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Sprachliche Höflichkeit


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meint doch wirklich: „Die Höflichkeit […] ist eine Tugend …“. Da wird dann auch noch eine bemerkenswerte Gleichsetzung eingeführt. In meiner Auslassungsklammer heißt es nämlich: „oder Zivilisiertheit“. Wie man wohl darauf kommt? Introspektion eines Individuums. Und wohin Sie das Stichwort „Tugend“ führt, können Sie leicht erproben. Wollte man in dieser Weise verfahren, wäre doch ein genus wie „ein Verhaltensmuster“ schon etwas besser.

      Aber mit empirischer Wissenschaft hat das wenig zu tun. Auch viele (die meisten?) Linguisten gehen nicht gerade empirisch vor. Üblich ist es, Höflichkeit anzuhängen an ein in der Linguistik etabliertes Konstrukt. Ich denke da etwa an den üblichen Anschluss an Goffmans face-Begriff, wie es auch in der Fortsetzung bei Meibauer anklingt, wo es dann um gesichtsbedrohende oder gesichtsbewahrende Akte geht. Vom face-Konstrukt leben die meisten pragmatischen Arbeiten zur Höflichkeit seit Brown/ Levinson 1978.

      Wir sollten uns davor hüten, wie in vielen Untersuchungen, den Untersuchungsbereich noch weiter auszudehnen. So wuchert auch die Unhöflichkeit hin zu Akten wie Ablehnen, Vorwerfen, Belehren. Oder Höflichkeit driftet in Stilregister. Kribbliger wird es dann noch, wenn kontrastiert werden soll. Wie soll verglichen werden, wie es Japanisch geht, wie Deutsch oder Italienisch? Das Gespenst des tertium comparationis erscheint.

       These 1

      Höflich hat (wie alle Wörter?) eine Streubedeutung.

      Man könnte auch sagen: schwammig.

      Sich mit Höflichkeit zu beschäftigen heißt für mich erst einmal:

       Was verstehen Menschen unter Höflichkeit?

      Und das heißt für Linguisten vor allem:

       Wie wird das Wort höflich gebraucht?

      Als Linguist

       einen Begriff der Höflichkeit vorauszusetzen,

      oder

       einen eigenen zu schaffen,

       das ist für mich nicht empirisch.

      Was die Empirie betrifft, könnten wir Einiges zusammensuchen aus diesem höflich-Stern. Er ist empirisch gewonnen auf Basis des Mannheimer Korpus DeReKo und verwendet die Kookkurrenzdatenbank von Belica (http://corpora.ids-mannheim.de/ccdb/).

      Um einige dieser Kookkurrenten wird es auch im Folgenden gehen.

       These 2

      Höflich bezieht sich auf Interaktion, auf Kommunikation.

      Höflichkeit ist eine Sache des Tuns, nicht des Seins.

      Ein Vokabular für höflich Kommunizieren gibt es nicht.

      Die vokabularistische Betrachtungsweise ist höchstens ein Anfang.

      Kommunikation beherrscht Vokabular. Auch wenn eine Mutter ihr Kerlchen „kleinen Hosenscheißer“ nennt.

      Deshalb geht es weniger um das „Was ist …“? als darum:

       Wie geht es?

      Und zwar kommunikativ gesehen.

      Als Beispiel das Höflichkeitssuperwort danke: Es „drückt Anerkennung des Anderen und seiner Leistungen aus.“ (Bonacchi 2013, 1691) Aber Kommunikation geht etwas anders.

       Ich wandle des Morgens auf meinem lauschigen Uferweg, nachdenkend über Höflichkeit. Entgegen kommen mir drei schnelle Biker hoch zu Rad. Ich bleibe starr stehen. Sie brausen vorbei. Der letzte ruft mir ein freundliches „Danke“ zu.

      Umdefinition der Situation: Sich bedanken für etwas, was man erzwungen hat.

      Vorauseilendes Danke: Sie will mich zu etwas bringen.

