würde die Interessen der vorhandenen und potenziellen Aktionäre erheblich beeinträchtigen, indem der Abschluss der Verhandlungen gefährdet würde, die eigentlich zur Gewährleistung der finanziellen Erholung des Emittenten gedacht sind.
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Insbesondere für gestreckte Sachverhalte wird der letztgenannte Punkt von Relevanz sein, wenn eine Maßnahme zu ihrer Wirksamkeit noch der Zustimmung des Aufsichtsrates bedarf.
Mit der ersten Voraussetzung, d.h. die Gefahr der falschen Bewertung der Information durch das Publikum bei einer Offenlegung vor Zustimmung des anderen Organs, soll die Selbstbefreiung auf solche Fälle begrenzt werden, in denen der Vorstand Zweifel an der Zustimmung des Aufsichtsrates hat.[97] Mit der zweiten Voraussetzung soll der Emittent sicherstellen, dass eine Entscheidung des Aufsichtsrates so bald als möglich über die Maßnahme herbeigeführt wird.[98]
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War im Rahmen des Konsultationsprozesses durch die ESMA noch vorgesehen, dass eine Entscheidung des Aufsichtsrates binnen eines Tages zu erfolgen hat, ist die nun erfolgte Regelung deutlich weniger restriktiv und dürfte der bisherigen Verwaltungspraxis der BaFin unter § 15 Abs. 3 WpHG a.F. entsprechen, wonach eine möglichst zügige und gegebenenfalls auch außerhalb der nächsten turnusmäßigen Sitzung gefasste Entscheidung des Aufsichtsrates erfolgen soll.[99]
b) Besonderer Aufschubgrund für Kredit- und Finanzinstitute
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Neben dem allgemeinen Aufschubgrund können gem. Art. 17 Abs. 5 MAR Kredit- und Finanzinstitute die Veröffentlichung von Informationen aufschieben, wenn die Stabilität des Emittenten und des gesamten Finanzsystems gefährdet wäre. Das betrifft insbesondere auch Informationen im Zusammenhang mit zeitweiligen Liquiditätsproblemen und Liquiditätshilfen z.B. seitens einer Zentralbank. Voraussetzung ist, dass die Offenlegung an sich das Risiko birgt, die finanzielle Stabilität des Emittenten und des Finanzsystems zu gefährden, nicht etwa andere Umstände, z.B. eine Ertragskrise.[100] Die Voraussetzungen dieses Aufschubgrundes sind eng zu interpretieren. Es genügt dabei z.B. nicht, dass die Information lediglich Zweifel an der Liquidität eines systemrelevanten Kreditinstituts hervorruft, sondern die Information muss eine ernsthafte Gefahr eines „bank run“ oder vergleichbaren Szenarios hervorrufen.[101] Daneben muss gem. Art. 17 Abs. 5 MAR der Aufschub im öffentlichen Interesse liegen und die Geheimhaltung der Information muss gewährleistet werden. Das öffentliche Interesse dürfte gewahrt sein, wenn die finanzielle Stabilität des Emittenten und des Finanzsystems durch die Offenlegung gefährdet sind.[102] Im Gegensatz zum allgemeinen Aufschubgrund, bedarf es beim besonderen Aufschubgrund der vorherigen Zustimmung der zuständigen nationalen Behörde. Der Emittent sollte die zuständige Behörde schriftlich unter Wahrung entsprechender Sicherheitsstandards über die Absicht informieren, vom entsprechenden Ausnahmetatbestand Gebrauch zu machen.[103] Diese stellt zudem sicher, dass der Aufschub der Offenlegung von Insiderinformationen nur für den im öffentlichen Interesse erforderlichen Zeitraum gewährt wird (Art. 17 Abs. 6 Unterabs. 4 MAR), d.h. die Aufsichtsbehörde muss mindestens wöchentlich prüfen, ob die Voraussetzungen für den Aufschub noch gegeben sind.[104]
3. Keine Irreführung der Öffentlichkeit
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Als weitere Voraussetzung des Selbstbefreiungstatbestands darf durch die Selbstbefreiung keine Irreführung der Öffentlichkeit zu befürchten sein.[105]
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Gem. ESMA liegt eine Irreführung der Öffentlichkeit mindestens in folgenden Fällen vor:[106]
– | Die Insiderinformationen, deren Offenlegung der Emittent aufzuschieben beabsichtigt, unterscheiden sich wesentlich von der früheren öffentlichen Ankündigung des Emittenten hinsichtlich des Gegenstands, auf den sich die Insiderinformationen beziehen, oder |
– | die Insiderinformationen, deren Offenlegung der Emittent aufzuschieben beabsichtigt, betreffen die Tatsache, dass die finanziellen Ziele des Emittenten aller Wahrscheinlichkeit nach nicht erreicht werden, wobei diese Ziele zuvor öffentlich bekanntgegeben worden waren, oder |
– | die Insiderinformationen, deren Offenlegung der Emittent aufzuschieben beabsichtigt, stehen im Gegensatz zu den Markterwartungen, wobei diese Erwartungen auf Signalen beruhen, die der Emittent zuvor an den Markt gesendet hatte, zum Beispiel durch Interviews, Roadshows oder jede andere Art der vom Emittenten organisierten oder genehmigten Kommunikation. |
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Die Beispiele der ESMA beziehen sich auf Äußerungen, die der Emittent vor dem Aufschub der Insiderinformation getätigt hat, d.h. ein Aufschub ist nicht möglich, wenn zuvor die Öffentlichkeit anderweitig informiert wurde.[107] In diesem Fall habe der Emittent eine Erwartungshaltung erzeugt und diese anschließend nach neuen Erkenntnissen nicht unverzüglich angepasst.[108]
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Der Emittent darf allerdings, wie bereits nach bisherigem Recht, bei etwaig während des Befreiungszeitraums aufkommenden Gerüchten aktiv keine Signale setzen, die zu der noch nicht veröffentlichten Insiderinformation im Widerspruch stehen.[109]
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Die Verwaltungspraxis der BaFin, wonach dieses Informationsungleichgewicht hingenommen wird, so lange nicht aktiv Signale gesetzt werden, die zur veröffentlichten Insiderinformation in Widerspruch stehen, dürfte auch weiterhin Anwendung finden (no comment policy).[110] Der Emittent hat damit zwar ein Recht zu schweigen, jedoch kein Recht zu lügen.[111] Sind die Gerüchte allerdings hinreichend präzise, kann eine no comment policy nicht mehr greifen, da dann bei Aufrechterhaltung des Schweigens eine Irreführung der Öffentlichkeit droht.
4. Gewährleistung der Vertraulichkeit
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