Sie mir aufhalsen? Denken wohl, Dohrma ist so ’ne Art Versorgungsanstalt für die Witwen und Waisen der Dohrmaer Dorfbewohner. Haben mir doch erst voriges Jahr die alte Kätner-Lene ins Haus gebracht!«
»Gnädiger Herr, die Kätner-Lene macht sich doch nützlich als Gänsehüterin und verdient ihr Brot!«
»Na ja — vorläufig noch. Aber wie lange, dann klappt sie vollends zusammen und ich muß ihr dann das Gnadenbrot geben. Man hat ohnedies soviel Mäuler zu stopfen, essen ja alle wie die Scheunendrescher. Na — und nun die Stellmachergöre, so ein Kind ist doch ein ganz nutzloser Brotesser. Natürlich, die Bauern halten sich so was vom Leibe und dann muß ich ran. Lieber Gott — bei den schlechten Zeiten. Sie denken wohl, unsereinem fällt das Geld nur so herein, hm?«
»Nein, gnädiger Herr. Aber ich habe schon überall vergeblich angeklopft, und das arme Kind kann doch unmöglich mit dem geistig unzurechnungsfähigen Vater zusammen im Armenhaus bleiben. Wenn ich nicht selber Kinder hätte, ich würde dem gnädigen Herrn nicht lästig gefallen sein!«
»Na ja, weiß schon, sind so ’n Mensch mit etwas zartem Gemüt. Und da soll ich nun natürlich klein beigeben. Was soll ich denn hier in Dohrma mit dem Mädchen anfangen?«
»Auf dem Gute findet sich vielleicht eine leichte Beschäftigung, damit sie ihr Brot nicht ganz umsonst ißt, gnädiger Herr!«
»Hm! Na, ich wills mir mal überlegen: also in Gottes Namen, bringen Sie das Mädchen her, wenn’s denn durchaus sein muß; ich will mal sehen, wo und wie ich sie anstellen kann!«
Damit war Martha Bergers Schicksal besiegelt.
Am nächsten Morgen brachte sie der Lehrer ins Gutshaus.
Der Abschied vom Vater war herzzerreißend, nur das Versprechen des Lehrers, daß sie alle Tage einmal nach dem Vater sehen, ihm das ärmliche Stübchen in Ordnung halten und ihm sonst einige Handreichungen tun dürfe, vermochte sie ein wenig zu trösten.
In den Mägdekammern im Dachgeschoß fand sich ein Winkelchen, wo man Martha ein Lager aufschlug.
Als der Lehrer, Martha an der Hand führend, den Gutshof betrat, kam eben Frau von Dohrma in einer hocheleganten, kostbaren Sommertoilette aus dem Hause, um mit ihrem Sohne Artur eine Ausfahrt zu machen.
Der Wagen stand schon vor der Tür.
Sie raffte das Kleid zusammen und blickte hochmütig ; über die zitternde Kleine in ihrem schlichten, geflickten Kittelchen hinweg.
Artur wandte den Kopf nach Martha um, als er an den Wagen trat.
Gerade fiel ein Sonnenstrahl über ihr blondes Köpfchen, so daß das Haar goldig aufglänzte.
»Das ist Martha Berger, Mama, die Tochter des Stellmachers, der jetzt im Armenhause ist. Sie soll in Dohrma bleiben, Papa hat es der Mamsell gesagt!« erklärte Artur seiner Mutter und blickte noch immer zu Martha hinüber.
»Ach, kümmere Dich doch nicht um solche Leute, mein Sohn. Das ist nichts für Deinesgleichen!« antwortete diese und lehnte sich im Wagen zurück.
Artur stieg ebenfalls ein.
Er sah in seinem feinen Anzug sehr vornehm aus. Dabei mußte er aber doch denken, daß die kleine Martha ein liebes Gesicht und schönes, goldenes Haar hatte, und eigentlich viel hübscher aussah, als die kleine Komtesse Hohenberg, deren Eltern er jetzt mit seiner Mutter besuchen wollte.
Als er von diesem Besuch wieder nach Hause kam, war sein erstes, die Mamsell zu fragen, was nun mit Martha geschehen solle.
Er erhielt den Bescheid, daß diese vorläufig in der der Küche beschäftigt werden sollte beim Kartoffelschälen und Gemüseputzen. —
Bald darauf schlenderte Artur nach der Küche und stellte sich breitbeinig, die Hände in den Taschen, mit seinem stolzen Gesicht vor Martha Berger hin.