       Auf schmalem Treppenweg an der Küste kommt mir eine Frau mit Krücken entgegen. Zwei Meter vor mir sagt sie: „Merci.“

      Ironisch oder so tun als ob?

       Der kleine Knirps verliert grad seinen Euro.

       Die kleine Maus dabei schnappt sich die Münze und sagt: „Danke“.

       Ich halte meiner Frau – wie immer? – die Tür auf. Und bekomme ein Danke. Is was? – denke ich.

      Da können Eheleute sich ihre Gedanken machen. Eine stille Gemeinheit? Tut sie so, als täte ich es aus Höflichkeit oder normal nicht? Möchte sie sich ankratzen, versöhnen nach dem Krach von gestern?

      Ich bin versucht, eine Typologie für das danke zu entwickeln.

      Wohin das face-Konstrukt führt, kann man schon im Meibauer-Zitätchen erkennen. Als sprechend und ernst genommen das Sie als Pronomen der Höflichkeit. Siezen aber ist unter den entsprechenden Gebrauchsbedingungen der Default und Duzen desgleichen. Mit Höflichkeit hat das bestenfalls zu tun über die dunkle Seite, weil man vielleicht als unhöflich gesehen wird, wenn man sich nicht an die übliche Verwendung hält. Aber was heißt da schon üblich? Und für wen und wann? Wie das gehändelt wird, können Sie sehen an Garfinkeling-Experimenten (Heringer 2009).

      Einen Standard des höflichen Kommunizierens gibt es nicht. Das face einer Person ist nichts Objektives, jeder Person in gleicher Weise Zukommendes. Schon Goffman macht deutlich: Es ist etwas sozial Entstandenes und Gemachtes. Was Standardisierer als höflich sehen und proklamieren, gilt bestenfalls für standardisierte faces. Unter Prollis mag Höflichkeit anders ausschauen als unter Gentlemen.

      Das face einer Person ist etwas Individuelles. Was des Einen face bedrohen könnte, muss für andere keine Bedrohung darstellen. Ja, sogar face fördernde Akte unterliegen keinem allgemeinen Standard (so wie Etikettebewusste sich das vielleicht vorstellen und vokabularistisch orientierte Linguisten). Es kommt auf das reziproke Wissen der Partner an und alles, was kommunikativ dazugehört.

       These 3

      Für mich haben die Wörter höflich und Höflichkeit etwas Fischiges. Für mich haben sie ein Gschmäckle. Sie riechen nach upperclass und Adel gar.

      Schon die Etymologie zeigt, worum es ging und oft noch geht. Ähnlich die verwandten gentilhomme und etwas auch gentleman. Und es zieht sich durch die Geschichte: Es ist soziale Abgrenzung.2 Und die Höflichen sind die Tollen.

      Ein anderer Punkt ist der Übersprung von höflich zu Höflichkeit. Der Übersprung von interaktivem Verhalten von Personen zu stehenden Eigenschaften der Person, gar zu irgendwas im platonischen Himmel. (Denken Sie an die Tugend!) Gilt also etwa: Einmal höflich, immer höflich? Oder darf die Höfliche sich mal einen Ausreißer gestatten?

      Es gibt noch mehr Fischiges. Wer hat nicht alles versucht das Konzept „Höflichkeit“ zu läutern – bis hin zu Verbrämungen. So ist nicht unüblich:

      Der Höfliche verfolgt kein Eigeninteresse. Er gibt ohne haben zu wollen.

      Wer diese gängige Idee ernst nähme, der würde die Höflichkeitsvorkommen drastisch begrenzen. Und er würde den Selbstdarstellungsaspekt des Höflichen vergessen.

      Ein kleiner Business-Knigge lässt die Katze alsbald unreflektiert aus dem Sack. Zuerst das Soziale:

      „Mit Höflichkeit und Respekt meistern Sie heikle Situationen.

      Zeigen Sie, dass Sie Ihren Partner achten“.

      Dann aber:

      „Wer