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Was bleibt von kommunikativer Nähe und Distanz?


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ist ein kommunikationstheoretisches, das mit der Unterscheidung von gesprochener vs. geschriebener Sprache nicht angemessen wiederzugeben ist“ (Hausendorf et al. 2017, 40).13 In ihrem Fazit plädieren sie deshalb dafür, ganz auf „die schillernde Unterscheidung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit“ zu verzichten und diese „durch die kommunikationstheoretisch eindeutige Unterscheidung von Lesbarkeit und Anwesenheit“ zu ersetzen (Hausendorf et al. 2017, 43). Die Frage stellt sich, ob dieser Vorschlag auf theoretischer Ebene weiterführend ist – auch weil es z.B. durch die neuen Kommunikationstechnologien Fälle gibt, wo Anwesenheit virtuell gegeben ist (z.B. Kopräsenz an der Tastatur beim Chat), die Kommunikation aber doch schriftlich (bzw. im Sinne von Hausendorf et al. (2017) über ‘Lektüremomente’) erfolgt. Weiter sei mit Kirsten Adamzik angemerkt, dass es sich heute weitgehend durchgesetzt hat, auf konzeptioneller Ebene von ‘Nähe’ und ‘Distanz’ zu sprechen (und nicht mehr von ‘Mündlichkeit’ und ‘Schriftlichkeit’), da es problematisch sei, prinzipiell völlig Unterschiedliches „gleichermaßen mit den Ausdrücken Mündlichkeit/Schriftlichkeit zu belegen, also die übertragene Lesart mit der Medialität terminologisch zu vermischen“ (Adamzik 2016, 76; Kursivierung im Original).

      Sowohl in der Medienlinguistik als auch in der Sprachdidaktik und in der Textlinguistik findet also eine intensive Auseinandersetzung mit dem Modell von Koch/Oesterreicher statt. Diese gestaltet sich in der Textlinguistik – wie im Falle von Hausendorf et al. (2017) – tendenziell kritisch, in anderen Arbeiten eher affirmativ (so z.B. in der germanistischen Sprachdidaktik). Doch auch die kritischen Stellungnahmen machen deutlich, dass die Begrifflichkeiten ‘Nähe/Distanz’, ‘Medium/Konzeption’ und ‘Mündlichkeit/Schriftlichkeit’ in der Germanistik wichtige Referenz- bzw. Reibungspunkte darstellen.14 Das gilt insbesondere für den Medienbegriff, der in der Literatur zum Teil kritisch diskutiert wird. In ihrem Beitrag zur Rezeption des Nähe/Distanz-Modells bringt Maria Selig diese Reaktionen wie folgt auf den Punkt: „Die Argumentationen im Zusammenhang mit dem Modell sind häufig gekennzeichnet von einer Art Frontstellung der Medialität gegenüber“ (Selig 2017, 119).15 Um welche Frontstellungen es sich dabei handelt, ist Gegenstand des nächsten Abschnitts.

      3 Medienindifferenz und Medienvergessenheit

      Koch/Oesterreicher beziehen den Ausdruck ‘Medium’, wie sie in ihrem 1985er-Aufsatz schreiben, auf „die beiden Realisierungsformen für sprachliche Äußerungen“ (1985, 17), auf die phonische und auf die graphische Ebene. Man mag diese Engführung problematisch finden (siehe dazu einzelne Beiträge in dem Sammelband von Feilke/Hennig 2016); man muss dies aber zunächst einmal zur Kenntnis nehmen. Das gilt um so mehr, wenn man das Modell aus medienlinguistischer Sicht betrachtet. In der Medienlinguistik (und so auch in der neueren Internetforschung) herrscht ein anderes Medienverständnis vor, Medien werden hier als Institutionen (z.B. Fernsehanstalten), als Publikationsformen (z.B. Zeitungen) oder als technische Hilfsmittel gesehen – und schnell besteht die Gefahr, diese Konzepte in Verbindung zu ‘Medium’ bei Koch/Osterreicher zu bringen. Auf den Umstand, dass sie ihrerseits von einem anderen Medienbegriff ausgehen, weisen Koch/Oesterreicher in ihren neueren Arbeiten aber deutlich hin (vgl. Koch/Oesterreicher 2011, 14).

      Einen instruktiven Überblick über die verschiedenen Deutungen des Medienbegriffs findet man sowohl in der Medien-Kulturgeschichte von Wolfgang Raible (vgl. Raible 2006, 12) als auch in der Textlinguistik-Einführung von Kirsten Adamzik (vgl. Adamzik 2016, 61). Adamzik stellt fest, dass man für das, was Koch/Oesterreicher unter ‘Medium’ verstehen, „inzwischen […] einen anderen Terminus vorzieht, nämlich Modus bzw. Modalität“ (Adamzik 2016, 64; Fettdruck im Original). Koch/Oesterreicher verwenden den Ausdruck ‘Modalität’ gelegentlich auch selbst, so z.B., wenn sie in ihrer letzten gemeinschaftlichen Publikation erläutern, dass Medien (in ihrem Sinne, C.D.) bestimmte „sensorische Modalitäten“ ansprechen und dieses Konzept von Medien von „Speicher- und Übertragungsmedien, Telefon, Internet usw.“ (Oesterreicher/Koch 2016, 53) zu unterscheiden sei. Diese beiden Medienbegriffe werde ich im Folgenden mit Medium1 (modalitätsbezogen) und Medium2 (technikbezogen) unterscheiden und damit deutlich machen, um welches Medienkonzept es jeweils geht. Denn wie wir noch sehen werden, beziehen sich die kritischen Überlegungen zur ‘Medienindifferenz’ auf den Medium1-Begriff (der für Koch/Oesterreicher zentral ist). Dagegen legt die Kritik an der ‘Medienvergessenheit’ (s.u.) den Medium2-Begriff (der in der neueren Medienlinguistik zentral ist) zugrunde.

