Luise Hennich

Krötenküssen


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fand ich mich ganz sicher nicht, aber jetzt war wohl kaum der Zeitpunkt, um darüber zu diskutieren.

      „Schön, dass du da bist“, stammelte ich und kramte gleichzeitig in meinem Gedächtnis nach einer Situation, in der ich dieser Frau schon einmal begegnet war. Als könne sie meine Gedanken lesen, sagte sie zu mir: „Ich glaube nicht, dass du dich noch an mich erinnern kannst. Als wir uns das letzte Mal gesehen haben, hast du noch Windeln getragen und deinen Obstbrei auf meine Bluse gespuckt. Das war kurz vor meiner Abreise in die USA.“

      Sie ließ mich los und ich trat einen Schritt zurück. „Ich würde dich ja gerne herein bitten, aber es gibt da zwei Probleme“, sagte ich mit einem schiefen Grinsen. „Mein Hund will dich fressen und ich habe keinen Schlüssel.“

      „Na, das fängt ja gut an!”, Sie lachte, während sie aus ihrer Handtasche ein Smartphone zog. Ich sah sie fragend an. „Ich ruf jetzt erstmal im Tierheim an, damit dieses Ungeheuer abgeholt wird.“

      „Nein, das darfst du nicht, Wotan muss hier bleiben!“

      „Beruhig dich, Kindchen, das war nur ein Scherz“, grinste sie mich an. „Das mit Wotan kriegen wir schon irgendwie auf die Reihe. Ich glaube nicht, dass er tatsächlich Menschen frisst. Wir müssen jetzt erstmal einen Schlüsseldienst finden, der uns die Tür aufsperrt.“

      Ich hatte da so meine Bedenken, dass wir im ländlichen Oberbayern an einem Sonntagmittag einen Schlüsseldienst finden würden, der uns aus unserem Dilemma befreite. Tante Rosie schien da zuversichtlicher, denn in Windeseile hatte sie im Internet eine Reihe von Telefonnummern gefunden, die sie in ein kleines goldenes Notizbuch kritzelte.

      Die letzte Nummer, die sie fand, wählte sie sofort, um nach zwanzigfachem Läuten mit einem Stoßseufzer aufzulegen und eine andere Nummer aus ihrem Notizbuch einzutippen. Während Tante Rosie erfolglos einen Anschluss nach dem anderen ausprobierte und entweder keine Antwort erhielt oder mit einem Anrufbeantworter verbunden wurde, der sie auf Montag vertröstete, fühlte ich mich langsam unbehaglich in meiner Nachtwäsche.

      „Tante Rosie, vielleicht können wir ja ein kleines Fenster einschlagen, dann brauchen wir keinen Schlüsseldienst.“

      „Warte mal Mia, ich versuche noch diese Nummer aus München, wenn wir dann keinen Erfolg haben, dann brechen wir bei dir ein.“

      Tante Rosie hob erneut ihr Telefon ans Ohr und bereits nach wenigen Sekunden sprach sie erfreut in den Apparat. Offenbar hatte sie tatsächlich einen Schlüsseldienst erreicht, der sich auch am Wochenende zuständig fühlte. Leider verschwand das Lächeln schnell wieder aus ihrem Gesicht und ich hörte sie unwirsch sagen:

      „Zwei Stunden, wieso brauchen Sie zwei Stunden von München bis zu uns? Das kann ja wohl nicht wahr sein! Sind Sie mit dem Fahrrad unterwegs?“

      Augenscheinlich hatte ihr Gesprächspartner keinen Sinn für Humor und fand einen Auftrag in der Provinz auch nicht besonders reizvoll, denn ich hörte sie noch: „Hallo? Hallo?“, ins Telefon rufen, bevor sie es mit einem unwirschen Schulterzucken zurück in ihre Tasche gleiten ließ.

      „Der Mistkerl hat einfach aufgelegt. Den sollte man doch wegen unterlassener Hilfeleistung drankriegen.“

      Sie blickte mich an.

      „Mensch, Mia, du hast ja bloß einen Schlafanzug an!“ Ich sah sie einigermaßen überrascht an und fragte mich, ob ihr das bisher wirklich noch nicht aufgefallen war. Hatte sie gedacht, mein Aufzug wäre die traditionelle Sonntagskleidung dieser Region?

      „Äh, ja“, antwortete ich. „Wotan hat mich geweckt, als er dich verbellt hat und dann bin ich gleich raus gerannt, um zu verhindern, dass du ihm zum Opfer fällst.“

      „Na, dann wird es aber Zeit, dass wir ins Haus kommen. Gibt es hier irgendwo Werkzeug?“ Ich schüttelte den Kopf. Einen Geräteschuppen oder ähnliches gab es bei uns nicht, die Garage war verschlossen und wenn sich überhaupt ein Hammer oder dergleichen in unserem Hausstand befunden hätte, dann ganz bestimmt irgendwo im Keller unter dem Haus.

