von einem Bild, einem Gedanken, einer Vorstellung oder einem Ding zu einem anderen fliegen läßt, «in una energica azione» versetzt und von der Vielfalt und Unterschiedlichkeit der evozierten Dinge geradezu überwältigt, «sopraffatto» (cf. Zib. 2049sq.).
In ihrer gemeinsamen Begeisterung für die Metapher – hier, wie wiederum oben angedeutet, verstanden im weiten Sinne von Bildlichkeit – entdecken demnach beide Autoren in dieser Figur, die ihnen quasi zum pars pro toto des Poetischen überhaupt avanciert, den Grund für ein piacere seitens der Leserinnen und Leser.
Die oft verblüffende Nähe, die Ähnlichkeit der Argumentation und der favorisierten Verfahren jedoch soll nicht zu einer ahistorischen Ineinssetzung des Ungleichzeitigen verleiten, im Gegenteil: Gerade die Verbindung von Metapher, piacere und Zeit bietet über die überraschenden Gemeinsamkeiten hinaus zugleich Ansatzpunkte, um gerade die Differenz zwischen Seicento und Ottocento, zwischen Cannocchiale und Zibaldone und zwischen Tesauros und Leopardis Denken auszuloten und damit beider Gedankengebäude genauer zu fassen. So verweist Leopardi kaum zufällig an eben jener Stelle, an der er von der Überwältigung durch «moltiplicità e […] differenza delle cose» spricht, auf «la mia teoria del piacere» – und damit auf Fragestellungen, die in Tesauros Traktat so nicht zu finden sind und die den Zibaldone von jener ‹Maschine zur Erzeugung ästhetischer Lust›25 dann doch essentiell unterscheiden.
Gerade die berühmte, von ihm selbst so bezeichnete teoria del piacere (z.B. Zib. 172), die Überzeugung, daß das Glück oder die Lust nie in der Gegenwart zu finden ist, weil diese stets von der Sorge um das Ende dieses Glücks geprägt ist, sondern nur in der Vergangenheit, als erinnertes Glück, oder in der Zukunft, als erhofftes, verbindet ihrerseits piacere und Zeit und deutet, insofern piacere und felicità als «tutt’uno» gesehen werden, auf eine andere Dimension als die ästhetische Theorie. Nicht zuletzt an Formulierungen wie dieser über die «teoria del piacere» wird immer wieder die überkommene Pessimismusthese26 festgemacht, zumal Leopardi in diesem Kontext das Streben nach Lust oder Glück verknüpft mit dem «sentimento della nullità di tutte le cose» (Zib. 165). Doch ist dies eher ein Ausgangs- denn ein Zielpunkt der teoria del piacere, wie eben die Passage zeigt, in der diese teoria mit dem piacere an den Bildern der Dichtung verknüpft wird. Der Verweis erweitert nicht nur die ‹Metapherntheorie› Leopardis um eine entscheidende Dimension; er signalisiert umgekehrt zugleich, daß die These vom «non darsi piacere se non futuro o passato» (Zib. 3525) eben nicht das darin gern gehörte und allzuoft wiederholte Klagelied – den legendären pessimismo individuale, storico, cosmico ec.ec.ec. – darstellt. Wenn vom piacere an der Metapher bruchlos auf die teoria del piacere verwiesen wird, so doch wohl weit eher, weil letztere eher denn ein Klagelied geradezu einen Lobpreis auf die Imagination darstellt: Das Glück, das der Seele nicht genommen werden kann, ist eben das imaginierte, das Glück besteht im Vor-Augen-Stellen des Abwesenden – so wie in der operetta Tasso von seinem «Genio familiare» belehrt wird oder, allgemeiner, so wie es die Bilder vermögen, jene immagini, sagt der kluge Hausgeist, die der dürren Wirklichkeit doch allemal vorzuziehen sind.27
Wie diese Macht der Bilder agieren kann, führt – wiederum paradigmatisch – ein Gedicht aus den Canti vor, das auf den ersten Blick weniger um Bilder als um das rastlose Denken zu kreisen scheint: das Gedicht Il pensiero dominante. Bis kurz vor Schluß, bis Vers 129, apostrophiert das lange Gedicht selbst mit seinen insgesamt 147 Versen ununterbrochen jenen «pensiero dominante», den schon sein Titel nennt, so daß das Gedicht ob seiner schieren Länge und seines ständigen Umkreisens, das eben dieses Beherrscht-Sein durch den übermächtigen Gedanken bei der Lektüre sinnlich mitempfinden läßt, nahezu magische Qualitäten annimmt: Es wird fast selbst zu einer Art Zauberspruch, zu jenem «stupendo incanto» (v. 102), den auch das Ich des Gedichts erlebt, wie schon die Aneinanderreihung der Apostrophen im ersten Versabschnitt und die durch Enjambement und Anapher akzentuierten rhetorischen Fragen zu Beginn des zweiten andeuten:
Dolcissimo, possente
Dominator di mia profonda mente;
Terribile, ma caro
Dono del ciel; consorte
Ai lùgubri miei giorni,
Pensier che innanzi a me sì spesso torni.
