es sowieso ok. Dennoch wurden große Anstrengungen (auch von Linguisten) unternommen, diesen Aspekt wegzudefinieren. Es gelingt nur nicht. Es schlummert in der Wortbedeutung.
Höflichkeit ist etwas Gutes. Hätten Sie da Zweifel? Natürlich nicht. Denn wir haben es mit einer Immunisierung zu tun: Wenn es sich herausstellt, dass höfliches Verhalten nicht gut war, war es dann noch höflich?
These 4
Höflich sein heißt etwas mehr als normal tun.
Höflichkeit verbraucht sich.
Hier kriegt man es zu tun mit Paul Watzlawicks „Mehr desselben“.
Wenn eine Handlung nicht zum gewünschten Erfolg führt, sollte man sie verstärken und wiederholen. Das führe zum gewünschten Erfolg.
In einem Stück von Roda Roda gibt es unter all den Offizieren einer Garnison nur eine Frau, eine attraktive und charmante, hinter der sie alle her sind. Sie wird komplimentiert und hofiert. Ein Offizier aber kann und schafft das nicht: Er ist unsterblich in sie verliebt, drum bleibt er stumm. Und siehe da, das macht ihn besonders und weckt ihr Interesse. Also …
Präsident Obama verbeugte sich einst tief vor dem Tenno. Wie tief? Es heißt, die Japaner hätten das gut geregelt und abgestuft. Wer sich daran hält, bleibt im Default. Aber durch amerikanische Medien ging der Vorwurf, das sei zu tief und unterwürfig gewesen. So sah es das amerikanische Publikum mit seinen Augen.
Wie also dosiert man? (Eine heilsame Grenze ziehen Parodie und Ironie.)
Höflichkeit lebt vom Besonderen. Um besonders zu sein, braucht es das Normale, den Default. Je höflicher die Leute, umso mehr wird der Standard gehoben. Also … Watzlawick lässt wieder grüßen.
Und sein Prinzip hat fatale Folgen. Es führt zur Pejorisierung höflicher Ausdrücke.
Höfliche Ausdrücke nutzen sich ab. Denken Sie an die Entwicklung von frouwe. Über Ameliorisierung ist mir im Sprachwandel kaum was bekannt.
Die Höflichen zeichnen sich aus. Sie müssen vielleicht hoffen, dass nicht allzu viele allzu höflich sind.3 Höflichkeit ist im Innersten elitär.
Und da ist noch ein anderes Problem mit den Grundmaximen:
Mach dich selbst klein!
Mach den Partner größer!
Nur wie steht es mit dem elliptischen „als“?
Als du denkst?
Als du glaubst, dass du bist?
Als du glaubst, das dein Partner glaubt, dass du bist?
Sie wissen schon, wo das hinführt. Analog die zweite Maxime:
Als der Partner ist?
Als du glaubst, dass die Partnerin ist?
Als die Partnerin glaubt, dass sie ist?
Da können wir sogar ein Paradox der Höflichkeit erkennen:
Sich groß machen, indem man sich klein macht.
Der Default genügt.
Ist man nicht schon höflich, wenn man nicht unhöflich ist? Wenn man etwa Beschimpfungen und Beleidigungen unterlässt? Was ist der Default der Höflichkeit? Sich bedanken etwa ist der Normalfall. Auffällig ist, wenn man es unterlässt.
„Ein Brot, bitte“ und „Guten Morgen“ ist Default. Sogar sich bedanken für etwas, das man bezahlt hat, ist Default. Insofern ist vielleicht nicht angebracht, so etwas unter Höflichkeit zu behandeln (Kerbrat-Orecchioni 2005).
In der Moralphilosophie gibt es eine alte Tradition: Das Maß der Mitte. Für das gute Leben ist es das richtige Maß und der richtige Weg. Nicht so viel nach unten und nicht so viel nach oben.
Der sprachliche Kontrast von höflich und unhöflich lässt ein weites, weißes Feld dazwischen.
Dies zeigt die Grafik.4 Sie zeigt den Default.
Der Default ist das Glatte, das Normale. Der Default ist natürlich kein allgemeiner, genereller Standard. Er wird als im reziproken Wissen unterstellt. Und das mag bekanntlich auch nicht wohlkoordiniert sein.
Ich halte mich an die Grundmaxime (Höflichkeit eingeschlossen):
Sag, was zu sagen ist. Nicht mehr und nicht weniger.
Ich möchte gern
glatt
empathisch
nett
kommunizieren.
Und ich möchte alle kommunikativen Möglichkeiten nutzen, die ich nutzen will und nutzen kann. Denn wozu haben wir denn diese Mittel?
Noch ein Wort zu höflichem Handeln und felicity conditions:
Einer hilft einer Frau in den Mantel und kugelt ihr dabei den Arm aus – ohne Absicht natürlich.
War er höflich?
Sollen Schussel höflich sein? Zumindest es versuchen?
Und ein allerletztes: Bitte klatschen Sie nicht höflich, sondern von Herzen.
Literatur
Ariely, Dan (2015). Unerklärlich ehrlich. München: Droemer.
Bonacchi, Silvia (2013). (Un)Höflichkeit. Eine kulturologische Analyse Deutsch-Italienisch-Polnisch, Frankfurt a.M.: Lang
Brown, Penelope/Levinson, Stephen C. (1987). Politeness. Cambridge: CUP.
Goffman, Erving (1971). Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Heringer, Hans Jürgen (2009). Duzen und Siezen revisited. In: Ehrhardt, Claus/Neuland, E. (Hgg.): Sprachliche Höflichkeit in interkultureller Kommunikation und im DaF-Unterricht. Frankfurt a.M.: Lang, 61–75.
Leech, Geoffrey (1983). Principles of Pragmatics. London: Longman.
Kerbrat-Orecchioni, Cathérine (2005): Politeness in France: How to buy bread politely. In: Hickey, Leo/Stewart, Miranda (Hgg.) Politeness in Europe. Cleveland/Buffalo/Toronto: Multilingual Matters, 29–44.
Meibauer, Jörg (2008): Pragmatik. Eine Einführung. Tübingen: Stauffenburg.
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