und „Steuervorteil“.[688]
268
Bezogen auf das Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit des Unterlassens bei der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 und 3 wird überwiegend auch im Rahmen der Steueranspruchstheorie vertreten, der Vorsatz müsse sich darauf nicht beziehen, da es sich bei der Pflicht zu Handeln nicht um einen tatsächlichen Umstand handele.[689] Ein Irrtum über die Pflicht selbst sei ein Verbotsirrtum i.S.d. § 17 StGB. Demgegenüber sei ein Irrtum über die tatsächlichen Umstände, die die Pflicht zum Handeln begründen, Tatbestandsirrtum im Sine des § 16 StGB.[690] Tatsächlich ist aber auch die „Pflichtwidrigkeit“ des § 370 Abs. 1 Nr. 2 – ebenso wie die „Pflichtwidrigkeit“ im Rahmen der Untreue gem. § 266 StGB – normatives Tatbestandsmerkmal und keine Blankettverweisung (siehe dazu auch Rn. 4).[691] Das BVerfG[692] verneint für § 266 StGB das Vorliegen eines Blankett-Verweises mit Argumenten, die genauso für § 370 Abs. 1 Nr. 2 gelten: „Das Pflichtwidrigkeitsmerkmal erschöpft sich nicht nach Art eines Blankettmerkmals in der Weiterverweisung auf genau bezeichnete Vorschriften; es handelt sich vielmehr um ein komplexes normatives Tatbestandsmerkmal. Zunächst stellt sich dem Normanwender die Frage, welche außerstrafrechtlichen Bestimmungen zur Beurteilung der Pflichtwidrigkeit heranzuziehen sind. Sodann stellt sich die Frage nach der Auslegung der relevanten Normen, unter denen sich Vorschriften von erheblicher Unbestimmtheit oder generalklauselartigen Charakters befinden können, da sich dem Normtext des § 266 Abs. 1 StGB Anforderungen an die Bestimmtheit der in Bezug genommenen Normen nicht entnehmen lassen; verwiesen sei insofern nur beispielhaft auf die (. . .) teilweise einschlägigen Bestimmungen der §§ 76, 93, 111, 116 AktG. Die resultierenden Auslegungsschwierigkeiten erhöhen sich, wenn dem Verpflichteten – wie im Fall der zitierten Normen des Aktiengesetzes – eigene Entscheidungsspielräume mit abstrakt schwer zu bestimmenden Grenzen eingeräumt werden.“
269
Entsprechend müssen auch für die Pflichtwidrigkeit i.S.d. § 370 Abs. 1 Nr. 2 zunächst die in verschiedenen Gesetzen geregelten steuerlichen Normen zur Bestimmung der steuerlichen Erklärungspflicht gefunden und ausgelegt werden. Diese Pflichten ergeben sich nicht etwa jeweils aus einer Norm, sondern erst aus dem Zusammenspiel einer Vielzahl von Vorschriften (einerseits zur Person der Steuerpflichtigen und andererseits zu Art und Umfang der steuerlichen Pflichten), sowie darüber hinaus aus weiteren, außerhalb der Steuergesetze entwickelten auslegungsbedürftigen Begriffen, wie z.B. „faktischer Geschäftsführer“ (s. dazu Rn. 32 ff.) oder dem gesetzlich nicht näher geregelten Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten i.S.d. § 42.[693] Daher ist nicht nachvollziehbar, mit welchem Argument das Tatbestandsmerkmal der Pflichtwidrigkeit im Rahmen des § 370 Abs. 1 Nr. 2 und 3 anders eingeordnet werden sollte, als im Rahmen des § 266 StGB.
