Hedwig Courths-Mahler

Das Gänsemädchen von Dohrma


Скачать книгу

Da machte Martha die Augen weit auf und staunte über die phantastische Pracht.

      Gottfried Thomas war ein gar sonderbarer Kauz. Seit Martha die Gänse hütete, hatte er Freundschaft mit ihr geschlossen. Früher plauderte er mit der alten — Kätner-Lene im Vorbeigehen jetzt saß er bei Martha, und während er ihr seine phantastischen Träume zum besten gab, strickte er gewohnheitsmäßig an einem grauen, dicken Wollstrumpf.

      Sein Hund Fips hielt dann gewissenhaft auf Ordnung unter den Schafen, damit sie nicht zwischen Marthas Gänse gerieten.

      Gottfried Thomas stammte aus einer menschenarmen Gegend des Böhmerwaldes Vater und Mutter hatte er nicht gekannt. Kohlenbrenner hatten ihn aus Barmherzigkeit aufgezogen. Schulbildung hatte er gar nicht genossen, er konnte weder lesen noch schreiben.

      Durch Zufall war er später in diese Gegend gekommen und hatte das Amt eines Schäfers erhalten, das er nun schon seit langen Jahren versah.

      Aber trotzdem er nicht lesen und schreiben konnte, wußte er allerlei, was ihm bei den Bauern ein gewisses Ansehen verschaffte.

      Wenn seine lange, hagere Gestalt, die bei warmem und kaltem Wetter in einem alten Schafspelz steckte, durch die Dorfstraßen wandelte, dann kam dieser und jener zu ihm und fragte um Rat.

      Er konnte nämlich ziemlich genau das Wetter voraussagen, was hauptsächlich um die Erntezeit sehr wichtig war. Sogar Herr von Dohrma richtete sich nach diesem Wetterpropheten, und wenn die gnädige Frau ein Gartenfest veranstalten oder besuchen wollte, dann ließ sie den Schäfer nach dem Wetter befragen.

      Mit der Natur stand Gottfried Thomas aus sehr vertrautem Fuße. Es war, als hätte dieser schlichte, einfältige Mann einen sechsten Sinn, mit dem er Dinge wahrnahm, die anderen Menschen verborgen blieben.

      Alle heilsamen Kräuter kannte und sammelte er, und wenn irgendwo ein Vieh erkrankte, dann hatte er ein Heilmittel bereit.

      Auch dem Arzt pfuschte er gelegentlich ins Handwerk, und die Bauern glaubten an seine Kuren mehr als an die Kunst des Arztes.

      Thomas war nicht wenig stolz auf das Ansehen, das er genoß, und er machte immer ein sehr wichtiges Gesicht.

      Ein eigentümliches Gemisch von Klugheit und Unwissenheit lebte in diesem sonderbaren Manne.

      Von der Welt außerhalb des Dorfes und seiner Gemarkung hatte er kaum eine Vorstellung. Dafür ließ er jedoch seiner blühenden Phantasie die Zügel schießen, und wenn Martha ihm zuweilen aus ihren Büchern erzählte, oder dies und das aus der Zeitung vorlas, dann entstand in seinem Kopfe ein unglaubliches Durcheinander, und er machte Geschichten daraus, die jedem vernünftigen Menschen ein Kopfschütteln abgenötigt hätten.

      Er erzählte Martha die abenteuerlichsten Geschichten. Über Marthas Zukunftsträume lächelte er mitleidig. Er wollte viel höher hinaus.

      Ganz sicher war er, daß er eines Tages unter den heilsamen Kräutern eine Springwurz finden würde.

      Das war eine Zauberpflanze deren Besitz jedem alle, auch die vermessensten Wünsche erfüllte.

      Hatte er nur erst diese Zauberwurzel, dann wollte er hinausziehen in die Welt und sich ein großes, herrliches Königreich suchen. Dann wurde er König und wohnte in einem goldenen Schloß, schlief in einem goldenen Bett und aß von goldenen Schüsseln alle Tage Schweinebraten und Klöße mit Backobst. Das war nämlich sein Leibgericht.

      Und über hundert Diener würde er dann gebieten, die silberne Kleider hätten und ihn den ganzen Tag in goldenen Sänften spazieren trugen.

      Martha sollte dann nur mit ihm gehen, sagte er großmütig. Sie könnte dann eine Prinzessin werden und ihren Vater würde er dann von seinem Leibarzt gesund machen lassen. Dann wollte er ihn zum Minister ernennen.