Di tua natura arcana
Chi non favella? Il suo poter fra noi
Chi non sentì? […] (vv. 1-9)
In immer neuen Variationen und in vielen Versen wird die Macht des «Dolcissimo, possente | Dominator» besungen, bis schließlich der Gegenstand dieses Gedankens benannt wird: «colei, | Della qual teco ragionando io vivo» (v. 126sq.) und, wiederum durch die Anapher und durch eine Paronomasie unterstrichen, das Vergnügen sich gleichsam zum Delirium steigert:
[…] Quanto più torno
A riveder colei;
Della qual teco ragionando io vivo,
Cresce quel gran diletto
Cresce quel gran delirio, ond’io respiro. (vv. 125-129)
Und konsequent lautet der nächste Vers: «Angelica beltade!» (v. 130), denn als sei die Prophezeiung des «Genio familiare» Wirklichkeit geworden, verharrt das Ich ab hier in diesem glücklichen Delirium, ist ihm die ‹engelsgleiche Schönheit› erschienen und wird in dem 18 Verse währenden Hymnus nur noch sie besungen, die «sovrana imago» (v. 140), die in jedem seiner Träume präsent ist, bis das Gedicht mit wieder zwei durch die Anapher parallelisierten rhetorischen Fragen endet:
Che chiedo io mai, che spero
Altro che gli occhi tuoi veder più vago?
Altro più dolce aver che il tuo pensiero? (vv. 145-147)
Weniger an die «donna amata» wendet sich, wie Sanguineti in seinem Kommentar zu dem Gedicht schreibt,28 das Ich von Vers 130 bis zum Ende des Gedichts, als vielmehr an das aus dem carmen selbst entstehende Bild der geliebten Frau, wie neben der mehrfach evozierten «imago», den «sogni» und der «angelica sembianza» nicht zuletzt der Schlußvers suggeriert, der wieder mit dem «pensiero», dem Gedanken an die Frau, endet und damit einmal mehr das Zyklische, das Kreisen der Gedanken vorführt. Indem der canto den «pensiero dominante» so lange beschwört, bis dank seiner Magie dem Ich und seinem Leser die immagine wirklicher als jede Wirklichkeit vor Augen steht, bejubelt er einmal mehr die Macht der immaginazione.
In seinem geradezu bildhaft kreisenden Denken verbildlicht das Gedicht jene Einbildungskraft, die ihrerseits das Bild der engelsgleichen Schönheit vor Augen stellt, so daß der Pensiero dominante nicht nur eines von ‹Leopardis Bildern› herbeizaubert, sondern mit seinen vielfältigen Reflexen selbst zu jenen «Reflexionen von Bild und Bildlichkeit» zählen kann, denen – in freilich grundlegend anderer Weise – auch die unterschiedlichen Beiträge des vorliegenden Bandes auf vielerlei Pfaden nachspüren und nachsinnen. Dabei gehen sie den drei auf den vorausgehenden Seiten angeschnittenen Fragenkomplexen mit je eigenen Akzentuierungen nach, um auf diese Weise den Facettenreichtum des großen Themas «Leopardis Bilder» auseinanderzufalten. So vertiefen insbesondere die für den ganzen Band grundlegenden Beiträge von Silvia Contarini, Milan Herold und Giulia Agostini von je unterschiedlicher Warte aus die vielschichtige Reflexion von immagine und immaginazione in Leopardis Schriften. Die Arbeiten von Sebastian Neumeister, Marc Föcking und Georges Güntert untersuchen jeweils spezifische Aspekte von Bildlichkeit und Visualität in Leopardis Werk, während die Frage nach dem Dialog mit und Weiterwirken von Leopardis Bildern in der Literatur des 19.-21. Jahrhunderts von Paul Strohmaier, Emanuele La Rosa, Eva-Tabea Meineke, Marco Menicacci und Laura Aresi an so unterschiedliche Texte wie jene des Futurismus und Surrealismus, die Gedichte Montales sowie die Erzählungen Primo Levis und Italo Calvinos gestellt werden. Herausgeberin und Herausgeber danken allen Tagungsteilnehmerinnen und ‑teilnehmern sehr dafür, daß sie im Anschluß an die fruchtbaren Diskussionen beim Leopardi-Tag an der Universität Konstanz, der am 22.-24. Juni 2017 gemeinsam von der dortigen romanistischen Literaturwissenschaft und der Deutschen Leopardi-Gesellschaft veranstaltet wurde, ihre Vorträge zu