Johanna Vocht

Onettis Santa María(s): Machträumliche Spannungsfelder zwischen biologischer Reproduktion und künstlerischer Produktion


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in sexualisierter Gewalt und einer grundsätzlichen Abwertung der Frau. Die beschriebenen Aggressionen ließen sich daher nur in den wenigsten Fällen in „business or professional activities [that] can be nonphysical expressions“208 kanalisieren – in der Mehrzahl entlade sie sich in heterosozialen Konstellationen, sprich: gegen Frauen. Machistische Männlichkeit erfordere außerdem, die eigene sexuelle Potenz ständig unter Beweis zu stellen – bestenfalls durch das Zeugen von Kindern, im Idealfall von Söhnen, oder zumindest durch das öffentliche Sich-Zeigen mit Geliebten. Diese stammten häufig aus sozial niedrigeren Schichten und profitierten ihrerseits von diesem gesellschaftlich akzeptierten Arrangement, indem sie für ihre Rolle als Geliebte materielle Zuwendungen erhielten.209 Auffällig ist, dass die machistischen Codices überwiegend innerhalb eines homosozialen Referenzahmens verortet sind; das bedeutet zum Beispiel, dass laut Stevens der Beweis sexueller Aktivität und Potenz, die in der Zeugung eines Kindes manifest werden, für eine ausschließlich männliche Peergroup außerhalb des eigenen Hauses erbracht werde.210 Machistische Männlichkeit ist demnach mit einer kontinuierlichen ‚Beweispflicht‘ bezüglich der eigenen Potenz verbunden, marianistische Weiblichkeit hingegen mit der Negierung der eigenen Sexualität. Innerhalb des Machismo und Marianismo ist Sexualität damit stark kontrastiv markiert; der Mann als sexuell aktiver, die Frau als sexuell passiver Part. Was beide, männliche und weibliche Sexualität als reflexive Körperpraxis wiederum eint, ist die grundsätzliche Ausrichtung auf Reproduktivität. Doch auch darin unterliegen sie einer starken Dichotomie: Männliche reproduktive Fähigkeiten gelten als Affirmation ihrer Potenz und sind nicht an den christlich-institutionellen Rahmen der Ehe gebunden, weibliche Reproduktionsfähigkeit ist hingegen exklusiv darauf beschränkt. Die Rigidität dieser Dichotomie birgt ein starkes Subversionspotential, welches in Kapitel 5.3 am Beispiel mehrerer weiblicher Figuren in Onettis Texten analysiert werden soll.

      Kritik, die das Konzept des Machismo erfährt, zielt unter anderem auf die Tendenzen zu Generalisierung und Exotisierung, die einige Untersuchungen aufweisen.211 So sieht etwa Rafael L. Ramírez Machismo als einen vielgebrauchten, medial überstrapazierten und damit als Beschimpfung in die Alltagssprache eingegangenen Begriff. Er kritisiert dessen konzeptuell schlechte Ausarbeitung, da durch dessen Singularität die Vielfalt lateinamerikanischer Männlichkeiten nicht abgebildet und in den meisten Fällen die positiv konnotierten Eigenschaften des typischen ‚Macho‘ ausgespart würden:212

      Although many authors (Abad, Ramos, and Boyce 1974: Padilla and Ruiz 1973) pointed out some purportedly positive aspects of Machismo, such as courage, responsibility, and perseverance, the fact remains that the term is associated with male traits or behaviors to which negative qualities are attributed: ‚the sum total of simultaneous brutality, arrogance, and submissiveness (De Jesús Guerrero 1977, 37).213

      Ramírez‘ Kritik richtet sich damit gegen eine essentialistische Form von Rollenzuschreibung, wie sie etwa Robert Brannon und Elisabeth Badinter in den 1970er und 1990er Jahren formulierten.214 Ramírez plädiert jedoch trotz seiner Kritik an den „conceptual limitations of studies on Machismo and their limited explanatory power“ für einen Erhalt von Machismo als wissenschaftlichem Terminus. Allerdings fordert er eine kritische Diskussion und stärkere Kontextualisierung des Begriffs in Bezug auf die grundsätzliche Pluralität von Männlich- und Weiblichkeiten.215

      Mit Fokussierung auf Männlichkeiten in Peru leistet dies Norma Fuller in ihren Forschungsarbeiten:216

      Uno de los objetivos que me propuse al iniciar mis investigaciones sobre las identidades masculinas fue criticar la identificación del llamado macho con la masculinidad típica en América Latina. Buscaba demostrar que este estereotipo nos impide comprenderla bien y encontrar un camino alternativo para explicar por qué el discurso de sentido común –y en algunos casos el académico– lo aceptan como un hecho.217

      Fuller fasst Machismo nicht als die lateinamerikanische Männlichkeit, sondern als eine von vielen lateinamerikanischen Männlichkeiten. Gleichwohl weist sie dem Machismo eine hegemoniale Position innerhalb der Geschlechterordnung zu. Allerdings verwendet sie den Begriff nicht in seiner populären, mitunter pejorativen Verwendung (gegen die sich eben auch Ramírez verwehrt). Stattdessen betont sie die Ambivalenzen innerhalb der Konstruktion des lateinamerikanischen Machos:

