Test jedenfalls für die Prüfung der Kurserheblichkeit heranzuziehen.[83] Danach würde ein verständiger Anleger auch Zwischenschritte bzw. bereits hinreichend wahrscheinliche Zwischenschritte bei entsprechend gravierender Bedeutung des noch unsicheren Endergebnisses bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen.[84] Auch die MAR lehnt zwar den Probability Magnitude Test zur Bestimmung darüber, ob ein Ereignis vernünftiger Weise erwartet werden kann, ab, bezieht dies jedoch nicht ausdrücklich auch auf das Merkmal der Kurserheblichkeit, so dass die Regelungen der MAR nicht gegen diese Auffassung sprechen.
53
Gegen diese Auffassungen wird jedoch zu Recht eingewendet, dass sie im Ergebnis das Tatbestandsmerkmal der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit[85] bzw. nunmehr das Merkmal der „vernünftigerweisen Eintrittswahrscheinlichkeit“ i.S.v. Art. 7 Abs. 2, S. 1 MAR quasi abschaffen. Nahezu jeder Sachverhalt lässt sich in seiner Genese in beliebig viele Zwischenschritte zerlegen, von denen „[. . .] irgendeiner immer schon eingetreten sein wird [. . .]“[86] oder dessen Eintreten zumindest hinreichend wahrscheinlich sein wird. Kocher/Widder messen einem Zwischenschritt daher nur dann die Qualität einer Insiderinformation bei, wenn er schon aus sich selbst heraus und ohne Rücksicht auf ein nachfolgendes weiteres Ereignis kurserheblich ist.[87] Immer dann wenn die Kurserheblichkeit des Zwischenschritts entfallen würde, wenn die Marktteilnehmer ex ante wüssten, dass das angestrebte Endergebnis nicht eintritt, ist eine erhebliche Kursrelevanz des Zwischenschritts nur dann anzunehmen, wenn der Eintritt des Endergebnisses überwiegend wahrscheinlich ist.[88]
54
Für die Auffassung von Kocher/Widder spricht folgende Überlegung: Unterstellt ein Endergebnis wäre noch nicht hinreichend wahrscheinlich bzw. nunmehr der Eintritt nicht vernünftigerweise wahrscheinlich, jedoch im Falle seines Eintretens erheblich kursrelevant, dann würde das angestrebte Endergebnis gem. der Entscheidung des EuGH, da es an einer präzisen bzw. konkreten Information mangelt, nicht als Insiderinformation zu qualifizieren sein. Wenn aber schon das angestrebte Endergebnis zum Zeitpunkt des Zwischenschritts noch nicht als Insiderinformation zu qualifizieren ist, muss dies erst recht für ein Zwischenergebnis zur Verwirklichung des angestrebten Endergebnisses gelten, sofern sich seine Kurserheblichkeit allein aus dem Endergebnis ableitet. Dies gilt für bereits existente Zwischenschritte und erst recht für nur hinreichend wahrscheinlich eintretende zukünftige Zwischenschritte.
55
Der BGH vertritt in seinem Beschluss vom 23.4.2013 die Auffassung, dass bei der Beurteilung der Kursrelevanz nicht allein darauf abzustellen sei, wie wahrscheinlich der Eintritt des künftigen Ereignisses sei, auf das der zu beurteilende Zwischenschritt hinweise. Ein Zwischenschritt werde unter Umständen auch aus anderen Gründen von einem Anleger als Teil der Grundlage seiner Anlageentscheidung benutzt. So könne im Fall Schrempp bereits die Absicht des Emittenten, die personelle Veränderung in der Leitung umzusetzen, bedeuten, dass er die von Schrempp verfolgte Geschäftspolitik nicht oder nicht mit Nachdruck weiterverfolge.[89]
56
Nach Auffassung der BaFin ist im Hinblick auf die Bewertung von Zwischenschritten davon auszugehen, dass ein Kursbeeinflussungspotenzial umso eher anzunehmen ist, je gewichtiger und wahrscheinlicher das Endergebnis ist. Auf eine Mindesteintrittswahrscheinlichkeit kommt es aber nicht an, jedoch darf der Eintritt des Endereignisses nicht völlig ausgeschlossen sein.[90] Bei der Beurteilung von Zwischenschritten auf ihre Kursrelevanz sollte der Emittent demnach sorgfältig prüfen, ob spezifisch in dem jeweiligen Zwischenschritt liegende Aspekte für dessen Kurserheblichkeit sprechen. Die Eintrittswahrscheinlichkeit des Endergebnisses kann hierbei nach Meinung der BaFin ein Indikator sein.