270
Bei normativen Tatbestandsmerkmalen wird von der Rspr. verlangt, dass der Täter den unter das normative Tatbestandsmerkmal zu subsumierenden Sachverhalt in seinem für die Unrechtsbegründung wesentlichen Bedeutungsgehalt erfassen muss.[694] Macht sich ein Steuerpflichtiger keine Vorstellungen darüber, dass sein Verhalten nicht mit steuerlichen Vorschriften in Einklang steht, so handelt er nicht vorsätzlich, da er nicht nur über die Strafbarkeit seines Verhaltens irrt, sondern schon über die tatsächliche steuerliche Relevanz. Erkennt er nicht (zumindest im Sinne einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“), dass ein Sachverhalt verwirklicht ist, aus dem sich nach den Steuergesetzen eine Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung ergibt, handelt er nicht vorsätzlich, wenn er die Erklärung nicht abgibt. Die fehlende Kenntnis vom Bestehen eines Steueranspruchs des Fiskus ist insoweit bspw. vergleichbar mit der fehlenden Kenntnis des Diebes von der Fremdheit einer Sache: Zieht dieser aus den ihm bekannten Umständen nicht den Schluss, dass das Eigentum an der Sache zivilrechtlich nicht ihm sondern einer anderen Person zusteht, so wird niemand behaupten, dass er in einem (vermeidbaren) Verbotsirrtum handelt, wenn er die Sache in dem Glauben an sich nimmt, sie gehöre ihm.[695]
271
Dagegen liegt ein – möglicherweise vermeidbarer – Verbotsirrtum nahe, wenn der Täter die Umstände, aus denen sich die Steuerpflicht ergibt erfasst, daraus aber nicht den Schluss auf seine Handlungspflicht zieht.[696] Insoweit kann in der Regel von ihm erwartet werden, dass er sich über die sich aus dem verwirklichten steuerlichen Sachverhalt ergebenden Handlungspflichten informiert. Ein solcher Vorwurf kann ihm jedoch bei fehlender Kenntnis der steuerlichen Relevanz nicht gemacht werden. Jedenfalls die Steuerverkürzung und damit der zum Tatbestand gehörende Erfolg des § 370, ist dann nicht von seinem Vorsatz umfasst.[697] Daran ändert auch die Möglichkeit, sich durch das Studium des Steuerrechts oder durch die Beauftragung eines Fachmannes die erforderlichen Kenntnisse zu verschaffen, nichts. Voraussetzung dafür wäre vielmehr gerade, dass der Betroffene erkennt, dass ein solches Bedürfnis gegeben ist, weil er das Bestehen eines Steueranspruchs für möglich hält. Erkennt er das nicht, verstößt er möglicherweise gegen Sorgfaltspflichten und handelt fahrlässig oder ggf. leichtfertig, vorsätzlich aber handelt er nicht.
272
In der Praxis dürften Fälle, in denen die Rspr. der Behauptung des Angeklagten, er habe das Bestehen des Steueranspruchs nicht wenigstens billigend in Kauf genommen, Glauben schenkt, ohnehin selten vorkommen. Häufig werden entsprechende Verteidigungsbemühungen als Schutzbehauptung behandelt.
4. Erkundigungspflichten des Steuerpflichtigen
273
Die strafrechtliche Rspr. stellt teilweise hohe Anforderungen an Steuerpflichtige, insb. Geschäftsleiter, was ihre Erkundigungspflichten bzgl. der ihnen obliegenden steuerlichen Pflichten betrifft. Jeder Steuerpflichtige habe sich über diejenigen steuerlichen Pflichten zu unterrichten, die ihn im Rahmen seines Lebenskreises treffen.[698] Erfüllt er diese Erkundigungspflichten nicht, wird daraus auf Leichtfertigkeit geschlossen,[699] wenn nicht sogar auf (bedingt) vorsätzliches Handeln, sofern darin die Gleichgültigkeit des Steuerpflichtigen gegenüber solchen Pflichten gesehen wird.[700] Die Erkundigungspflichten treffen den Steuerpflichtigen in besonderem Maße in Bezug auf die steuerrechtlichen Pflichten, die aus der Ausübung eines Gewerbes oder einer freiberuflichen Tätigkeit erwachsen. Bei einem Kaufmann werden deshalb jedenfalls bei Rechtsgeschäften, die zu seiner kaufmännischen Tätigkeit gehören, höhere Anforderungen an die Erkundigungspflichten gestellt als bei anderen Steuerpflichtigen. In Zweifelsfällen hat er von sachkundiger Seite Rat einzuholen.[701]
274
Fraglich ist unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung, wie weit z.B. die Pflichten eines Finanzvorstandes einer größeren Aktiengesellschaft oder eines Konzerns gehen, der, wenn er realistisch ist, allein aufgrund der Vielzahl der steuerlichen Vorgänge im Unternehmen immer davon ausgehen muss, dass die für das Unternehmen abgegebenen Steuererklärungen Fehler enthalten. Ausgehend von der Definition des bedingten Vorsatzes, wonach er die Tatbestandsverwirklichung ernsthaft für möglichhalten[702] und sich damit um des erstrebten Zieles willen (z.B. der rechtzeitigen Abgabe der Steuererklärung) wenigstens abfinden muss, könnte man auf die Idee kommen, Vorsatz zu bejahen, selbst wenn er keine Kenntnis von konkreten Fehlern der Erklärung hat. Damit würde jedoch sowohl das Wissens- als auch das Wollenselement des Vorsatzes überspannt werden. Das gilt hinsichtlich