiro mio: passasti: e fia compagna

      d’ogni mio vago immaginar, di tutti

      i miei teneri sensi, i tristi e cari

      moti del cor, la rimembranza acerba. (159, vv. 169-173)

      Im «e fia compagna» ist Nerina wieder nur die Erinnerung an Silvia bzw. an A Silvia («cara compagna» [153, v. 54]). Herzwerk, das die Zeit anhalten konnte, wird in Bewegung gesetzt, und die letzten beiden Worte benennen, was die letzte Strophe und das Gedicht im Ganzen sind: eine negative Epiphanie und ein ‹il dire: ella fu› zugleich. Dieser Sprechakt ist ein auf doppelte Weise an die Vergangenheit gebundener Bildakt bzw. das Gedicht im Ganzen entwickelt eine Bildlichkeit, ein «vago immaginar», dessen lyrische Lebendigkeit und Präsenz sich aus Bildern des Todes und der Erinnerung speisen.

      2 Bilder fingieren – doppia vista

      Verwandt mit der Struktur der Erinnerung ist Leopardis Poetik der doppia vista.1 In einem berühmten Zibaldone-Eintrag wird diese zusammengefasst.

      All’uomo sensibile e immaginoso […] il mondo e gli oggetti sono in certo modo doppi. Egli vedrà cogli occhi una torre, una campagna; udrà cogli orecchi un suono d’una campana; e nel tempo stesso coll’immaginazione vedrà un’altra torre, un’altra campagna, udrà un altro suono. (2382, Zib. 4418)

      Andere, nicht wirklichkeitsgesättigte Bilder zu entwerfen, ist also die auszeichnende Fähigkeit der Einbildungskraft. L’infinito, der erste piccolo idillio, verkörpert das entscheidende Jahr 1819 und die inszenierte mutazione totale in me, in der sich der weltgeschichtliche Verlust der Antike im Subjekt ausprägt als Verlust seines früheren Ichs. Dieser Ichverdopplung entspricht eine Welt- bzw. Bildverdopplung gemäß der doppia vista. Diese wird ausgelöst durch die Schließung des Horizonts, durch die Hecke auf dem topischen Feldherrenhügel (vv. 1-3). Die Einbildungskraft soll Dinge konzipieren bzw. Bilder von Dingen, «che non sono»:

      Veniamo alla inclinazione dell’uomo all’infinito. Indipendentemente dal desiderio del piacere, esiste nell’uomo una facoltà immaginativa, la quale può concepire le cose che non sono, e in un modo in cui le cose reali non sono. […] Il piacere infinito che non si può trovare nella realtà, si trova così nella immaginazione […]. (1524, Zib. 167)

      Im Akt des «io […] mi fingo» (121, v. 7) werden Bilder des Unendlichen gedacht, um – gemäß der teoria del piacere – eine wirkliche Lust zu erreichen, die die Begierde befriedigt. Doch dieses Ideal wird nicht realisiert. Das wird im Bild der ausbleibenden unio mystica ausgedrückt, denn das Herz erschrickt nur fast (v. 7sq.). Die beiden Pole eines empirischen und eines nach Transzendenz strebenden Ichs werden abschließend in einem Bild für die Dichtung, im lustvollen Schiffbruch, reflektiert. Das Dichter-Ich fingiert ein empirisches Ich, das sich Unsichtbares, Zahl- und Endloses, Transzendentes denkt und darin scheitert, Unendlichkeit zu erreichen. Dieses negative Dichtungsbild ist mit der Poetik der transzendentalen Erinnerung strukturell verwandt. Das Scheitern als adäquate Darstellungsform des Unendlichen stellt sich als dialektische Reflexivität dar.

      3 Bilder beobachten – fragmentarische Einbildungskraft

      Spento il diurno raggio in occidente ist das letzte der drei Fragmente und zeitlich das erste, insofern es auf Appressamento della morte basiert, das insgesamt 878 Verse umfasst, eingeteilt in fünf canti in terzine incatenate, also in dem Metrum, das die Divina Commedia verwendet. Dante stellt eine wichtige Quelle für Leopardis Konzeption einer erhabenen Sprache dar, die sich vor allem durch eine latinisierende, altertümliche Wortwahl auszeichnet.1 Leopardi nennt sie ein ardire bzw. ein ardito – in Übersetzung des lateinischen Adjektivs audax – als eine kühne Sprachverwendung. Ein Beispiel unter vielen für Leopardis erhabene Sprache, die er mit Schönheit gleichsetzt und ausgehend von Horaz mit «stili energici e rapidi» (1886, Zib. 2049) und mit einer «costruzione […], irragionevole» (1494, Zib. 61). Darunter versteht er «[m]etafore coraggiose, epiteti singolari e presi da lungi, inversioni» (1886, Zib. 2051), wie z.B. «la taciturna via» (v. 19), da das Adjektiv normalerweise Personen zugesprochen wird,2 oder «E il duro vento col petto rompea» (v. 58), da es sich hier – wie er ebenfalls zu Horaz ausführt – um «un’idea chiara, ma espressa vagamente» handle, denn «chi chiama duro il vento perché difficilmente si rompe la sua piena quando se gli va incontro» (1494, Zib. 61). Die ‹rapidità dello stile›, die Calvino in seinen Lezioni americane hervorhebt,3 bewirke sprachliche Vagheit und erwecke semantische Unendlichkeit. Leopardis erhabenen Bildern entspricht die Idee einer erhabenen Sprache.4

      Das Gedicht lässt sich grob in drei Abschnitte einteilen: Die ersten 18 Verse sprechen das Thema an: Es handelt sich um ein romantisches Stelldichein. Die nächsten 47 Verse, Verse 19-66, beschreiben die erhabene Entwicklung des Gewitters. Die letzten 10 Verse, Verse 67-76, stellen einen Orpheus-Eurydike-Augenblick der Versteinerung dar. Diese erste Dichtung, die nicht mehr zu den Jugendgedichten zählt, wird überarbeitet und fragmentiert, denn Spento il diurno raggio in occidente