René Rhinow

Freiheit in der Demokratie


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Grundbedürfnis. Nach Honneth sind moderne Gesellschaften auf Liebe und Freundschaft angewiesen. Das ungebundene Freiheitsstreben der Einzelnen führt zu sozialer Kälte. Oft wird die oder der Andere nicht als Bedingung, sondern als Hindernis der eigenen Freiheit betrachtet. Freiheit kann es aber nur in einem geglückten Miteinander, in einem solidarischen Füreinander-tätig-Sein geben. Die soziale Dimension des Zusammenlebens kommt zu kurz, wenn nur die Verwirklichung der eigenen, individuellen Freiheit angestrebt wird.100 In den Worten von Annemarie Pieper: «Die autonome Freiheit kollektiv vernetzter Individuen räumt jedem von ihnen das Recht auf gleiche Freiheit ein. Voraussetzung dafür ist die Anerkennung der Mitmenschen als gleichwertige Personen.»101 Nach Martin Buber ist ein echtes Gespräch dadurch gekennzeichnet, dass jeder sein Gegenüber als einen Partner wahrnimmt, den er bejaht und bestätigt, auch wenn dessen Meinung im Gegensatz zu seiner eigenen steht.102

      Die mangelnde Anerkennung Anderer äussert sich beispielsweise auf tragische Weise in den Spaltungstendenzen moderner Gesellschaften. Der amerikanische Philosoph Michael J. Sandel führt die Spaltung der amerikanischen Gesellschaft auf eine «Tyrannei der Meritokratie» zurück. Zwar gehöre es zum «alternativlosen» American Dream, dass der individuelle Einsatz und die eigene Leistung zu Arbeit, einem gerechten Lohn und zur Stellung in der Gesellschaft führe, und dies ohne Rücksicht auf Herkunft, Geschlecht oder Hautfarbe. Doch die Leistungsgesellschaft sei zu einem «meritokratischen Wettrüsten» geworden, welches Gleichheits- und Gerechtigkeitsanliegen missachte und die Kluft zwischen Arm und Reich vergrössere.103 Die Bildungschancen seien ungerecht verteilt. Eine gute Ausbildung von Jugendlichen sei für viele Amerikanerinnen und Amerikaner nicht finanzierbar, zwei Drittel der amerikanischen Bevölkerung wiesen keinen Abschluss an einem College auf. In keiner anderen Schicht sei die Aussicht auf einen sozialen Aufstieg eine grössere Illusion als bei der weissen, schlecht gebildeten Unterschicht. Folge sei ein Bildungsadel, bestehend aus Absolventinnen und Absolventen der Eliteuniversitäten, der seine Privilegien hüte. Dies wiederum habe zu einem ökonomischen und kulturellen «College-Graben» geführt, oft gepaart mit Gefühlen des Unmuts und der Demütigung auf der einen, Unverständnis und Überheblichkeit auf der anderen Seite. Nach Sandel gehören Republikaner und Demokraten zu dieser meritokratischen Elite, die er «linksliberal» einstuft.104

      Ähnliche Erscheinungen sind auch in Grossbritannien und Frankreich zu beobachten, wo die Politik massgeblich von Abgängerinnen und Abgängern aus den Hochschulen von Oxford und Cambridge respektive von der École nationale supérieure geprägt wird. Es kann hier offenbleiben, ob diese Sicht durch andere Faktoren ergänzt werden müsste, etwa durch die Entfremdung vieler Menschen, die Globalisierungsängste, das Fehlen von Resonanz, das Gefühl vieler Menschen, von der Politik vernachlässigt zu werden.

      Der britische Journalist David Goodhart weist darauf hin, dass die gesellschaftliche Trennung in eine «kognitive Klasse» von zumeist akademisch Gebildeten und traditionellen nichtakademischen Berufsleuten dazu führt, dass sich Letztere abgehängt und unverstanden fühlen. Er stellt zudem eine weltanschauliche Kluft fest zwischen den urbanen, kosmopolitischen, zumeist akademischen Eliten der Wissensgesellschaft, die er die «Anywheres» nennt, und der weniger gebildeten, aber stärker verwurzelten Mittelklasse, den «Somewheres». Diese sind in den letzten Jahrzehnten mehr unter wirtschaftlichen Druck geraten. Folge dieser Entfremdung von Somewheres und Anywheres sei die «populistische Revolte» in den westlichen Ländern.105

      Für Liberale muss es angesichts der kulturellen und wirtschaftlichen Spaltung der Gesellschaft eine grosse und dringende Herausforderung sein, den Zugang zu benachteiligten und «abgehängten» Schichten der Bevölkerung zu suchen und in ihrer Sprache über ihre Probleme vorurteilsfrei zu diskutieren und vor allem: sie ernst zu nehmen. Gesellschaftliche Spaltungen stellen auch die liberale, repräsentative Demokratie infrage. Wenn sich eine grosse Bevölkerungsschicht nicht respektiert, nicht ernst genommen und diskriminiert fühlt, ist sie auch nicht in der Politik vertreten, sie ist nicht repräsentiert. Das wiederum bildet einen Nährboden für populistische Bewegungen, die an diese Unzufriedenheit anknüpfen.

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