Luise Hennich

Krötenküssen


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hätte er besser nicht tun sollen. Wotan, den ich tatsächlich für einen Moment vergessen hatte, gab einen Furcht erregenden Laut von sich und riss mit aller Kraft an seiner Leine. Das dünne Bäumchen, an dem ich ihn festgemacht hatte, knickte wie ein Schilfhalm ein und brach. Mit zwei langen Sätzen war er bei uns und hatte den Mann zu Boden geworfen. Mit gefletschten Zähnen stand er über ihm und durch seinen Maulkorb tropfte warmer Sabber auf sein Gesicht.

      „Ruf das verdammte Vieh zurück!”, rief der ältere Mann, während sein jüngerer Kumpel vor Schreck erstarrt unter meinem Fellmonster lag.

      „Wotan, aus!”, rief ich und zog gleichzeitig nach Kräften an seinem Halsband. Insgeheim betete ich, dass der Maulkorb nicht reißen würde. Auch wenn die Typen fies waren, den Tod hatten sie dann doch nicht verdient. Zum Glück ließ Wotan widerstrebend von seinem Opfer ab und stellte sich vor mich. Knurrend beobachtete er, wie der Jüngere sich aufrappelte und mit Hilfe seines Begleiters wieder auf die Beine kam.

      „Ich glaube, es ist besser, wenn sie jetzt gehen. Wotan kann es nicht leiden, wenn ich beim Baden belästigt werde “ brachte ich mit fester Stimme hervor, obwohl mir insgeheim die Knie zitterten.

      „Für dieses Monster brauchst du einen Waffenschein“, schrie der Jüngere und wischte sich mit dem Jackenärmel eine Schleimspur von der Wange. Er hob seinen Rucksack auf und die beiden machten Anstalten zu gehen.

      „Lass das Mistvieh einschläfern, bevor es einen Menschen auf dem Gewissen hat“, rief mir noch der Ältere zu, bevor beide mit raschen Schritten die Lichtung durchquerten und im Wald verschwanden.

      „Wotan, du bist wirklich eine Bestie. Selbst mit Maulkorb bist du noch so Furcht erregend, dass du zwei erwachsene Männer in die Flucht schlägst“, sagte ich und tätschelte seinen gewaltigen Kopf. Auch wenn es Wotan ganz offensichtlich an Erziehung mangelte, in seiner Gegenwart musste ich mir keine Sorgen um meine Sicherheit machen – höchstens um die Sicherheit der anderen. Wotan sah mich an und wedelte mit dem Schwanz. Tatsächlich wirkte er sehr zufrieden mit sich selbst.

      Kapitel 3: Flügelschlag

      Wir kehrten am frühen Nachmittag von unserem Ausflug zurück und der Rest des Tages verging ohne weitere Aufregung. Ich verbrachte das meiste davon in einem Liegestuhl in der Sonne.

      Als es dunkel wurde, zog ich mich mit einem Glas Milch und einem Teller voller Brote auf mein Zimmer zurück. Ich öffnete die Balkontür und eine Brise lauwarmer Abendluft strömte mir entgegen.

      War mein Zimmer ansonsten eher schlicht ausgestattet, so war der große Balkon, der sich über die gesamte Vorderfront des Hauses erstreckte, doch ein Luxus, den ich – jetzt, da der Frühling begonnen hatte – immer mehr zu schätzen lernte. Ich trat hinaus, rückte einen Stuhl zurecht und ließ mich mit meinem Abendbrot auf den Knien darauf nieder.

      Mein Zimmer befand sich auf der linken Seite des Hauses, so dass ich über den Garten hinweg den verlassenen Eulenhof sehen konnte. In der Dämmerung wirkte er noch größer als am Tage. Bestimmt war er mal ein imposantes Anwesen gewesen. Das zweistöckige Haupthaus wurde von großen Stallungen flankiert. In der Mitte des Hofes lag ein Brunnen, der von einer alten Linde beschattet wurde. Ich versuchte mir vorzustellen, wie Menschen und Tiere die Häuser und Stallungen bevölkert hatten, die nun dunkel und leblos dalagen. Vielleicht waren in früheren Zeiten elegant gekleidete Damen auf rassigen Pferden im Morgengrauen mit ihren Begleitern zur Jagd aufgebrochen und abends mit reicher Beute zurückgekehrt. Ich stellte mir vor, wie Lachen und Musik durch den Hof klang, wenn die Jagd ihren Ausklang fand und hörte das Schnauben der Pferde, die von gut aussehenden Stallburschen abgesattelt wurden.

      Hörte?

      Da war wohl meine Fantasie mit mir durchgegangen. Außer dem Zwitschern einiger eifriger Amseln war nichts zu hören. Ich lauschte noch einmal angestrengt in das immer dunkler werdende Zwielicht aber ein Pferdeschnauben war nicht auszumachen.

