Micha Brumlik

Vernunft und Offenbarung


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Antinomien leben läßt, beziehungsweise warum, wenn denn schon eine offenbarte Wahrheit akzeptiert werden muß, es nun ausgerechnet und nur die der Hebräischen Bibel sein muß. Steinheims Generalantwort auf diese Frage besteht auf dem Hinweis der in seiner Zeit allgemein anerkannten Charakter der Religion als Korpus und Ausdruck einer Sittenlehre. Auf diesem widerum kantischen Hintergrund kann Steinheim zurecht behaupten, daß eine Religion, die weder die Idee menschlicher Freiheit noch die der Moral einholen kann, ihren Namen nicht verdient – was ihn zu einer schroffen Gegnerschaft zu jeder romantischen Religion, wie sie dann Schleiermacher und die historische Schule konstruierte, führen mußte. Indem Steinheim zu zeigen versucht, daß die Intuition der sittlichen Freiheit der Menschen ausschließlich im Bilde der biblischen Schöpfungslehre konzipiert und rekonstruiert werden kann – diesen Gedanken hat er besonders eindringlich und klar im 1856 erschienenen zweiten Band seines Werks erläutert44 – muß er sich mit zwei Folgeproblemen auseinandersetzen.

      Er muß erstens zu der Frage der Faktizität und Historizität der biblischen Offenbarung Stellung nehmen, und zweitens ausschließen, daß die Gedanken von Gott, Freiheit und Unsterblichkeit sich auch in anderen mit Offenbarungsanspruch auftretenden Religionen nachweisen lassen. Es zeigt sich jetzt, daß die eigentliche Crux des Gedankens einer Offenbarungsreligion weniger in den Herausforderungen eines naturwissenschaftlich-positivistischen Weltbildes liegt, sondern in der Herausbildung eines wissenschaftlich-kritischen historischen Bewußtseins. Steinheim löst so das Problem einer historischen Nichtverortbarkeit einer offenbarten Religion: ein historischer Beginn würde dem Begriff der Offenbarung widersprechen, indem er der offenbarten Religion zwar den Anfang der Zeit ab –, dafür aber den Fortgang der Zeit zuspricht.

      III.

      Die Frage, wie das Göttliche in die Geschichte eintritt, wie eine mit vernünftigem Denken und wissenschaftlicher Erfahrung nicht begreifbare Größe menschliches Denken und Handeln beeinflussen kann, ist ein Problem, das die Offenbarungstheologie von der Philosophie der Subjektivität seit Descartes und Kant geerbt hat. Hatte Descartes zwischen der ausgedehnten und der denkenden Substanz unterschieden, so konnte Kant seine Kritik an rationalistischer Philosophie und seine Ethik des kategorischen Imperativs nur mit dem Mittel einer strikten Scheidung von Dingen an sich selbst hier und Erscheinungen dort, beziehungsweise zwischen einem je empirisch bestimmten Willen und einem noumenal freien Subjekt begründen, populär gesprochen mit einer „Zweiweltenlehre“. Dabei bleibt stets die Frage offen, wie zwei völlig voneinander unterschiedene „Substanzen“ aufeinander einwirken können. Auf das Problem des Verhältnisses von Gott und Menschen bezogen, lassen sich mindestens vier Lösungsstrategien skizzieren.

      Der Offenbarungspositivismus – wie ihn Steinheim und die lutherische Orthodoxie vertreten45 – hält sowohl die positive, nur wissenschaftlich und empirisch begreifbare Welt der Erfahrung als auch die nur im blinden Glauben bezeugte Wirklichkeit des geoffenbarten Gottes fest. Beides ist unüberbrückbar voneinander getrennt, aber für eine unverkürzte Form richtigen menschlichen Lebens sinnvoll aufeinander bezogen. Der materialistische Positivismus seit der französischen Frühaufklärung leugnet die Existenz Gottes, da sie mit dem gesunden Verstand weder bewiesen noch erklärt werden kann, und reduziert Gottes Offenbarung auf empirisch erklärbare, psychologisch verständliche materielle Interessen der Menschen.

      Die spekulative Religionsmetaphysik seit Spinoza46 identifiziert Gott und die Materie im Gedanken des Absoluten miteinander und bezahlt hierfür den Preis eines Verlustes an Orientierung in der biblischen Tradition.

