Hannelore Kleinschmid

Lieber Mord als Scheiddung


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völlig hinter der perfekt ausgeführten Pflichtübung verschwunden, eine Braut darzustellen. Versuche ich jetzt, sie mir vorzustellen, erinnere ich mich an nichts als ein Lächeln für imaginäre Fotografen.

      Während der folgenden neunzig Minuten bestand das Tischgespräch aus einer Dauerschleife zum Lob des Essens, was, genauer betrachtet, Werbung für die Hotelküche bedeutete. Mit freundlichen Worten als Frucht gründlichen Nachdenkens beim Kauen bemühte ich mich um meine Nachbarin, aber die vom Hotelmanager eingespielte Musik erschwerte es, die beträchtlichen räumlichen Entfernungen zu überbrücken. Zudem war Rotraut die Ablehnung in Person. Sie strahlte so viel Kälte aus, dass mich dieses Verhalten schon wieder reizte. Mein Interesse wuchs, den Eisblock aufzutauen. So bewunderte ich zunächst einmal alles an Burgers Ältester, was sich irgend bewundern ließ, vom Kleid über die Frisur bis zum souveränen Auftreten. Aber ihre Reaktion auf jeden neuerlichen Anlauf meinerseits erweckte Frustrationen, denn sie war gleich Null.

      Wüsste ich nicht längst, dass ich Manns genug bin im Leben so ganz allgemein, hätte ich Komplexe bekommen können.

      So gab ich meine Mühen noch vor dem Dessert auf und hüllte mich in Schweigen, nicht ohne mit meiner inneren Stimme zu schwören, dass ich diese harte Nuss knacken wollte. Irgendwann jedenfalls. Wie, wusste ich noch nicht.

      Zum Ausgleich für das Misserfolgserlebnis ließ ich meine Gedanken zur Pizzeria wandern. Ich stellte mir vor, dort von einer niedlichen, frischen olivgrünen Rothaarigen sehnsüchtig erwartet zu werden. Und so oder so ähnlich war es dann auch.

      Sissy war freundlich, zutraulich, vor allem aber begierig, von dem Drum und Dran des Festessens zu hören, das ich nach besten Kräften und zum Frustabbau verspottete. Von Sehnsucht konnte allerdings keine Rede sein. Letzteres übersah ich jedoch geflissentlich. Zu soviel Realitätssinn war ich nicht in der Lage, wie ich mir im Nachhinein eingestehen muss.

      Unser gemeinsames Gelächter ließ das Gefühl aufkommen, als kennten wir uns schon lange. Ob es dieses Gefühl war oder meine Weinseligkeit, jedenfalls bedrängte ich das junge Geschöpf, es nach Hause bringen zu dürfen. Ich tat das in einer Weise, die ich lange nicht mehr praktiziert hatte und die mich wohlig an meine Studentenzeit erinnerte. Elisabeth sagte für einen Kaffee zu. Mein Benehmen würde vermutlich von feministischer Position aus als typisch für mein Geschlecht eingestuft werden. Kaum hatten wir uns am Schlafzimmer der Wirtin vorbei auf Sissys Zimmer geschlichen und die Tür hinter uns zugezogen, spielte ich Filmszene, indem ich sie umarmte, an mich presste und küsste, lang und inbrünstig. Ich spürte wie meine Nadelstreifenhose eng wurde und fühlte durch das wallende Gewand Sissys Oberschenkel, ihren sich kaum wölbenden Bauch, ja mehr noch, ich spürte Hingebung und Begierde.

      Gekonnt stieß ich während des Kusses das wärmende Tuch von ihren Schultern und führte sie sicher Schritt für Schritt rückwärts zu ihrer Couch. Ich drückte sie sanft darauf nieder, sie noch immer küssend, ihren Rücken streichelnd und den Reißverschluss suchend. Kaum hatte ich ihn gefunden und ohne nennenswerten Widerstand geöffnet, legte ich sie auf die Couch, beugte mich, auf dem Boden knieend, über sie und begann, ihren Hals und ihr wie bei allen Rothaarigen weiß-zartes Dekolletee, die kleinen festen Brüste mit meinen Händen fassend, zu küssen und an ihren Ohrläppchen zu saugen. Sie ließ sich alles gefallen, was ich so notwendig brauchte. Auch wenn sie nicht aktiv wurde, so war ich doch ihrer Zustimmung sicher- Wir sprachen nichts. Ich hatte wahrlich ausreichend Gespräche hinter mir und begehrte zu handeln.

      Ich weiß nicht, wie und wodurch es geschah, aber plötzlich drückte sie mich sanft, aber energisch von sich weg und sagte freundlich-sachlich: "Tut mir leid, ich habe meine Tage."

      6.

      Eveline und Christoph fuhren nach England.

      Auf dem Empfang hatte jeder, der es hören wollte oder nicht, von der Hochzeitsreise erfahren, zu der das Paar am nächsten Tag in aller Herrgottsfrühe aufbrechen würde.