      Tante Rosie ließ mich vor der Haustür stehen und ging zurück zu ihrem schnittigen Sportwagen. Sie öffnete den Kofferraum und begann darin zu kramen. Nach wenigen Augenblicken tauchte sie mit einem Wagenheber in der Hand wieder auf. Triumphierend schwang sie ihn über ihrem Kopf.

      „Damit werden wir jetzt ein Fenster einschlagen und im Nu bist du wieder gesellschaftsfähig.“

      Mit gemischten Gefühlen sah ich zu, wie sie die Kofferraumklappe wieder zuschlug und sich aufrichtete.

      Mit einem Mal starrte sie angestrengt in die Ferne. „Schau mal, da hinten auf dem Bauernhof sind ein paar Leute. Sieht so aus, als ob da ein Möbelwagen vorfährt.“

      „Das kann nicht sein, der Hof ist schon lange verlassen und total runtergekommen.“

      „Doch, ich bin mir sicher, da steht ein Möbelwagen.“

      Neugierig ging ich barfuß durch den Garten und trat neben sie auf die Straße. Tatsächlich, sie hatte Recht. Ich konnte sogar zwei LKWs erkennen, die vor dem Brunnen im Innenhof standen und mehrere Männer hatten sich im Hof verteilt.

      „Los, komm, die haben bestimmt Werkzeug dabei. Wir fahren da mal schnell rüber.“

      „Äh, nein, ich warte hier lieber auf dich. Ich glaube, ich bin nicht richtig angezogen“, antwortete ich mit einem Blick auf meine nackten Füße.

      „Du hast Recht“, rief sie mir zu, während sie sich in ihr Auto schwang. „Ich bin gleich wieder da“, konnte ich noch durch den aufbrausenden Motorenlärm hören und dann blieb ich auch schon, in eine Staubwolke gehüllt, zurück.

      Gespannt und mit tränenden Augen blickte ich dem Wagen hinterher und sah, wie Tante Rosie mit maximaler Geschwindigkeit den schmalen Schotterweg zum Eulenhof entlang brauste. Mit einer schwungvollen Kurve umrundete sie den alten Brunnen und kam mit quietschenden Reifen vor einer Gruppe von drei Männern zum Stehen. Tante Rosie redete mit wilden Gesten energisch auf sie ein und ich war eigentlich nicht verwundert, als ein älterer Herr sich aus der Gruppe löste und mit schnellen Schritten im Haus verschwand, um im nächsten Augenblick mit einer Werkzeugkiste wieder zu erscheinen. Ohne lange zu zögern stellte er die Kiste auf den Rücksitz des Wagens und nahm selber auf dem Beifahrersitz Platz. Tante Rosie trat wieder aufs Gas und wenige Augenblicke später war ich eine neue Staubwolke gehüllt.

      „Hilfe naht“, rief sie mir entgegen. Ihr Begleiter stieg für sein Alter sehr behände aus dem Wagen, eilte auf die Fahrerseite und öffnete Tante Rosie galant die Wagentür. „Vielen Dank, mein Lieber. Darf ich sie kurz mit meiner Nichte Mia bekannt machen?“ Er lächelte mich an und streckte mir seine Hand entgegen.

      „Sehr erfreut, Sie kennen zu lernen. Mein Name ist Dr. Malinkow und ich glaube, wir sollten mal schauen, dass sie ihren Schlafanzug loswerden. Es ist ja schon fast Nachmittag.“

      Noch bevor ich antworten konnte, beugte er sich über den Rücksitz und entnahm dem Werkzeugkasten einen kleinen Haken, mit dem er zielstrebig auf die Haustür zuging. Während Tante Rosie und ich noch zögerten, ob wir ihm folgen sollten, hatte er sich schon zum Türschloss herabgebeugt, den Haken ins Schloss gesteckt und ein paar Mal hin und her bewegt. Dabei bewegte er die Lippen, als ob er leise vor sich hin fluchen würde. Wir hörten ein kurzes „Schnapp“ und die Tür war offen.

      „Seien Sie vorsichtig, da drin ist der Hund“, rief ich erschrocken und setzte zu einem Spurt Richtung Haustür an. „Gehen Sie nicht ins Haus. Wotan ist unberechenbar.“

      Eigentlich war Wotan sogar sehr berechenbar. Ich konnte mir gut ausmalen, was geschehen würde, wenn dieser nette ältere Herr auch nur einen Schritt über unsere Schwelle setzen würde. Atemlos erreichte ich die Haustür und griff nach dem Türknauf. Dr. Malinkow richtete sich auf. „So, bitte schön. Der Weg ist frei.“ Er sah mich aus freundlichen Augen an.

      „Wie haben Sie das so schnell hinbekommen?”, fragte ich erstaunt. „Da kann ja kein Einbrecher mithalten!“

      Er zog eine Augenbraue hoch.

      „Oh, ich