dass sich die Rechtsauffassung der Finanzbehörde letztlich durchsetzt und findet sich damit ab, dass möglicherweise eine unzutreffende Besteuerung erfolgt, so handelt er bedingt vorsätzlich. Ist er davon überzeugt, dass letztlich eine Veranlagung in der von ihm für richtig erachteten Weise erfolgen wird, fehlt es am Vorsatz.[666] Er handelt dann möglicherweise leichtfertig, sofern es zu einer Steuerverkürzung kommt. Entsprechend entscheidet, soweit ersichtlich, der BGH.[667] So hat er für den Fall, dass ein Steuerberater, im Rahmen der Betriebsprüfung einen unrichtigen Beleg vorlegt, um dadurch einer nach seiner Auffassung irrigen Rechtsauffassung des Steuerbeamten Rechnung zu tragen und zu verhindern, dass seinem Mandanten eine ungerechtfertigte steuerliche Mehrbelastung entsteht, entschieden, dass er mangels Vorsatzes keine Steuerhinterziehung begeht.[668] Vorsätzlich handelt hingegen, wer es für möglich hält, dass die seiner Auffassung nach unzutreffende Rechtsansicht der Finanzbehörde zu einer entspr. Festsetzung führen kann, die finanzgerichtlich bestätigt wird. Er muss die Besteuerungsgrundlagen gegenüber dem Finanzamt offenbaren, auch wenn er hinsichtlich der Steuerpflicht eine andere Rechtsauffassung vertritt (s. dazu auch Rn. 62).[669]
3. Auswirkung von Fehlvorstellungen über das Bestehen eines Steueranspruchs auf den Vorsatz
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Vorsätzlich i.S.d. § 370 AO handelt der Täter, nach der in Literatur[670] und Rspr.[671] derzeit vorherrschenden Meinung, wenn er den nach Grund und Höhe bestimmten Steueranspruch kennt oder wenigstens für möglich hält und ihn auch verkürzen will (sog. „Steueranspruchstheorie“). Danach hinterzieht bspw. ein Unternehmer, der die in ihm erteilten Rechnungen ausgewiesene USt als Vorsteuer geltend macht, obwohl dies wegen der falschen Angabe des Leistungsgegenstandes unzulässig ist (§ 14 Abs. 2 UStG), nicht vorsätzlich Steuern, wenn er davon ausgeht, trotz der unrichtigen Leistungsangabe zum Vorsteuerabzug berechtigt zu sein. Er irrt dann über den umsatzsteuerrechtlichen Rechnungsbegriff und unterliegt damit einem (vorsatzausschließenden) Tatbestandsirrtum i.S.d. § 16 StGB.[672] Umgekehrt liegt ein untauglicher Versuch vor, wenn der Betroffene in der irrigen Annahme handelt, er verwirkliche durch eine Tathandlung des § 370 Abs. 1 AO ein objektives Tatbestandsmerkmal des § 370 AO.
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Aufgrund der Tatsache, dass § 370 von der vorherrschenden Meinung als Blankettvorschrift qualifiziert wird (s. dazu Rn. 2 ff.), wurde die Steueranspruchstheorie bereits in der Vergangenheit von einzelnen Stimmen in der Literatur mit Verweis auf die allgemein, d.h. außerhalb des Steuerstrafrechts, vorherrschenden Grundsätze zu Blankettnormen in Frage gestellt.[673] Nach den allgemein anerkannten Grundsätzen zu Blankettverweisungen soll es genügen, dass der Täter die Kenntnis von den Umständen hat, die die einschlägige Norm, auf die verwiesen wird, ausfüllen, nicht hingegen Kenntnis von der Norm selbst.[674] Es bestehe kein Grund dafür, § 370 anders zu behandeln als andere Blankettnormen. Folge des Blankett-Verweises sei, dass die Tatbestandsmerkmale der steuerlichen Normen gemeinsam mit denen des § 370 den Straftatbestand bilden, so dass der Vorsatz die Tatbestandsmerkmale des Steuergesetzes umfassen müsse, nicht aber darüber hinaus die Steuerbarkeit bzw. das steuerliche Ergebnis.[675] Es leuchte nicht ein, zwischen einem Rechtsirrtum i.S.d. § 17 StGB über die Strafbewehrtheit und einem solchen über die Steuerpflicht oder den Verkürzungsumfang zu unterscheiden.