      Warum man sich nach einem Fest nicht ausschlafen darf, noch dazu, wenn man Hauptperson ist, verstehe ich nicht. Wahrscheinlich verstehe ich es deshalb nicht, weil meine eigene Hochzeitsreise vor gut zehn Jahren ins Wasser gefallen war. Wir mussten nämlich damals die diversen Hochzeitsgäste nach der Art gutsituierter Reiseleiter betreuen, Verwandte, die sich aus den verschiedenen Ecken des deutschen Sprachraums kommend, überraschenderweise unser erinnert hatten und denen wir beflissen die besten Seiten unserer Stadt zeigten.

      Früher einmal verließ das Paar, soviel ich weiß, gegen Mitternacht das rauschende Fest, um die Reste der bedeutungsschwangeren Nacht unterwegs oder unter glücklichen Umständen am Ziel zu verbringen. Früher, das heißt vor Anbruch des Tourismuszeitalters, unternahmen allerdings nur die besseren Kreise derlei strapaziöse Fahrten, in erster Linie aus Gründen der Reisekosten.

      Christoph absolvierte nun mit seiner Gattin eine standes- und traditionsgemäße Hochzeitsreise. Sie fuhren mit Evelines Wagen und mit Evelines Geld. Als mittelloser Student hätte er sich nur Jugendherbergen leisten können, sie aber bevorzugte Nobelherbergen.

      Sie brachen nicht um Mitternacht auf, sondern am frühen Morgen nach einem Kurzschlaf in der neuen Wohnung, in der Mutter und Töchter Burger sogar an einen neuen Pyjama für meinen Bruder gedacht hatten.

      Ich bedauerte den schnellen Aufbruch, denn ich hätte gern während meines Aufenthaltes in der alten Heimat mit Bruder und Schwägerin ohne die Spannung der Vortage zusammengesessen. Vor den Feierlichkeiten hatten wir uns unter den gegebenen Umständen nicht dazu in der Lage gefühlt. Später war ein solches Gespräch nicht mehr nachholbar, wie sich herausstellen sollte.

      Nach Christophs Aussage war es das einzige Mal während seiner Beziehung zur Burger-Tochter, dass er, als er das Reiseziel wählte, also etwas allein bestimmen durfte.

      Eveline war in den 27 Jahren ihres Lebens selten verreist, eigentlich nur mit den Eltern und meistens in das Landhaus der Familie, wenige Autostunden entfernt. Kaum zu glauben: Leute mit Geld sitzen zu Hause; während sich andere Fingernägel kauend und haareraufend damit zufriedengeben müssen, vor dem Globus von Weltreisen zu träumen, dem Frust eines leeren Portemonnaies ausgesetzt.

      Da Christoph einstens drei Wochen lang England bereist hatte, sich demzufolge als Kenner britischen Lebensstils fühlte und zu den Fans der Insel rechnete, fiel ihm die Wahl eines Reisezieles leicht. Der Mai - in der Sprache der Touristikbranche nicht der Wonnemonat, sondern Vorsaison - erlaubte eine Fahrt ins Blaue. Niemand hatte freilich bei dieser Planung bedacht, dass die im Reisen unerfahrene und auf Luxus bedachte Eveline überfordert sein würde, weil sie nicht wusste, wohin sie in der Nacht ihr Haupt betten würde. Statt Genuss, wozu sie ja gedacht ist, brachte die Hochzeitsreise - wenn man meinem Bruder glauben will - nur Stress. Liest man entsprechende Tagebucheintragungen - was man freilich nicht tun sollte, obwohl sie sich unter Umständen als Wissensquelle anbieten -, spielten sich in den Hotelappartements und im weißen Wagen Szenen einer Ehe ab, die keine gemeinsame Vergangenheit, keine Gegenwart, geschweige denn eine gemeinsame Zukunft besaß.

      Bis zur Heirat hatten sich die beiden immer nur stundenweise getroffen und einander nie über längere Zeitspannen ertragen müssen. In dem Zeitraum, den sie sich kannten, stellte eine Fahrt nach Innsbruck von Sonnabendmittag bis Sonntagnachmittag das längste an erlebter Gemeinsamkeit dar.

      Damals waren sie nicht ohne Köfferchen, Reisetasche, Handtasche und Picknickkorb aufgebrochen. Eveline verlangte bereits nach einer Stunde Fahrzeit eine Kaffeepause. Glücklicherweise stellte sich schon zu diesem Zeitpunkt heraus, dass sie ihren Pass vergessen hatte, den sie für den Grenzübertritt benötigte. Also fuhren sie zurück. Nach zwei Stunden saßen sie wieder an der Stelle des Kaffeegenusses, um neuerlich Rast zu machen.

      Und jetzt also mit den Ringen an den Fingern die gemeinsame Fahrt in die Fremde. Ich komme an anderer Stelle noch auf Einzelheiten zu sprechen, so, wie sie sich mir in der zeitlichen Abfolge offenbarten. An jenem Sonntag im Mai und den darauffolgenden zwei Wochen wähnte jeder das junge Paar glücklich, der von der Hochzeit wusste.

      Auf diese Weise beschwerte man sich nicht unnötig den Kopf, Ich rechne mich insofern zu "man", als ich erfolgreich alle sorgenvollen Gedanken wegdrückte und mir