Hannelore Kleinschmid

Lieber Mord als Scheiddung


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mit bekanntem Markenzeichen und vielen Extras. Auch in ihren besten gemeinsamen Zeiten durfte ihn Christoph nicht allein und eigenmächtig benutzen, er durfte sich nur ans Steuer setzen, um sie zu chauffieren.

      Fast ausnahmslos gehörte alles ihr.

      In der Neubau-Eigentumswohnung, von ihrem Vater auf Firmennamen gekauft, hatte er keine Leitung verlegen, geschweige denn seine Meinung zur Art der Einrichtung beisteuern dürfen. Von A bis Z samt i-Tüpfelchen hatten Evelines Mutter, ihre Schwestern und sie selbst das Abbild von Empfehlungen bekannter Zeitschriften über zeitgemäßes gutbürgerliches Wohnen geschaffen: geschmackvoll, teuer und unpersönlich. Ich selbst erhielt während meines Hochzeitsbesuches keine Genehmigung zur Besichtigung der Räumlichkeiten. So streng waren die Burger-Sitten.

      Christoph gab - im Nachhinein sah es aus wie weise Voraussicht - sein möbliertes Zimmer nicht auf, sondern deklarierte es zur Studierstube. Sein Krimskrams einschließlich der Alltagskleidung - alles Markenartikel, seinen Gepflogenheiten entsprechend - blieb zunächst dort.

      Wie er mir erzählt hatte, war er in jener Nacht nach dem Anruf bei uns mit dem Motorrad weggefahren. Stundenlang kurvte er durch die Gegend.

      Als er danach in seiner Studentenbude landete, wartete Eveline dort auf ihn. Er entschied sich für einen Begrüßungskuss. Unter Vergessen aller logischen Argumente, über den gegenwärtigen Zustand ihrer Beziehung reden zu müssen, gerieten beide in heftige sexuelle Erregung. Diese Reaktion war nicht verwunderlich, denn sie hatten aus Gründen, die Eveline nie näher erklärt hatte, seit Wochen, ja Monaten mönchisch beziehungsweise nonnenhaft gelebt.

      Nach dem dritten vergeblichen Versuch, seine Frau zu ihren ehelichen Pflichten zu verführen, hatte Christoph aufgehört, sie ein viertes Mal zu versuchen. Jetzt aber liebten sie sich mit einer gewissen Verbissenheit, ja Brutalität, weil beide die Schranken der inzwischen entstandenen Hemmungen überwinden mussten. Aneinander gekrallt lagen sie auf der schmalen, von früheren Begegnungen vertrauten Couch. Christoph stieß sie von oben, als wollte er sie durchbohren. Sie stöhnte und schrie. Er achtete nicht darauf, ob sie es aus Gier, Lust oder Schmerz tat.

      Doch sie konnten nicht zueinander finden, zu vieles trennte sie.

      Jeder kämpfte für sich allein um seinen Orgasmus. Als es Christoph lange genug erschien, dass er sich zurückgehalten habe, ließ er sich gehen.

      Er hatte seit gefühlten Ewigkeiten keinen Geschlechtsverkehr gehabt, da er sich dem wachen Auge des Klatsches in der Stadt nicht aussetzen wollte. Nun überkam es ihn so heftig, dass er die Selbstkontrolle verlor. Jedenfalls schilderte er mir später seinen Zustand in dieser Weise. Eveline schrie vor Schmerz und beschimpftet ihn auf das Heftigste und Hässlichste.

      Der Zwist hatte nur eine kurze Pause gehabt.

      Er sah aus dem Fenster, als sie davonfuhr. Er sah sie nicht wieder.

      Die Situation war nicht so, dass er verlangte, man solle für ihn den Sarg öffnen. Ins Leichenschauhaus, um sie zu identifizieren, gingen die Eltern Burger. Er drängte sich nicht danach.

      Wie sich herausstellte, war Eveline nicht geradewegs nach Hause gefahren. Auch auf dem Weg zur Villa ihrer Eltern hatte sie sich nicht befunden. Als das Unglück geschah, fuhr sie außerhalb der Stadt in einer waldreichen Gegend auf einer Straße voller Kurven. Keiner vermochte zu sagen, was sie dort gesucht hatte. Sie kannte die Straße gut wie die meisten in der Umgebung der Stadt, in der sie aufgewachsen war. Sie galt als sichere Fahrerin. Alkohol hatte sie seit einiger Zeit völlig gemieden - wegen des erwarteten Babys, wie sie allen erklärte. Der Wagen war zwei Tage vor dem Unglück zur Inspektion gewesen.

      Keiner, der Eveline kannte, konnte sich erklären, warum das Auto aus der Kurve getragen wurde und frontal gegen einen Baum prallte, offenbar in großer Geschwindigkeit, denn die vordere Hälfte glich nach dem Zusammenstoß einer zwar unregelmäßig, aber völlig zusammengedrückten Ziehharmonika.