      Ja, und Martha bekam dann seidene Kleider mit schrecklich langen Schleppen und mit einem Gürtel aus Edelsteinen. Und auf dem Kopfe mußte sie eine goldene Krone tragen. Aus einem milchweißen Pferde sollte sie reiten, und seine hundert Diener mußten sich vor ihr neigen.

      Und er schaffte sich einen goldenen Rohrstock an und zog ihnen damit eins über. Na — und überhaupt — —

      So spann er weiter und weiter, bis Martha, von ihm fortgerissen, mit einstimmte und die Märchen noch weiterführte.

      Ja, dann mußte auch Junker Artur in das goldene Schloß kommen und mußte sie artig an der Hand führen, wie die Komtessen und Edelfräuleins, die manchmal in Dohrma zu Besuch waren.

      Er durfte dann nicht mehr so stolz auf sie herabsehen, oder gar mit dem Faß nach ihr stoßen, sondern mußte sehr freundlich zu ihr sein, bei Tisch neben ihr sitzen und ihr die Schüsseln reichen, er mußte ihr einen schönen Rosenstrauß schenken und auf seinem Pony neben ihr reiten. Ach nein, Gottfried mußte ihm dann lieber auch ein milchweißes Pferd schenken, ja — —

      Ach Gott, was spannen diese beiden Menschen, der einfältige, alte Mann und das unerfahrene Kind für herrliche Märchenträume; jeden Tag aufs neue, jeden Tag schöner und leuchtender.

      Und es störte sie nicht, daß die Wirklichkeit so gar nicht mit diesen Träumen in Einklang zu bringen war.

      Sie waren glücklich dabei und vergaßen ihr trauriges Schicksal.

      Diese Stunden halfen Martha über die Härten ihres Lebens hinweg.

      Dann las sie dem Schäfer wieder vor aus Büchern und Zeitungen. Aber darüber gerieten sie oft in Meinungsverschiedenheiten.

      Gottfried wollte immer alles besser wissen. Er kam sich so gewaltig klug vor, weil er das Wetter prophezeien und krankes Vieh gesund machen konnte. Ihm konnten die Zeitungsschreiber nicht imponieren. Er malte sich die Welt in anderen Farben.

      Aber so, wie er sie sich malte, sah sie ganz sicher nicht aus, das wußte Martha, denn sie war wirklich ein kluges Mädchen.

      Und darüber kamen sie manchmal so in Streit, daß er ärgerlich weglief, denn er war so von seiner Klugheit überzeugt, daß er Widerspruch nicht vertragen konnte.

      »Wenn Du so bist, dann kann ich Dich in meinem goldenen Schloß nicht gebrauchen, daß Das nur weißt!« sagte er dann gekränkt und ließ sie allein.

      Kam er aber wieder bei ihr vorüber, dann hatte er alles vergessen, und sie waren wieder gute Freunde

      *

      Einige Jahre waren so vergangen. Martha war noch immer Gänsehüterin.

      Artur von Dohrma begegnete ihr kaum noch, jedenfalls nahm er keine Notiz mehr von ihr.

      Von den Knechten und Mägden hörte Martha, daß der Junker in der nächsten Zeit Dohrma verlassen werde, um in eine Kadettenanstalt zu gehen. Er sollte Offizier werden.

      Einige Tage später, als sie davon gehört hatte, trieb sie ihre Gänseherde zeitiger als sonst von der Weide heim, weil ein Gewitter im Anzuge war.

      Ihr Weg führte sie an dem Dohrmaer See vorbei, in dem vor Jahren ihr Bruder ertrunken war. Auf diesem See ruderte oder segelte Artur von Dohrma oft.

      Martha kannte das kleine Ruderboot und die zierliche Segeljacht ganz genau. Das Ruderboot lag drüben am Steg festgekettet, aber das weiße Segel blähte sich — mitten auf dem See. Sicher war der Junker draußen.

      Martha sah zum Himmel empor. Er war bereits mit drohenden Wolken bedeckt.

      Sie blieb eine Weile stehen und blickte auf das leichte Segelboot.

      Wenn sich der Junker nicht beeilte, kam er mitten in das Unwetter. Und der See war tückisch.

      Sie wandte sich zögernd zum Weitergehen. In demselben Augenblick setzte heulend der Gewittersturm ein, und zwar so stark, daß ihre Röcke fest um ihren Körper geweht wurden. Und das Segelboot wurde nach der Seite zu getrieben, wo sie stand.

      Die Gänse drängten sich schnatternd und ängstlich um ihre Hüterin, und die Pflicht gebot ihr, schnell mit ihnen heimzukehren. Aber sie zögerte und warf doch noch einen besorgten Blick nach dem weißen Segel.

      In