Velvett D. Black

Das Highheel-Project


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Eine Frau Anfang dreißig, schätze ich, elegant geschnittene, halblange, platinblonde Haare und die Ausstrahlung einer Hollywoodschönheit, die sich perfekt in ihren dunklen Augen widerspiegelt. Sie schenkt mir ein umwerfend einstudiertes Lächeln, wirkt in ihrer schwarz-weißen Bekleidungskombination, die aus so vielen wilden Schichten besteht, dass ich kaum ausmachen kann, was sie eigentlich alles trägt, so sicher und wie der Maßstab aller modischen Entscheidungen. Nicht nur das Kleid aus dem Schaufenster ist also faszinierend.

      Die Frau lächelt mich an und wartet wohl darauf, dass ich reagiere.

      »Hallo«, sage ich etwas plump. Sie jedoch scheint keine Sekunde in ihrer professionell trainierten Freundlichkeit zu wanken.

      »Guten Tag! Willkommen in unserem wunderschönen Shop für traumhafte Bekleidung. Mein Name ist Juliette und ich stehe Ihnen heute bei Ihrem Besuch zur Seite. Ihre Freundin meinte, dass Sie sich für das Kleid aus dem Schaufenster interessieren?«, fragt sie, ganz Verkäuferin. Ich denke kurz darüber nach, ihr zu sagen, dass sich das für mich so eben erledigt hat, weil ich es doch nicht so schön finde, wie vermutet. Nur bringe ich das nicht übers Herz.

      Diese strahlende Frau abweisen? Das kann ich nicht.

      Also nicke ich brav und füge mich abermals meinem Schicksal.

      »Dann hole ich ihnen gerade eins in ... Größe zwei?« Ihr Blick gleitet an mir entlang und ich warte nur darauf, dass sie sich korrigiert und mindestens eine Vier anbietet, die ich nicht brauche, nur damit ich sie gemein finden kann.

      »Es wird fantastisch an ihnen aussehen!«, erklärt sie lächelnd.

      »Der durchscheinende Teil oben kommt bei so hellen Hauttypen viel besser zur Geltung, als bei dunklen Mädchen. Sie werden nahezu zerbrechlich darin aussehen, überirdisch!«, schwärmt die Verkäuferin und Zasas verträumter Gesichtsausdruck spricht Bände.

      »Sofort wieder da!«, flötet Juilette und verschwindet, als hätte sie sich in Luft aufgelöst.

      »Was war das?«, frage ich und schüttele langsam den Kopf um das hypnotische Säuseln dieser an Perfektion grenzenden Frau aus meinem Kopf zu vertreiben.

      »Das war die Verkäuferin!«, erklärt Zasa und wirft mir einen Blick zu, der sich ziemlich einfach mit folgendem Gedanken unterlegen lässt: Bist du so blind, oder so durch den Wind, dass du nicht mal zugehört hast, als sie sich vorstellte.

      Am liebsten würde ich ihr sagen: Beides. Insbesondere, weil sie diese anderen Gefühle, diese hypnotische Schwingung nicht wahrnehmen kann, die für mich so offensichtlich in der Luft liegt. Das ist nun mal Zasa, sie lässt sich gerne manipulieren und merkt es im Regelfall nicht einmal.

      »Ist sie nicht toll?«, fragt Zasa völlig begeistert und ich warte nur noch darauf, dass sie beginnt, von einem Bein auf’s andere zu hüpfen, um ihre Ungeduld abzubauen.

      »Supertoll«, sage ich mit todernster Miene und hoffe auf diese Weise das Kleinkindverhalten meiner Freundin einzudämmen. Das Bild einer Dreijährigen mit Zasas Schlafzimmerblick erscheint vor meinem inneren Auge, doch statt Stofftieren hält sie Schuhe in der Hand.

      Stimmt! Wahrscheinlich war ihr Spielzeug schon immer zu Bekleidung umfunktionierbar.

      »Da bin ich wieder! Mit dem Prachtstück!«, flötet Juliette und stakst auf ihren fünfzehnzentimeterhohen Stilettos (wie unpraktisch, wenn man den ganzen Tag stehen muss!) ein elegantes kleines Treppchen hinab. Dabei hält sie das Kleid wie einen Schild vor sich. Es ist wirklich wunderschön.

      »Es ist unglaublich!«, keucht Zasa und ich verdrehe die Augen.

      »Ja ja. Ich würde es dann gerne anprobieren, okay?«, sage ich als spräche ich mit zwei Bankräubern, die versuchen, mich zur Geisel zu nehmen.

      Nur gut, dass die Verkäuferinnen in Designershops wenigstens keine Waffen bei sich tragen.