      Man nahm später an, dass Eveline sofort tot gewesen ist. Da die Strecke wenig befahren war, wurde sie nicht gleich gefunden. Erst in den Morgenstunden entdeckte der Fahrer eines Lieferwagens die Verunglückte. Vom nächsten Dorf aus benachrichtigte er die Polizei, nachdem er gesehen hatte, dass nichts und niemand mehr zu retten war.

      Eveline hatte keine Papiere bei sich gehabt.

      Christoph, noch immer wütend, sah am nächsten Morgen keinen Grund, Kontakt zu seiner Frau aufzunehmen. Folglich rief er nicht in der Wohnung an und dachte auch nicht daran, mal vorbeizuschauen und zu läuten.

      Auch die Familie Burger bemerkte zunächst nicht, dass ein Unglück geschehen war. Zwar ließ die Mutter ein paar Mal das Telefon klingeln, dachte sich jedoch, als der Hörer nicht abgenommen wurde, die Tochter sei zum Einkaufen oder zum Friseur gegangen.

      Die Polizei forschte nach dem Besitzer des Wagens. Dabei stieß sie auf Eveline Anders. Da die Adresse und die Telefonnummer registriert waren, versuchte ein Beamter mehrmals, jemanden in der Wohnung zu erreichen. Vergeblich.

      Erst am späten Vormittag löste sich das Problem durch die Person eines zufällig hereinspazierenden Streifenpolizisten, der sich erinnerte, dass eine Tochter des reichen Burger, Eigner der gleichnamigen Werke, vor kurzem durch Eheschließung zu einer Frau Anders geworden war. Der Vater erfuhr als erster von dem Unfall. Christoph hingegen erfuhr es erst am nächsten Tag aus der Zeitung. Die angeheiratete Familie hatte es nicht für nötig befunden, ihn zu unterrichten.

      Die Polizei kam zu dem Schluss, dass ein von der Fahrerin ausgelöster Unfall vorlag und beendete Untersuchung sowie Akte. Da es keinen Abschiedsbrief gab, wurde Selbstmord ausgeschlossen, was in diesem katholischen Landstrich alle zufriedenstellte. Eine Obduktion wurde nicht vorgenommen, weil niemand einen Anlass dafür sah.

      So nahm Eveline ein Geheimnis mit ins Grab.

      Alle, die es wussten - und es wussten fast alle - trauerten auch um das von ihr erwartete Kind. Nur Christoph wusste es besser. Oder glaubte jedenfalls es besser zu wissen.

      Ich hatte meinen Bruder gefragt, ob er Wert auf mein Erscheinen bei der Beerdigung lege, ob er meiner quasi-elterliche Stütze bei diesem traurigen Anlass bedürfe. Gottlob verneinte er.

      9.

      Als lautstark Doktor Meierbeers Stimme aus dem Telefon drang, befürchtete ich, dass meine Feierabendwelt bald nicht mehr in Ordnung sein würde. Dabei hatte ich mir äußerste Mühe gegeben, den Feierabend vorzubereiten. Nach einem Blick auf das Fernsehprogramm hatte ich schon am Vormittag beschlossen, dass wir den Fernseher nach den Nachrichten ausschalten würden, um uns einander zuzuwenden, nachdem die Kinder ins Bett verfrachtet worden waren.

      Während des Arbeitstages bereitete ich mich innerlich darauf vor die Momente unausweichlicher Tätigkeit ausgenommen, wie ich meine Frau Elke durch Hingabe zum Mitmachen bewegen und überzeugen wollte, endlich einmal wieder sei sie an der Reihe, mich zu verführen.

      Den Weg dahin malte ich mir aus, während sich die Sportredakteure in der täglichen Konferenz stritten, an welcher Stelle ihre wichtigen Artikel erscheinen sollten,

      Nichts von meinem Plan konnte ich verwirklichen. Wenigstens nicht an diesem Abend.

      Lückenhaft nur war ich unterrichtet, wie Christoph das Leben eines jungen Witwers ausfüllte. Ich wusste lediglich, dass seine Hoffnung auf ein Erbe keine reine Illusion war, hatte er doch den Ehevertrag nach der Hochzeit kein zweites Mal unterschrieben.

      Nach längeren Erklärungen hatte ich schließlich verstanden, dass somit kein rechtsgültiger Vertrag bestand. Nach meinem Erkenntnisstand bedeutete das einen Pflichtanteil für den Ehemann der Verstorbenen.

      Wenn ich ehrlich bin, interessierte mich das Ganze nicht sonderlich. Ich nahm an, dass es für Christoph keinen Anlass gab, sich in Gram über eine verlorene Liebe zu verzehren. Streitereien und Familiengezänk hatten diese Liebe augenscheinlich klein und kleinlich werden lassen.

      Ganz gegen seine Art und die landesübliche Höflichkeit überging Meierbeer alle Fragen nach unserem Befinden. Stattdessen brüllte er, anscheinend in dem Glauben die weite Entfernung ohne technische