Sabine Adatepe

Lichtblau


Скачать книгу

weckten. Imke ließ einen Cappuccino kommen und bedauerte, nicht vor der Auslandsreise in Frankfurt gewesen zu sein, nun war die Vorgängerausstellung verpasst, sehr ärgerlich, aber Dieter hatte sich nicht umstimmen lassen. »Erst Bildungsreise, dann Urlaub und zum Schluss die Schwester, oder ich sag die ganze Geschichte ab.« Damit hatte er die Diskussion beendet. Imke war ja auch froh gewesen, dass sie die Seidenstraße als Last-Minute-Schnäppchen bekommen hatten, und das bei diesem Anbieter! Der war ja eigentlich viel zu teuer, selbst mit Frühbucherrabatt. Sie hatten Damaskus gebucht, schon im letzten Jahr. Doch als der Krieg ausbrach, stornierte Dieter die Reise. Ich bin doch nicht lebensmüde, kommt nicht in Frage! Er hatte sich nicht erweichen lassen, nicht einmal abwarten wollen, ob der Veranstalter die Reise von sich aus absagen würde. Imke hatte tagelang geschmollt. Dann war Anfang Mai die Rundmail mit den Restplätzen für die Seidenstraße gekommen. Buchara, Samarkand, Taschkent, das wollte sie schon immer einmal sehen, also hatte Dieter spontan gebucht, bevor sie ihm mit dem Gejammer über den Garten, den man um diese Jahreszeit unmöglich allein­lassen könne, die Laune verdarb.

      Nun war der Flieder ausgeputzt, der Phlox zurückgeschnitten. Wo kam nur die Ackerlichtnelke her? Imke rupfte hier und dort und schnaufte. Sollte sie das Kraut einfach stehenlassen? Nein, unerwünschte Gäste hatten in ihrem Garten nichts zu suchen. Als sie endlich die welken Blüten des kleinen Rhododendrons im Vorgarten ausbrach, kam die Nachbarin vom Einkaufen zurückgeradelt.

      »Imke! Da seid ihr ja wieder. Und du bist schon fleißig! Gut siehst du aus, richtig erholt. Wie war’s denn?«

      »Ja, wunderschön, die alten Moscheen, Pracht und Glanz, doch doch alles tipptopp restauriert, herrliche Fa­yencen, und der armenische Gottesdienst, so exotisch und doch so nah, ja, auch einen russisch-orthodoxen, aber die mit ihren Ikonen, von der Kunst her überwältigend, aber als einfacher Gläubiger bleibst du in der Kirche ausgeschlossen, nein, finde ich auch, als Kunstwerke sind die Kirchen einzigartig, nun gut, ja, jedem das Seine, aber … Und Christel, ich hab auch Ableger mitgebracht, heimlich natürlich, aber Not macht erfinderisch, die muss ich gleich noch einsetzen, und guck dir nur den Garten an, ja, schön geblüht hat er bestimmt, als wir weg waren, aber alles hängt, und staubtrocken, die Regentonne leer, Ameisen im Kompost, denk dir, kein Pilzbefall dieses Jahr und die Schnecken halten sich auch in Grenzen, da hast du recht, aber …«

      »Und habt ihr dann noch den Abstecher zur Tochter gemacht?«

      Imke zuckte zusammen. Zur Tochter? Die seit Jahren die Beleidigte spielte, die Unverstandene? Imke hatte ihr Leben für die Kinder gegeben, hatte, wie es damals üblich war, den eigenen Beruf an den Nagel gehängt, war darin aufgegangen, Hausfrau und Mutter zu sein. Sie war für die kleinen und großen Sorgen der Kinder da, kümmerte sich, stand parat, wenn Elternmitarbeit gefordert war, stellte die eigenen Interessen zurück. Und was war der Dank dafür? Vorhaltungen, Vorwürfe, Undankbarkeit. Schließlich Kontaktabbruch. Hätte ihr das jemand vorher gesagt … Sie schluckte.

      »Sie wohnt doch da unten, oder? Ihr wolltet doch bei ihr vorbei?«

      »Nein, nein, wir waren bei Elke, Dieters Schwester.« Imke kämpfte die Schatten nieder. »Das war ein schöner Abschluss, nur Letzte Bilder in der Schirn hab ich verpasst, ich hätte Dieter doch überreden sollen, vor der Reise in Frankfurt vorbeizufahren, das ist wirklich zu und zu ärgerlich, die kriegst du ja nie wieder in dieser Fülle geboten …«

      »Die Wäsche ist durch!«, meldete Dieter von der Kellertreppe und trug die Spinne herauf.

      Imke verwies die Nachbarin auf die nächste Kaffeerunde, bis dahin seien auch die Bilder fertig. Im Gehen streifte sie die Gartenhandschuhe ab, rasch die Wäsche, bevor sie spakig wird! Sie ging nicht, sie eilte. Wie ein junges Reh, hatte Dieter sie früher geneckt. Geschwind, als hätte sie Angst, etwas zu verpassen, wenn sie sich nicht beeilte, spurtete sie mit ihren schlanken Beinen durchs Leben. So sprang sie die Kellertreppe hinunter, die Bodentreppe hinauf, eilte von Raum zu Raum. Eilte nun vom Rhododendron ins Bad zum Händewaschen, vom Bad zum Rasen, wo Dieter die Spinne aufbaute. Der Korb mit der nassen Wäsche wartete.