[676] In diesem Sinne tendierte auch der 1. Strafsenat des BGH in einer Entscheidung vom 8.9.2011 (1 StR 38/11) dazu, die Voraussetzungen an den Vorsatz weiter herab zu setzen, indem er Zweifel daran äußerte, ob eine Fehlvorstellung über das Bestehen eines Steueranspruchs in den Fällen als Tatbestandsirrtum zu qualifizieren ist, in denen der Irrtum sich „auf die Reichweite einer steuerlichen Norm“ bezieht. Der BGH deutete an, dass eine derartige Fehlvorstellung lediglich als Verbotsirrtum i.S.d. § 17 StGB zu werten sein könnte.[677] Folge wäre dann, dass der Irrtum nur bei Unvermeidbarkeit zur Straflosigkeit führen würde – und zwar nicht mangels Vorsatzes sondern erst auf der Ebene der Schuld. Als Tatbestandsirrtum würde dann nur die Fehlvorstellung über die tatsächlichen Umstände, d.h. über die Besteuerungsgrundlagen anerkannt werden, nicht hingegen ein Irrtum über „die steuerrechtlichen Zusammenhänge (Besteuerungstatbestand, Steuerschuldnerschaft, Erklärungspflicht).[678] Diese Rechtsprechung hat der 1. Senat in einer Entscheidung vom 25.10.2017 (1 StR 339/16) noch einmal bestätigt.[679] Demgegenüber hat der 1. Senat in einer Entscheidung vom 24.1.2018 (1 StR 331/17)[680] mitgeteilt, er erwäge – ausdrücklich entgegen den Überlegungen in seinem Beschluss vom 8.9.2011(1 StR 38/11) – zukünftig die Fehlvorstellung über die Arbeitgebereigenschaft in § 266a StGB und die daraus folgende Abführungspflicht – ebenso wie die Arbeitgebereigenschaft i.S.d. Lohnsteuerrechts gem. § 41a EStG – insgesamt als (vorsatzausschließenden) Tatbestandsirrtum zu behandeln.[681] Er begründet dies damit, dass für die Differenzierung bezüglich eines Irrtums i.R.d. § 370 und i.R.d. § 266a StGB kein sachlicher Grund erkennbar sei und es sich bei der Arbeitgeberstellung und der daraus resultierenden Abführungspflicht um (normative) Tatbestandsmerkmale handele.[682] Dem ist beizupflichten.[683] Mit dieser Rechtsprechung wird eine Angleichung der Anforderungen an den Vorsatz i.R.d. § 266a StGB und des § 370 erreicht.
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Die gegenteilige Meinung übersieht, dass es sehr wohl Unterschiede zwischen den Verweisen des § 370 auf das Steuerrecht und (sonstigen) Bankettverweisungen gibt. Die „Verweise“ des § 370 beziehen sich nämlich nicht (entsprechend der Definition von Blankettnormen) nur auf steuerliche Ge- und Verbote, sondern darüber hinaus auch auf den Steueranspruch selbst, aus dem die Ge- und Verbote erst erwachsen. Wie der Name „Verbotsirrtum“ schon sagt, umfasst dieser hingegen nur Fehlvorstellungen über die sich aus einem bestimmten Sachverhalt ergebenden strafbewehrten Pflichten.[684]
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Zudem nennt § 370 Abs. 1 (anders alsüblicherweise Blankettnormen) selbst alle für die Verwirklichung der Steuerhinterziehung erforderlichen Tatbestandsmerkmale, d.h. insb. Tathandlung und Taterfolg („und dadurch Steuern verkürzt oder . . . nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt“). Nach der im allgemeinen Strafrecht einhellig vertretenen Dogmatik müssen aber stets alle Tatbestandsmerkmale vom Vorsatz umfasst sein.[685] Folglich muss der Täter auch den Erfolg wollen, d.h. im Falle des § 370 in dem Wissen und Wollen handeln, durch sein Verhalten Steuern zu verkürzen oder nicht gerechtfertigte Steuervorteile zu erlangen. Das ist aber, unabhängig davon, wie man die Tatbestandsmerkmale auslegt, unmöglich, wenn ihm nicht bewusst ist, dass möglicherweise ein Steueranspruch besteht.[686]
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Handelt es sich bei den Merkmalen des § 370, wie hier vertreten, um normative Tatbestandsmerkmale (s. dazu Rn. 5), so muss der Täter, um vorsätzlich zu handeln, neben dem Sachverhalt auch den Bedeutungsgehalt erkennen. Dabei stellt die vorherrschende Meinung auf eine „Parallelwertung in der Laiensphäre“