Hedwig Courths-Mahler

Das Gänsemädchen von Dohrma


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ärmlichen Kleidchens und trotzdem sie das Kind eines Armenhäuslers war, sehr wohl gefiel, gestand er sich nicht ein, und so suchte er sein Wohlgefallen hinter einem hoffärtigen Wesen zu verstecken.

      Freundlich und gut gegen sie zu sein, wie er es sich heimlich wünschte, das ließ sein falscher Stolz nicht zu, den seine Eltern, vor allein seine Mutter, in ihm großgezogen hatten.

      Da er aber nicht darauf verzichten wollte, Martha zu sehen und mit ihr zu sprechen, so quälte er sie mit seinen hochmütigen Worten.

      Gab sie ihm dann endlich eine zornige Antwort, dann freute er sich heimlich an dem Funkeln ihrer großen, sprechenden Augen, und brach sie in Tränen aus, dann lief er davon, mit sich und der Welt unzufrieden.

      Martha fürchtete sich vor seinem Anblick, obwohl sie sein hübsches, stolzes Gesicht und seinen seinen Anzug bewunderte. Sobald er in die Küche trat, wußte sie, daß eine neue Demütigung ihrer harrte.

      Bisher hatte sie in ihrem Leben nur Liebe und Güte erfahren. Die Eltern waren gut und zärtlich zu ihr gewesen; der Herr Lehrer hatte sie gern gehabt und ihren Fleiß gelobt. Alle Menschen waren freundlich zu ihr gewesen.

      Jetzt hörte sie von allen Seiten nur raue Worte. Niemand nahm sich ihrer liebreich an, und selbst die gutherzige Mamsell sprach selten ein freundliches Wort zu ihr, denn sie hatte viel zu tun und wenig Zeit, sich um Martha zu kümmern.

      Aber alles das tat ihr nicht so weh, wie des Junkers kränkendes Verhalten.

      Und dennoch — blieb er einmal einen Tag aus, dann blickte sie immer in heimlicher Erwartung nach der Küchentür, ob er nicht kam.

      So vergingen Wochen, ohne daß sich etwas in Marthas Leben geändert hätte.

      In der Dämmerstunde lief sie ins Dorf zu ihrem Vater und brachte sein Stübchen in Ordnung, wusch ihn und kämmte ihm Haar und Bart, denn er saß den ganzen Tag teilnahmslos aus einem Holzschemel und starrte vor sich hin.

      Nur selten sprach er einmal ein klares Wort zu Martha oder blickte sie mit Verständnis an. Dann freute sie sich jedes mal und hoffte immer aufs neue, er könnte noch einmal wieder gesund werden.

      Der Lehrer hatte Martha auch gesagt, es sei nicht ausgeschlossen, daß ihr Vater wieder ganz gesund würde, aber dazu gehöre ein tüchtiger Arzt und andere Lebensbedingungen.

      Wo sollte aber das arme Kind einen tüchtigen Arzt hernehmen, und wie sollte sie dein Vater eine andere Lebensweise ermöglichen? Sie war ja so arm, so furchtbar arm. —

      *

      Als nun einige Zeit vergangen war, wurde die alte Kätner-Lene, die in Dohrma die Gänse hütete, schwer krank.

      Es war niemand da, der ihren Posten übernehmen konnte, und da bestimmte Herr von Dohrma Martha dazu.

      Sie mußte nun an Stelle der Kätner-Lene frühmorgens die Gänseherde aus die Weide hinaustreiben, und kam am Abend wieder mit ihren Schützlingen heim.

      Dann huschte sie noch schnell zum Vater und sank dann, wenn sie heimkam, auf ihrem Lager in tiefen, traumlosen Schlaf, bis sie wieder geweckt wurde.

      Da die alte Kätner-Lene starb, behielt Martha den Posten als Gänsemädchen.

      Wenn das ihre Mutter erlebt hätte, die ihr Kind so gern zur Lehrerin hatte machen wollen!

      2. Kapitel.

       Das Gänsemädchen.

       Inhaltsverzeichnis

      Seit Martha die Gänse hütete, kam Junker Artur seltener in ihre Nähe.

      Zuweilen ritt er wohl aus seinem Pony über die Wiesen, wo sie ihre Herde weidete, aber er würdigte sie keines Wortes mehr.

      Ein Gänsemädchen war in seinen Augen ein so untergeordnetes Wesen, daß sein Stolz es nicht zuließ, noch ein Wort an sie zu verschwenden. Martha sah mit großen, bangen Augen hinter ihm her, wenn er vorüber ritt.