      Darüber hinaus wird dem Modell noch eine zweite Art von Medienvergessenheit angelastet, und die Vertreter dieser Position (z.B. Jan Georg Schneider) setzen nochmals ein anderes Medienkonzept an (Medium3). Sie vertreten die Auffassung, dass das „Zeichen mitsamt seinen medial-materiellen Eigenschaften“ in der Zeichenprozessierung nicht nur übermittelt, sondern dadurch erst konstituiert werde (vgl. Schneider 2016, 343; siehe auch Schneider et al. 2018, 57–69). Schneider bezieht sich hier auf Fehrmann/Linz (2009) und stellt in Anlehnung an deren Publikation fest, „dass es keine nichtmediale Kommunikation“ (Schneider 2016, 343) gebe. Daran wiederum übt Thomas Krefeld Kritik. Er merkt an:

      Energisch widersprechen muss man allerdings der ‘Auffassung […], dass es keine nichtmediale Kommunikation gibt’ (S. 343). Es zeigt sich hier, dass Schneider die eigentliche linguistische Schwachstelle des Medienbegriffs von Peter Koch & Wulf Oesterreicher ebenso wenig gesehen hat wie die anderen Autoren des Bandes. (Krefeld 2018, 12)

      Krefeld argumentiert, dass das Phonische eine Sonderstellung habe; in der linguistischen Analyse könne man dabei nicht von der Artikulation/Audition abstrahieren, es sei ein „unmittelbares Sprechen, ohne irgendein zusätzliches Mittel“ (Krefeld 2018, 12) – und dieses Sprechen sei nicht medial. Das schließe natürlich nicht aus, dass akustische Sprache medial übermittelt werden könne; es sei aber falsch, die Materialität des Zeichens mit seiner Medialität gleichzusetzen.1

      Man muss in der Diskussion um das Modell von Koch/Oesterreicher also zwischen mindestens drei Medienbegriffen – Medium1, Medium2 und Medium3 – und zwei Arten von Medienvergessenheit unterscheiden. Das mag verwirrend erscheinen, hängt aber damit zusammen, dass der Medienbegriff selbst so facettenreich ist. Doch vermutlich hätten Koch/Oesterreicher gut daran getan, nicht ihrerseits den Terminus ‘Medium’ zu bemühen; besser hätten sie von Beginn an von ‘Modalität’ gesprochen und folglich von ‘Modalität und Konzeption’, nicht von ‘Medium und Konzeption’.2 Die vielen medientheoretischen Auseinandersetzungen rund um ihr Modell wären dann vielleicht ausgeblieben.

      Worauf bezieht sich der Vorwurf der Medienindifferenz nun aber genau, und was wird unter dem Schlagwort ‘Medienvergessenheit’ verstanden? Kommen wir zunächst zur Medienindifferenz: Ich übernehme diesen Ausdruck von Selig (2017); in anderen Arbeiten ist von Medienunabhängigkeit oder Medienneutralität die Rede (z.B. Feilke 2016). Ausgangspunkt der Kritik ist die Aussage von Koch/Oesterreicher, dass die Ebenen ‘Konzeption’ und ‘Medium’ unabhängig voneinander seien. Das zeige sich unter anderem daran, dass es keine festen Korrelationen zwischen der Einordnung von Äußerungsformen im Nähe/Distanz-Kontinuum und ihrer medialen Realisierung gebe. Es bestünden zwar Affinitäten, d.h. bevorzugte Beziehungen (z.B. medial schriftlich – konzeptionell schriftlich), es seien aber auch gegenläufige Kombinationen möglich (z.B. medial schriftlich – konzeptionell mündlich). Dieser Punkt ist in der Rezeption des Modells unbestritten und hat dem Ansatz gerade in der Medienlinguistik viel Zustimmung eingebracht. Was aber als problematisch angesehen wird, ist die „medium transferability“, die Koch/Oesterreicher in diesem Zusammenhang geltend machen (vgl. z.B. Oesterreicher/Koch 2016, 21). Sie orientieren sich dabei sowohl an Ludwig Söll als auch an John Lyons, dessen Arbeiten in den 1980er Jahren breit rezipiert wurden. In seiner mehrfach aufgelegten Einführung „Language and Linguistics“ schreibt Lyons:

      A distinction must be drawn between language-signals and the medium in which the signals are realized. Thus it is possible to read aloud what is written and, conversely to write down what is spoken. […] In so far as language is independent, in this sense, of the medium in which language-signals are realized, we will say that the language has the property of medium-transferability. (Lyons 1981, 11; Fettdruck im Original)

      In ihrem 1985er-Aufsatz