57
Bei zeitlich gestreckten Vorgängen ist damit auf jeder einzelnen Zwischenstufe zu prüfen, ob eine Insiderinformation vorliegt. Ob es dann zum entsprechenden Endergebnis, also z.B. einer Übernahme oder dem Ausscheiden eines Vorstandsmitglieds kommt, ist nicht von Bedeutung[91]. Unter Berücksichtigung der Auffassung der BaFin darf der Eintritt des Endereignisses nur nicht gänzlich ausgeschlossen sein. Im Falle einer Medikamentenentwicklung können so z.B. nicht nur die finale Zulassung, sondern auch vorgelagerte Geschehnisse, wie die Entdeckung des Wirkstoffs oder erfolgreiche Tests als Insiderinformation in Frage kommen.[92]
2. Teil Emittenten-Compliance › 3. Kapitel Ad-hoc-Publizität in Unternehmen › D. Selbstbefreiung
1. Überblick
58
Gem. Art. 17 Abs. 4 MAR ist ein Emittent oder Teilnehmer am Markt für Emissionszertifikate solange von der Ad-hoc-Publizitätspflicht befreit, sofern (i) die unverzügliche Offenlegung geeignet wäre, seine berechtigten Interessen zu beeinträchtigen, (ii) keine Irreführung der Öffentlichkeit zu befürchten ist und (iii) er die Geheimhaltung der Insiderinformation sicherstellen kann. Unter gleichen Voraussetzungen kann ein Aufschub gem. Art. 17 Abs. 4 Unterabs. 2 MAR auch bei gestreckten Vorgängen vorgenommen werden. Die Veröffentlichung ist nach Ablauf des Befreiungszeitraumes unverzüglich vorzunehmen, wobei die Insiderinformation in ihrer zum Veröffentlichungszeitpunkt aktuellen Fassung zu publizieren ist.[93]
a) Allgemeiner Aufschubgrund: Berechtigtes Interesse
59
Eine Selbstbefreiung setzt zunächst ein berechtigtes Interesse des Emittenten an dem Aufschub der unverzüglichen Veröffentlichung der Insiderinformation voraus (Art. 17 Abs. 4 MAR). Die MAR enthält keine Definition dieses Tatbestandsmerkmals. Nach bisherigem Recht lag ein berechtigtes Interesse des Emittenten vor, wenn die Interessen des Emittenten an der Geheimhaltung der Information die Interessen des Kapitalmarktes an einer vollständigen und zeitnahen Veröffentlichung überwiegen (§ 6 S. 1 WpAIV). Aufgrund des Wortlauts der MAR, der in Art. 17 Abs. 4 MAR lediglich erfordert, dass die Veröffentlichung geeignet ist, die legitimen Interessen des Emittenten zu gefährden, und der Tatsache, dass die ESMA im Zusammenhang mit Art. 17 Abs. 4 MAR an keiner Stelle von einer Abwägung des Geheimhaltungsinteresses des Emittenten mit dem Informationsinteresse des Marktes spricht, wird die Ansicht vertreten, dass eine derartige Interessenabwägung nicht mehr notwendig sei.[94] Aufgrund der im Nachgang erlassenen WpAV, die den Wortlaut von § 6 WpAIV in § 6 WpAV wiederholt, ist diese Sichtweise abzulehnen und es bedarf weiterhin einer Interessenabwägung.
60
Fallkonstellationen eines berechtigten Interesses legt Erwägungsgrund Nr. 50 der MAR nicht abschließend dar. Hierbei handelt es sich z.B. um laufende Vertragsverhandlungen, – insbesondere bei Verhandlungen bei drohender Überschuldung eines Emittenten, die durch die Veröffentlichung der Information beeinträchtigt würden und Entscheidungen eines Geschäftsführungsorgans, die im Falle dualer Gesellschaftsstrukturen der Zustimmung eines anderen Organs bedürfen.[95]
61
Zudem können sich gem. ESMA-Leitlinien die Fälle, in denen die unverzügliche Offenlegung von Insiderinformationen geeignet wäre, die berechtigten Interessen des Emittenten zu beeinträchtigen, auf folgende nicht abschließende Umstände beziehen:[96]
– | Der Emittent führt Verhandlungen, deren Ergebnis durch die unverzügliche öffentliche Bekanntgabe wahrscheinlich gefährdet würde. Beispiele für solche Verhandlungen sind Verhandlungen über Fusionen, Übernahmen, Aufspaltungen und Spin-offs, Erwerb oder Veräußerung wesentlicher Vermögenswerte oder Unternehmenszweige, Umstrukturierungen und Reorganisationen. |
– |
Die finanzielle Überlebensfähigkeit des Emittenten ist stark und unmittelbar
|