      Während sie die Wäsche aufhängte, deckte Dieter die jungen Erdbeerpflanzen mit Holzwolle ab.

      »Vergebene Liebesmüh bei so viel Sonne«, rief Imke.

      »Nach so viel Hoch ist das nächste Tief nicht weit«, hielt er dagegen. »Und wenn deine Erdbeeren nachher auf der Erde faulen, möchte ich dein Gejammer nicht hören.«

      Er mochte ihr Gejammer nie hören. Meist verschwand er dann in den Keller. In seine Werkstatt. Seit er in Rente war, war sie oft froh über das große Haus. Man konnte sich aus dem Weg gehen. Groß war es ihr erst erschienen, als die Kinder aus dem Haus waren und das Klar-Schiff-Machen mit jedem Jahr mehr Mühe bereitete. Die Nachbarinnen hatten längst Perlen, zum Putzen sowieso, manche auch für Küche und Wäsche, nur Bärbel von gegenüber erledigte noch alles selbst genau wie Imke. Es lag nicht am Geld. »Dieter kann es nie sauber genug sein«, erklärte Imke, wenn sie auf einem der Damenkränzchen wieder einmal gefragt wurde, warum sie sich keine Hilfe zulegte. Aber er packe auch kräftig mit an. Schwups, waren die pensionierten Herren der Siedlung das Thema. Im Garten schafften sie alle kräftig mit, im Haus dagegen nur bei den gröberen Arbeiten, auch das nur, wenn sie handwerklich geschickt waren. Die meisten hockten vor dem Computer, der digitalen Technologie, die sie in den letzten Berufsjahren reichlich Nerven gekostet hatte. Jetzt aber, ohne den Druck, mit Jüngeren mithalten und Termine einhalten zu müssen, waren fast ausnahmslos alle gefesselt davon. Hielten die Frauen Teestunde, Kaffeerunde oder Gartengänge, trafen die Männer sich zum IT-Talk. Man half sich erstmal gegenseitig, bevor man Söhne befragte oder Volkshochschulangebote für die ältere Generation annahm. Die ersten Schritte hatten sie gemeinsam gemacht, dann schnitzte sich jeder sein Steckenpferd, meist dem früheren Beruf nahe, so waren in der Blümchensiedlung rasch alle nötigen Gebiete abgedeckt.

      »Willst du die Tomaten ausgeizen, bevor ich sie hochbinde?«

      Die Sonne stand schon tief, Imke krümmte sich über die Löwenmäulchen, zupfte Blättchen, schnitt verwelkte Blüten heraus, rupfte schon wieder Lichtnelken, Giersch und Ackerwinden und wollte jetzt nicht an Tomaten denken. Der Tag war so gut wie herum und sie hatte kaum etwas geschafft.

      »Imme? Hörst du?«

      Schmerz verzerrte ihr Gesicht, als sie sich mühsam aufrichtete. Immer musste er sie aus dem Rhythmus bringen. Konnte er nicht einmal die Tomatentriebe selbst ausbrechen?

      »Ist es wieder der Rücken? Du sollst doch den Schemel benutzen.«

      »Ach, geht schon.« Nur nicht jammern. Sie schaffte alles noch selbst. Die Jahrzehnte auf dem Buckel spürte sie kaum. Oder doch selten, wenn auch zunehmend. Fühl dich jung, dann bist du es auch.

      Dieter stellte ihr den Schemel hin.

      »Jetzt setz dich darauf. Um die Tomaten kümmere ich mich schon.«

      Sie lächelte ihn dankbar an, und verzog erneut das Gesicht, als sie sich wieder zu den Löwenmäulchen beugte. Aber das sah er nicht mehr.

      *

      »Ich hol noch rasch den Schredder von drüben, damit wir den Kompost nicht überfordern«, rief Dieter nach der Tagesschau aus dem Flur.

      »Hat das nicht bis morgen Zeit?«

      Doch er war schon aus der Tür. Mit seinen Spontanentscheidungen hatte sie sich nie anfreunden können.

      Sie blätterte durch die Post, sortierte uralte Zeitschriften aus dem Stapel, legte die Bügelwäsche heraus, morgen war auch noch ein Tag. Sie war hundemüde, vielleicht lief etwas Leichtes im Fernsehen, kaum saß sie davor, nahm sie den Reiseführer Damaskus zur Hand, bestellt, bevor Dieter die Reise storniert hatte, der arabische Frühling hatte nirgendwo sehr lange vorgehalten, sicher würden sie bald nach Syrien fahren können, und die Schirn plante Géricault für den Spätherbst, das würde sich lohnen, wo steckte denn nur das Herbstprogramm der Freunde der Kunsthalle, eben hatte sie es noch in der Hand, ah, das Ikebana-Magazin war auch schon da, aber wo war die neue Landlust?

      *

      Anderthalb Stunden später, als Dieter den Kopf durch die Stubentür steckte, »bin wieder da«, nachdem