      A medida que avanzaba en mis investigaciones encontré que muchos rasgos atribuidos al macho eran parte integrante de la noción de masculinidad hegemónica pero convivían con otros que los contradecían. Así por ejemplo, la potencia sexual y la capacidad de seducir mujeres es una cualidad que en ciertos momentos o espacios puede ser festejada, en otras puede ser considerada como un rasgo de falta de hombría. […] Parecería, pues que no se trata de que el llamado Machismo no exista sino que la difusión de esta imagen ha distorsionado nuestra comprensión de las masculinidades en América Latina porque ha enfocado solo ciertos aspectos, los más llamativos, de ellas ignorando que éstas incluyen muchas facetas.218

      Sie differenziert in ihren Untersuchungen zu Männlichkeiten zwischen verschiedenen Lebensphasen und damit verbundenen unterschiedlichen Konzepten hegemonialer Männlichkeit. Grundlegend für Normas Forschung ist, wie schon bei Connell beschrieben, die heteronormative Abhängigkeit von (einer nicht näher spezifizierten) Weiblichkeit und damit verbunden die genderspezifisch dichotomische Unterscheidung zwischen häuslichem, also privatem, und öffentlichem Bereich. Der häusliche stehe unter der Verwaltung der Frauen (Mütter oder Ehefrauen!), der öffentliche unter der der Männer. Letztgenannter teile sich wiederum in zwei Sphären auf, die jedoch beide homosozial organisiert seien: zum einen den Bereich der Arbeit und zum anderen den Bereich der männlichen Peergroups. Die drei Lebensphasen Kindheit, Jugend, Erwachsenenalter, für die Fuller jeweils bestimmte Kriterien hegemonialer Männlichkeit herausarbeitet, sind jede für sich an bestimmte Räumlichkeiten gebunden. Während das männliche Kind auf den häuslichen Raum beschränkt und dort der mütterlichen Macht untergeordnet sei, habe der Jugendliche seine Virilität im öffentlichen Raum zu beweisen. Entscheidend sei dort das Urteil seiner homosozialen Peergroup. Ein wichtiger Teil des jugendlichen Virilitätskodex‘ sei das Brechen mit häuslichen Regeln, d.h. die Ablösung vom weiblich dominierten Raum des Hauses, von der Mutter und grundsätzlich von allem Weiblichen.219 In einem nächsten Entwicklungsschritt, dem Erwachsenwerden, gelte es, beide räumlichen Sphären zu vereinen und die jugendliche Virilität (virilidad) in ein Mannsein (hombría) zu überführen. So impliziert die von Fuller herausgearbeitete hegemoniale Männlichkeit die Gründung einer Familie, d.h. das Schaffen eines eigenen häuslichen Bereichs, dem der Mann vorstehen kann, und gleichzeitig bestehe sie darin, dass er seine außerhäusliche Reputation nicht vernachlässige. Das wiederum bedeute, sowohl den Lebensunterhalt für die Familie zu verdienen als auch innerhalb der Peergroup zu reüssieren:220

      [L]a vida conyugal les proporciona una vida sexual plena y la oportunidad de demostrar a sus pares que son sexualmente activos. Al tener un hijo de una relación públicamente reconocida, el joven se convierte en padre y jefe de familia: el eje de un nuevo núcleo social. Se inaugura así un nuevo período del ciclo vital y, sobre todo significa el punto en que el varón se consagra como tal al obtener los símbolos de la hombría: comprueba que es potente sexualmente, es jefe de una unidad familiar y responde por ella ante el mundo exterior. Es decir confirma su virilidad y se inserta definitivamente en los ejes doméstico y público.221

      Dieses Anforderungsprofil sei jedoch, wie Fuller fortfährt, eng an eine heteronormative Zweigeschlechtlichkeit sowie die Institution der Ehe gebunden. Reproduktion, die außerhalb der Ehe stattfinde, sei seitens des Mannes gesellschaftlich geduldet, führe jedoch auf Seiten der ledigen Mutter und der entstandenen Kinder zu sozialer und ökonomischer Marginalisierung, da das oben beschriebene heteronormative ‚Ernährer-Gebärerinnen-Modell‘ mit den entsprechenden genderspezifischen machträumlichen Zuschreibungen dort nicht greife. Grundlegend dafür sei die ‚Möglichkeit‘ der Väter, die Vaterschaft zu verweigern bzw. nicht anzuerkennen, während die Mütter bei ihren Kindern blieben.222 Dieses sozioökonomische Phänomen sei laut Fuller ein Klassenproblem, da die beschriebenen Väter oftmals der Mittel- oder Oberschicht, die entsprechenden Mütter niedrigeren Klassen zuzuordnen seien.223

      Die hegemoniale Männlichkeit, die Fuller in ihren Ausführungen beschreibt, ist damit zum einen an institutionalisierte Heteronormativität