      Die idealistische Philosophie der Fichte, Hegel und Schelling leugnet die objektive Existenz der Materie und sieht diese als Ausdruck eines göttlichen Geistes an, nimmt also die dem materialistischen Positivismus konträre Haltung einer einseitigen Auflösung des Spannungsverhältnisses von Gott und Substanz zugunsten Gottes an. Über Spinoza hinaus dynamisiert der Idealismus den Gottesgedanken so, daß dieser als mit Entwicklung und innerer Geschichte begabt gesehen wird. Hegel und Schelling unterscheiden sich von Fichte, indem sie die Objektivität des göttlichen Geistes nicht im menschlichen Bewußtsein, sondern in der Objektivität des Denkens ansiedeln, Schelling wiederum unterscheidet sich von Hegel, indem er an die Stelle einer eigenmächtigen Konstruktion eine bedächtige Rekonstruktion des Wesens Gottes nach Maßgabe der Entwicklung des religiösen Bewußtseins setzt. Die historisch dynamisierte Gleichsetzung von Gott und absoluter Substanz hat – im Unterschied zum Offenbarungspositivismus – den wissenschaftspolitischen und theoriestrategischen Vorteil, mit der Entwicklung der damals neu entstehenden Geistes- und Geschichtswissenschaft insofern vereinbar zu sein, als sie das menschliche Denken über die Götter und Gott in die (Re-)Konstruktion Gottes aufnehmen kann, während der Offenbarungspositivismus gezwungen ist, wider alle geisteswissenschaftliche Einsicht entweder fundamentalistisch an der Bibel festzuhalten oder wie Steinheim mit der Ungereimtheit einer zwar historisch fortwirkenden, aber nicht historisch beginnenden Offenbarung operieren zu müssen.47 (Auch Steinheim hat die Ergebnisse der historisch-kritischen Forschung sehr wohl zur Kenntnis genommen und ist bemüht, dort, wo es um das Fortwirken der Offenbarung geht, historische Kritik walten zu lassen.)48 Vor dieser Problemlage wird deutlich, warum das Christentum flexibler auf die Herausforderung der Philosophie antworten konnte beziehungsweise warum es christliche Denker waren, die die Theorie des objektiven Idealismus entwickelten.

      Das Verhältnis von Gott und Substanz, von Absolutem und Kontingentem, von zeitlosem Sein und historischer Existenz konnte im Christentum deshalb besser gefaßt, und das heißt, als vermittelt angesehen werden, weil das seit Nizäa geltende Dogma von Jesus, der als Christus wahrer Gott und Mensch ist, alle geistigen Potentiale einer Vermittlungstheologie enthielt. So stellte sich im philosophischen Diskurs dieser Zeit Gottes Gesetzgebung am Sinai als unvermittelte Herrschaft des Moralprinzips dar, während die Menschwerdung Gottes in Jesus gerade in seinem Tod am Kreuz die Botschaft einer absoluten Vermittlung göttlicher Liebe und menschlicher Not ist. Daher sieht die spekulative christliche Religionsphilosphie das Wesen der Offenbarung auch nicht – wie die Offenbarung der Thora – als das Anbieten einer Weisung, derart, daß die Offenbarung die Form und die Weisung ihr Inhalt ist, an, sondern als den historischen Prozeß selbst, der in Jesu Geburt und Tod als Fleischwerdung und Selbstentäußerung Gottes kulminiert. Wird für das Judentum in der Offenbarung die Thora gegeben, so ist im Christentum Jesus selbst die Offenbarung, weswegen der Bezug auf seine eigenen Lehren das Wesen des Christentums verfehlt hat. In der Philosophie der Offenbarung heißt es bei Schelling, „handelt es sich allein darum, die Person Christi zu erklären. Er ist nicht Lehrer, nicht Stifter, sondern Inhalt des Christentums.“49 Schelling bemüht in seiner Philosophie der Offenbarung von 1841/42 eine komplexe, auch von kabbalistischen Ideen zehrende theosophische Überlegung der Ausdifferenzierung und Wiederversöhnung eines göttlichen Seins mit sich selbst. Damit Welt und Schöpfung werde, mußte sich Gott von sich selbst abheben und einen Teil seiner Selbst als selbständiges außergöttliches Sein freigeben. Da Schelling im Außergöttlichen auch das Widergöttliche sieht und damit das Problem der menschlichen Sündhaftigkeit anspricht, das bekannte christlich-paulinische Dogma von der Erbsünde und der notwendigen Selbstverfehlung des Menschen, kann er in den christlichen Dogmen nicht nur eine nicht-dualistische Antwort auf die Frage von dem Verhältnis von Gott und Substanz, sondern auch eine nicht-dualistische Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis von menschlicher Freiheit und materieller menschlicher Existenz sehen. In und mit Christus sind all diese Spannungen – so der Schelling von 1841 – gelöst, das heißt vermittelt:

      „Durch diese Vermittlung und Versöhnung sind nun alle früheren Momente und Verhältnisse gesteigert, sind faßlicher und begreiflicher gleichsam geworden. Weil Christus nur durch den in ihm seienden Vater Christus ist, so wird im Sohne das Göttliche offenbar; aber der, welcher zum Sohne erklärt wird, ist nicht der im Vater vor der Schöpfung Seiende. Jetzt ist eine viel höhere, faßlichere Einheit gesetzt. Derselbe, der seinen Willen in das konträre Sein legt, als der Unversöhnliche, legt seinen Willen in den Sohn und versöhnt das Sein im Sohne sich selbst, und in dieser Vermittlung ist die höchste Einheit mit sich selbst hergestellt. Hiermit glaube ich den Grundgedanken der Offenbarung ausgesprochen zu haben.“50

      Steinheim hat in keiner seiner