      „Vielleicht hätte ich mich doch mit Kathi verabreden sollen, statt hier alleine rum zu sitzen“, murmelte ich. Nun fing ich auch noch an, mit mir selber zu reden, nicht genug, dass ich nicht vorhandene Pferde schnauben hörte.

      Ich stellte meine Brote und meine Milch beiseite und griff nach meinem Handy.

      „Hier ist der Anschluss von Katharina Hempel. Leider bin ich zurzeit nicht erreichbar. Wenn du eine Nachricht für mich hast, dann sprich bitte jetzt! Piiiieep!“

      Frustriert legte ich auf. Was sollte ich für eine Nachricht hinterlassen? „Hallo Kathi, es ist Samstagabend, halb zehn, ich sitze auf meinem Balkon und höre Pferde, die nicht da sind. Da dachte ich, es ist vielleicht besser, irgendwas mit dir in diesem langweiligen Kaff zu unternehmen, als hier blöde rum zu sitzen.“

      Mürrisch steckte ich mein Handy in die Hosentasche, als es plötzlich zu vibrieren begann. Ich schaute auf das Display: „Kathi ruft an“, stand dort in großen Buchstaben.

      „Hi“, sagte ich in den Apparat.

      „Hi Mia, ich habe das Klingeln nicht schnell genug gehört. Hier ist es tierisch laut!“, hörte ich Kathis Stimme aus gewaltigem Hintergrundlärm hinaus.

      „Wo bist du denn?“

      „Wir sind im Mister X, hast du Lust, noch zu kommen?“

      Das Mister X war die hiesige Dorfdisco, die ich bisher immer erfolgreich gemieden hatte. In Hamburg hätte ich in so einen Laden keinen Fuß gesetzt. Bier und Drugs und aufgebretzelte Provinztussis. Konnte ich echt nicht brauchen.

      „Wer ist wir?”, fragte ich daher misstrauisch.

      „Martin und Frank sind auch hier. Komm doch noch rüber, wenn du magst.“

      Martin und Frank gingen in unsere Klasse. Die beiden waren mir noch nie besonders aufgefallen, waren aber auch nicht unsympathisch, wenn man über ihren ausgeprägten bayrischen Dialekt mal hinweg sah. Kathi kannte die beiden seit ihrer gemeinsamen Kindergartenzeit und hing ziemlich oft mit ihnen ab. Seufzend erhob ich mich von meinem Stuhl. Die Alternative, den Abend alleine im Haus zu verbringen, war auch nicht besonders reizvoll und der Weg zur Disco war nicht weit. Ich entschloss mich, mich auf mein Fahrrad zu schwingen und hinüber zu radeln.

      Wotan blickte mich erwartungsvoll an, als ich meine Jacke anzog und meinen Schlüsselbund in die Tasche gleiten ließ.

      „Du musst hier bleiben.“

      Er legte den Kopf schief.

      „Nun guck nicht so. Ich kann nicht den ganzen Abend hier rum sitzen, ich muss noch ein bisschen unter Leute. Das ist ja bekanntlich nichts für dich. Mach mal ein Nickerchen, bis ich wieder da bin.“

      Ich tätschelte noch kurz seinen Kopf und zog die Haustür hinter mir zu.

      Mein Fahrrad stand angelehnt neben der Gartenpforte. Ich schob es hindurch und schwang mich auf den Sattel. Inzwischen war es völlig dunkel geworden und der schmale Pfad, der von unserem Haus bis zur Hauptstraße führte, war nicht beleuchtet. Ich schaltete das Fahrradlicht ein. Es brannte nicht. Verflixt, ich hatte vergessen, dass ich die Birne in der Vorderlampe wechseln wollte. Vorsichtig und langsam setzte ich mich in Bewegung, um auf dem holperigen Weg nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Mit Mühe erreichte ich die Hauptstraße und bog rechts auf den Radweg ab. Hier gab es eine anständige Straßenbeleuchtung und ich trat kräftig in die Pedale. Ein bisschen komisch war es schon, so spät abends alleine neben der Landstraße zu fahren.

      In wenigen Minuten erreichte ich das Mister X.

      Es war so voll, wie die Stimmkulisse am Telefon hatte vermuten lassen. Ich schob mich durch das Gedränge zwischen angetrunkenen und schwitzenden Menschen hindurch, bis ich Kathi sah, die sich anmutig auf der Tanzfläche bewegte. Ich beneidete sie um diese Grazie, die mir leider völlig ab ging. Elfengleich wiegte sie sich zum Takt der Musik. Mein Tanzstil war eher der eines Tanzbären; wenn man überhaupt einen Vergleich wagen wollte. Vor ihr gab Frank sein Bestes; wirkte aber mit seinen unbeholfenen Verrenkungen bestenfalls unfreiwillig komisch.

      Ich blickte mich um