Sie saß allein in der Küche und schälte Kartoffeln. Ängstlich blickte sie mit ihren großen, schönen Augen zu ihm auf und strich sich verlegen mit der verkehrten Hand eine lockige Haarsträhne aus dem Gesicht. Dabei entfiel ihr die Kartoffel, die sie hielt, und rollte vor Arturs Füße.
Unwillkürlich wollte dieser sich danach bücken, um sie aufzuheben, denn Martha gefiel ihm sehr gut, und ihr schönes Haar fand er wundervoll. Aber gleich fiel ihm die Mahnung seiner Mutter ein.
Und er schämte sich der guten, menschlichen Regung und stieß mit dem Fuß nach der Kartoffel.
»Gib doch besser acht auf Deine Arbeit, Du!« sagte er herrisch.
Martha hatte sich hastig nach der Kartoffel gebückt und da traf sie sein ausschlagender Fuß heftig an der Hand.
Ihr Gesicht zuckte schmerzlich. Sie barg die Hand unter der Schürze und biß die Zähne zusammen, um nicht weinen zu müssen. Ihre Augen blickten ihn groß an.
»Sieh’ Dich doch vor, Du bist sehr ungeschickt!« sagte er ärgerlich, weil ihr Blick ihm ein unbehagliches Gefühl verursachte.
Martha wollte auffahren und ihm eine zornige Antwort geben. Aber da fiel ihr ein, daß er sie dann bei seinem Vater verklagen könnte und man sie aus dem Hause weisen würde.
Dunkelrot wurde ihr Gesicht im Gefühl der Demütigung, die sie erleiden mußte, aber sie sagte kein Wort.
»Na, kannst Du Dich nicht entschuldigen?« stieß er hervor. Es ärgerte ihn, daß sie so still und beherrscht blieb.
»Ich hab’ Dir nichts zuleide getan!« antwortete sie leise, aber fest.
»Ganz egal — Du hast Dich zu entschuldigen. Und daß Du es nur weißt, für Deinesgleichen bin ich Junker Artur, und Du hast Sie zu mir zu sagen!«
Sie preßte die Lippen fest aufeinander.
»Nun, wird’s bald? Wirst Du wohl gleich sagen:
»Verzeihen Sie, Junker Artur!« rief er, gereizt durch ihren passiven Widerstand.
Sie hob den Kopf und sah ihn fest an.
»Sie sind ein sehr böser Junker Artur. Ich habe nichts Böses getan und brauche nicht um Verzeihung zu bitten, lieber sterbe ich!« stieß sie hastig hervor, dabei liefen zwei schwere Tränen über ihre Wangen.
Ihr Ehrgefühl empörte sich über die ungerechte Behandlung und das Herz tat ihr weh, daß dieser schöne, stolze Knabe so häßlich gegen sie war.
Als Artur ihre Tränen sah, wurde er dunkelrot, wandte sich schnell ab und verließ die Küche.
Martha sah ihm mit schmerzverzogenem Gesicht nach und kühlte die geschundene Hand in dem Wasser, in dem sie die Kartoffeln abwusch.
Sie seufzte tief auf. Sicher ging Junker Artur nun zu seinem Vater und verklagte sie. Und dann bekam sie mindestens Schelte oder mußte gar wieder fort von Dohrma.
Ängstlich blickte sie auf, als nach einer Weile die Mamsell eintrat.
Diese machte jedoch ein ganz freundliches Gesicht und gab Martha eine Scheibe Brot, welche mit Pflaumenmus bestrichen war.
»Da, iß, Du armes Hascherl«, und sei recht fleißig, hörst Du?« sagte sie lächelnd und strich ihr übers Haar.
Martha hätte ihr die Hand küssen mögen, so dankbar war sie für die kleine Freundlichkeit. Und sie überlegte ob sie der Mamsell sagen sollte, was sich zwischen ihr und I Junker Artur zugetragen hatte; aber die Scheu schloß ihr den Mund.
Und das war ganz gut, denn sonderbarerweise hatte sich Junker Artur nicht über sie beschwert, überhaupt niemand gesagt, daß er mit ihr gesprochen hatte.
In den nächsten Tagen kam er sehr oft in die Küche und meist, wenn Martha allein darinnen war.
Immer wieder suchte er sie durch sein hochmütiges, herrisches Wesen zu reizen und trieb es soweit, bis sie in Tränen ausbrach oder ihm eine zornige Antwort gab.
Seine Eltern hatten keine Ahnung, daß er sich soviel mit dem Bettelkinde beschäftigte, und er selbst wußte nicht