      Einige Male hatte er übermütig ihre Herde auseinander getrieben. Dann hatte sie große Mühe, die aufgeregten Tiere wieder zur Ruhe zu bringen.

      Ihr vereinsamtes Herz hing an ihren schnatternden Schützlingen. Jedes Tier hatte einen Namen von ihr bekommen. Sie hatte ihre besonderen Lieblinge darunter und sprach mit ihnen wie mit vernunftbegabten Wesen.

      Auf den Rat ihres Lehrers benutzte sie ihre viele freie Zeit, um sich selber weiterzubilden, da sie die Schule nicht mehr regelmäßig besuchen konnte.

      Seifert gab ihr Bücher zu lesen, und sie rechnete und schrieb, was ihr gerade einfiel, dabei auf der Wiese liegend, oder einen Stein oder Baumstamm als Tisch benutzend.

      Dieses mangelhafte Selbststudium förderte sie indessen sehr. Sie hatte Zeit zum Sinnieren und Nachdenken und grübelte ernsthaft über allerlei Lebensfragen.

      Ihr Charakter reiste schneller als in einer anderen Lebenslage. Sie wurde selbständig und energisch und blickte dem Leben mit ernstem Sinn entgegen.

      Johannes Spiegel schenkte ihr, als sie ihn darum bat, allerlei Zeitungen und Zeitschriften, die nicht mehr gebraucht wurden. Darin las sie mit großem Lerneifer.

      Manches verstand sie freilich nach nicht, wenn sie es auch zwei— oder dreimal durchlas. Aber trotzdem lernte sie mancherlei aus der Lektüre, was ihr sonst fremd geblieben wäre.

      Kam sie des Abends zum Vater, dann wurde ihr das Herz immer furchtbar schwer. Manchmal schmiegte sie sich weinend an ihn und wünschte, mit ihm sterben zu können.

      Gar zu traurig hatte sich ihr Leben gewandelt Aber nach und nach wurde ihr Herz wieder mutiger, die Hoffnung auf bessere Zeiten wurde in ihr wach.

      Draußen auf der einsamen Weide schmiedete sie allerlei Zukunftspläne Und Lustschlösser baute sie, so hoch und schön!

      Ihre Augen glänzten dann, sie breitete die Arme aus, als ob sie fliegen wollte, und vergaß aus Minuten ihr trauriges Schicksal.

      Wenn sie erst erwachsen war, dann wollte sie hinaus in die schöne, große Welt, von der ihr die Zeitungen berichteten. Dort wollte sie arbeiten und Geld verdienen. Und wenn sie genug verdient hatte, dann würde sie mit dem Vater zu einem Arzt gehen und diesen bitten, ihn gesund zu machen.

      Dann würde der Vater gute, kräftige Kost bekommen und sich schon erholen. Ganz gewiß würde er dann wieder der Alte werden.

      Ach, und dann würden sie zusammen weiter schaffen und arbeiten, wie früher der Vater und die Mutter. Und sie würden sich einiges Geld sparen, bis sie sich , wieder ein kleines Häusel kaufen konnten, mit einem kleinen Stall und einem Stückchen Land.

      In den Stall kam eine Kuh, so eine mit schwarzen Flecken auf der Stirn, wie die alte Liese, die früher den Eltern gehört hatte.

      Vielleicht kam dann auch noch eine Ziege und ein Schwein dazu, ein paar Hühner und gar eine Gans.

      Und dann — und dann — ach, sie wußte gar nicht, was sie sich dann noch wünschen sollte!

      Aber herrlich, über die Maßen herrlich mußte das sein, wenn das alte, schöne Leben wieder begann. Nur die liebe Mutter würde fehlen und das Gustävle. Aber sie würde dann mit dem Vater zu ihren Gräbern gehen, ihnen schöne Blumen bringen und alles erzählen, wie gut es noch geworden war. Dann freuten sich die Mutter und Gustävle mit ihnen im Himmel.

      Ach ja — wenns nur erst soweit wäre!

      Das Herz war ihr so voll von diesen Zukunftshoffnungen, daß es ihr zu springen drohte. Sie mußte sich Luft machen und erzählte ihren Gänsen davon, als ob diese sie verstehen könnten. Aber die schnatterten nur verständnislos dazu und guckten sie mit schiefgehaltenen Köpfen an.

      Da mußte sie dann schon warten, bis der Schäfer Gottfried Thomas mit seiner Schafherde bei ihr vorüberkam.

      Der setzte sich immer ein Stündchen zu ihr, und sie erzählten sich allerlei.