und das Barbie-Revival aus der Kabine gefeuert habe.
So ungern ich es zugebe, es macht mir zumindest Spaß Kleider über die Türe zu werfen. Bei dem Gedanken verkneife ich mir ein Kichern und wünsche mir fast noch eins dieser Dinger in greifbarer Nähe zu haben, um es flott über den Buchen-Birken-was-auch-immer-Fake befördern zu können.
»Etwas Elegantes, Schönes«, sage ich.
Etwas, dass mich auf Anhieb zur sexyiest-Women-alive kürt, ohne, dass ich es sagen muss, denke ich und wundere mich über den eigenen Antrieb in meiner öden Heimat besonders gut aussehen und vor allem möglichst gut ankommen zu wollen.
»Dann Champs Elysee, nein, Boulevard Haussmann, auch nein, noch besser: La Fayette!«, beschließt Zasa vollkommen überzeugt und ich frage mich kurz, wer da bitte mein Bankkonto gefragt hat. Mir fliegt das Geld nicht zu, sodass ich für den einmal-tragen-Fummel ein Vermögen hinblättern kann. So wie ich Zasa kenne, wird sie sich allerdings kaum davon überzeugen lassen, dass ich kein Designerkleid brauche, solange sie den Fetzen nicht an mir gesehen hat.
Ich meine: Klar trage ich gerne teure Kleider und der Designer gehört quasi zur Pariser Basic Ausstattung, aber ein Abendkleid aus der Galerie La Fayette ist immer noch etwas anderes als ein einfaches, klassisches Armani Kostüm, das ich immerhin jeden Tag zur Arbeit tragen kann, wenn ich denn will.
Andererseits werde ich wahrscheinlich sowieso kein Designer- Abendkleid finden, dass meiner Vorstellung entspricht und dann habe ich immerhin den Laden hier verlassen dürfen. Also werde ich wohl gute Mine zum bösen Spiel machen.
»Ja, lass es krachen, Zasa! Ich will aussehen wie eine Göttin!«, verkünde ich, als ich in Jeans und T-Shirt aber dennoch entschlossen die Kabine verlasse.
Ich nehme sie an der Hand, auch wenn das sonst so gar nicht meiner Art entspricht, bewundere das angewidert faszinierte Gesicht der Verkäuferin und – ja, ich Biest – genieße es.
Am liebsten würde ich Zasa einen offensichtlichen Kuss auf den Mund drücken und lasse es nur bleiben, weil sie es seltsam finden würde.
»Das Ding war Horror«, merke ich an und ernte schallendes Gelächter, als wir durch die Magnetschleusen gehen und direkt über die Straße auf die nächstgelegene Metrostation zu steuern. Der Verkehr ist wie gewohnt höllisch, und ich bin froh, dass Zasa noch nie versucht hat, bei ihren Eltern ein Auto zu erschnorren. Für die fünf Minuten, die wir mit der Metro brauchen, würden wir vermutlich eine Stunde im Stau stehen.
»Und wenn man das dem Kleid nicht angesehen hat, dann immerhin deinem Gesicht!«, kichert Zasa noch immer, als wir an der Galerie La Fayette aus der Metro steigen. Ich rolle die Augen.
»Steck mich bitte, bitte nicht nochmal in ein Ding!«, bettele ich, während wir die Treppen hinaufsteigen. Allerdings weiß ich sofort, dass diese Bitte ungehört bleibt.
Bevor ich mich darüber beschweren kann, dass sich dieses etwas von einem Kleid einen ganzen Abend an meinem und nicht an Zasas Körper befinden würde, zerrt Zasa schon wieder an meiner Hand. Ich hasse dieses Gezerre und das weiß sie mindestens genau so gut wie ich.
»He!«, protestiere ich und ernte einen knappen, nichtssagenden Blick von Zasa und ein verächtliches Naserümpfen.
Manchmal hasse ich sie, habe ich das schon gesagt?
»Da, da, da!«, quietscht sie einfach, als wäre das eine Antwort und plötzlich ist alles verachtende aus ihrem Blick gewichen. Sie strahlt, sieht unglaublich schön aus, wie sie da auf dieses riesige Schaufenster zu steuert, hinter dem offenbar die Erfüllung all ihrer Wünsche steht.
Ich seufze, solche Anfälle kenne ich von Zasa bereits. Meistens sind sie damit zu beheben, dass man ihr das Kleidungsstück, den Schuh, die Handtasche was auch immer, anzieht bzw. umhängt. Von da an gibt es zwei mögliche Szenarien: sie greift entweder verzückt grinsend nach ihrer dauerüberlasteten Visa, oder es steigen langsam klitzekleine Tränchen in ihre Augen. Weil das Kleid nicht passt, der Schuh nicht über den Fuß geht, oder, genau so schlimm, vom Fuß fällt, wenn sie läuft.