      »Selbstverständlich!« Juliette strahlt und schwebt an mir vorbei auf die riesigen Umkleiden zu. Erstaunt betrachte ich den Raum hinter dem Vorhang und frage mich, in welcher Ecke ich wohl mein Kinderzimmer am dekorativsten Unterbringen könnte. Das würde hier nämlich mindestens einmal hineinpassen.

      »Wir vertreiben auch Roben für große Bälle!«, sagt Juliette stolz und ich frage mich, was genau sie damit aussagen will. Ich möchte gut aussehen und so, aber es ist keine Option auf der Hochzeit meiner Schwester in einem blutroten, edelsteinbesetzten Kleid mit zwei Meter Schleppe, a la Oscarverleihung aufzutauchen.

      Meine Stiefmutter würde mich erschlagen, weil ihre kleine liebe Debbie wie ein Schlosshund heulen würde. Und ich bin ganz sicher, dass der künftige Göttergatte schon vor dem ersten Tränchen Taschentücher bereithalten, den Stylisten notfallmäßig nochmal herbestellen und ihr während der Wartezeit beruhigend die Schultern massieren würde.

      Die Vorstellung zeichnet mir ein boshaftes Lächeln ins Gesicht. Das wäre zumindest eine kleine, wenn auch gemeine Rache dafür, dass sie mir damals meinen Freund ausgespannt hat. Es ist nicht so, dass ich nachtragend wäre. Ich hätte es ihr womöglich sogar verziehen, wenn sie es nicht immer und immer wieder getan hätte! JEder meiner Freunde hat sich irgendwann von mir getrennt, um mit meiner Schwester zusammen zu sein.

      Jaja, die jüngere Tochter des Hauses hatte schon von Anfang an einen Joker.

      Sie hat deinen Pudding gegessen?

      Die arme Debbie hat es doch so schwer, also lass sie bitte in Ruhe.

      Ich schnaube, noch bei dem Gedanken daran und bin tatsächlich sogar ein bisschen bedrückt. Zumindest so lange, bis ich das wahnsinnigste Kleid Allerzeiten am Körper trage.

      Ich bewundere mich selbst im Spiegel, bevor ich den Schritt nach draußen wage und sofort in bewundernden Ahs und Ohs untergehe. Eine Sekunde lang warte ich ernsthaft darauf, dass ein Boulevardfotograf anfängt zu knipsen.

      »Es steht Ihnen unglaublich gut!«, seufzt Juliette und ich bin fast sicher, dass ich da, in ihren Augen, ein kleines Tränchen ausmachen kann.

      Bei Zasa ist das Suchen nicht notwendig. Ihr rollt die Rührungsträne über die Wange und hinterlässt erstaunlicherweise keine Rille im Make-up, was mich dazu bringt, mich zum gefühlt hundertsten Mal zufragen, wie sie das immer hinbekommt.

      Wieder drehe ich mich zum Spiegel um und bin ... hin und weg.

      Das Kleid lässt mich aussehen wie eine Göttin, gleichzeitig wirke ich zerbrechlich und bin vollkommen weiblich. Unter der Spitze blitzt meine Haut hervor, so hell, als sei sie aus Porzellan und das satte Schwarz bildet einen wunderschönen Kontrast dazu.

      Wow! Ich sehe aus wie eine ziemlich sexy Version, einer alten Schauspielerin aus einem Schwarz-Weiß-Film.

      »Es ist unglaublich!«, hauche ich. Juliette und Zasa nicken aufgeregt.

      »Damit wirst du sie vom Stühlchen hauen!«, stellt meine beste Freundin fest und, ich gebe es meistens nur ungerne zu, aber sie hat recht. »Wenn du so neben ihr stehst, kann Debbie echt einpacken!«, ereifert sie sich. Das Bild, das – vermute ich zumindest – in Zasas Kopf entsteht, sehe ich vor mir …

      Debbie war zwar immer die nette Kleine, allerdings noch nie die Schlankste. In ihren hochpubertären Phasen war jedes Zooflusspferd elegant im Vergleich zu ihr, was die Aufmerksamkeit meiner »Eltern« noch weiter auf dieses kleine verwöhnte, fette Gör richtete.

      Das die junge Jette wesentlich bessere Schulnoten mitbrachte, regelmäßig zum Sport ging (Was sich die ältere Jette nicht mehr vorstellen kann) und beim Schultheater stets die Hauptrolle spielte, interessierte da wenig. Meine Stiefmutter und mein Vater hielten nichts von Kultur und kamen nie zu den Aufführungen … Zumindest bis Debbie alle meine Rollen stahl. Dann erschienen sie sogar zu Generalproben, bemalten Bühnenbilder …

      Ich verdränge den Gedanken. Der Hass auf Debbie ist jetzt völlig unangebracht, wahrscheinlich kriege ich Pickel, wenn ich mich zu lange meinen negativen Gedanken hingebe.

      Deshalb wende ich mich wieder der Betrachtung des Kleides zu und finde es wieder