Ich rolle also die Augen, folge aber Zasas verträumtem Blick, um zu sehen, was dieses Mal das Objekt der Begierde ist und ... ich werde buchstäblich vom Blitz getroffen.
Im Schaufenster ist ein Kleid zu sehen und nicht einfach nur irgendein Kleid. Nein, es ist das schönste, aufregendste, heißeste und eleganteste Kleidungsstück, das ich mir vorstellen kann. Es ist nachtschwarz. Die Ärmel bestehen aus einem durchsichtigen Gebilde, das nur als leichte Schattierung auf der weißen Plastikhaut der Schaufensterpuppe zu erkennen ist. An den Seiten zieht sich das durchscheinende Etwas bis zu den Hüften, wo der ausladende Rock aus schwarzer Spitze beginnt. Schwarze, schimmernde Perlen setzen die Höhepunkte der Spitzenmuster in Szene, und nach oben, gerade so, dass es die Stellen verdeckt, die man auf keinen Fall offenlassen darf, sind zwei flammenähnliche Ausläufer des Rockstoffs angebracht.
Kurz gesagt: Es ist gewagt, düster, dramatisch, geheimnisvoll und unglaublich schön.
»Ich muss da rein!«, sage ich. Beziehungsweise habe ich das vor. Alles, was ich herausbringe, ist ein halbes Stottern, das nur sehr entfernt wie ein Wort klingt.
»Es ist wunderschön!«, haucht Zasa neben mir und ich nicke, ohne den Blick von dem Weltwunder im Schaufenster zu lösen.
Dann spüre ich eine Hand an meinem Ellbogen, die mich ganz vorsichtig und dennoch nachdrücklich durch die gläserne Eingangstür der Galerie La Fayette zieht. Drinnen begrüßt mich das übliche Wuseln der Parfüm- und Make-up-Verkäufer sowie der feine Hauch verschiedener Luxusdüfte, der von jedem Stand ganz speziell verströmt wird, ohne sich in der Mitte zu etwas Unerträglichem zu mischen. Allein die lebhafte Stimmung in dem Salon entspannt mich. Bevor wir unter die golden schillernde Kuppel treten können, die jedes Mal wie magisch meinen Blick anzieht, fühle ich mich leicht und zufrieden. Von unten her betrachte ich die Balkone, die wie schüchterne Halbmonde in die Pracht der verzierten Decke hineinragen.
»Hast du das Label gesehen?«, frage ich Zasa und versuche zeitgleich mir die Lage sämtlicher Shops ins Gedächtnis zu rufen. Das wirre Gewimmel der Menschen beraubt mich meiner Konzentration.
»Nein!« Ich beobachte, wie meiner besten Freundin die Gesichtszüge entgleiten. Da wir uns aber bereits den Weg durch die Parfümeure gebahnt haben, beschließen wir, dass es nicht so schwer sein kann, den richtigen Designer aufzutreiben.
Wir irren uns.
Stundenlang watscheln wir durch die gesamte Galerie. Während Zasa so aussieht, als würde sie barfuß einen Strandspaziergang machen, habe ich bereits in den flachen Tretern das Gefühl, dass meine Füße allmählich taub werden. Am Ende weiß ich nicht mal, wie oft ich durch welchen Glastunnel gegangen bin und wie oft wir die Etagen gewechselt haben.
Und dann endlich taucht etwas vor uns auf, das wirkt, als könne es die restliche Kollektion desselben Designers sein.
Nachdenklich betrachte ich die Auslage und weiß sofort, dass es keine gute Idee ist, hier nach einem Abendkleid zu suchen.
Marke: Unbezahlbar.
Zasa ist bereits losgezogen, um nach einer Verkäuferin zu suchen, die mir den Traum von einem Kleid beschafft. Grundsätzlich nicht verkehrt und dennoch wird das zur Ursache für ein fürchterlich flaues Gefühl: zu wissen, dass ich dieses Kunstwerk anprobieren, es großartig finden und nicht bezahlen können werde.
Ich spüre schon, wie mir die Tränen in die Augen steigen, und blinzele sie ärgerlich weg. Eigentlich bin ich nämlich kein verheultes kleines Mädchen, nicht, wenn ich nicht verkatert bin, nachträglich doch noch unter Koffeinentzug leide und zudem den Schock über die Hochzeit meiner Schwester verwinden muss.
Kurz: Es handelt sich um eine Verkettung unglücklicher Umstände!
Langsam wende ich mich dem Ausgang zu und beschließe nun erst einmal in der nächsten Cafébar haltzumachen, um zumindest eines der Probleme zu lösen, die mich emotional destabilisieren, werde aber noch vor dem eigentlichen Fluchtversuch von Zasa aufgehalten.