Hannelore Kleinschmid

Lieber Mord als Scheiddung


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Stimme zitterte vor Wut und Empörung.

      "Sie hat mich reingelegt." schrie er. “Ich kann es nicht fassen, sie hat mich reingelegt. Ich verstehe die Welt nicht mehr, sie hat mich reingelegt!“

      „Immer der Reihe nach! Sonst verstehe ich gar nichts." sagte ich.

      "Sie hat mich reingelegt!“ empörte er sich weiter, schnaubte fürchterlich und schien sich dann endlich zu besinnen, dass er nicht anrief, um ständig einen Satz zu wiederholen.

      "Stell dir vor", sagte er "sie kriegt gar kein Kind. Sie hat nur Theater gespielt. Sie hat mich die ganze Zeit getäuscht. Nicht mal geschlafen hat sie seit der Hochzeit mit mir, angeblich um die Schwangerschaft nicht zu gefährden. Das ist doch verrückt! Die spinnt doch! lch verstehe gar nichts mehr. Aber wütend bin ich, dass ich sie…

      Er brach ab, ohne zu erklären, was er sie…

      Ich war perplex. Meine müde Denkmaschine quälte sich. Schließlich sagte ich: "Ich begreife das genauso wenig wie du.“

      "Ich kann dir gar nicht sagen, wie wütend ich bin." sagte Christoph. "Was mache ich bloß mit ihr?"

      „Nichts!“ beruhigte ich. “Nichts wirst du machen! Es gibt nur ein einziges Mittel: Reden! Wenn du dich ein bisschen beruhigt hast, rede mit ihr! Versuche, herauszufinden, warum sie das getan hat. Sie muss ja Gründe für einen so schwerwiegenden Schritt gehabt haben." Langsam kam ich in Gang.

      "Du hast gut reden!" antwortete Christoph auf meine Weisheiten. "Versuch es," sagte ich, "es ist der einzige Weg. Sag den anderen vorläufig nichts! Stelle sie nicht bloß! Sondern sprich mit ihr, wenn du irgendetwas retten willst."

      "Kann ich nicht!" erwiderte er. "Kann ich bestimmt nicht!"

      "Weißt du was," versprach ich, "ich spreche das mit Elke durch. Sie hat manchmal eine gute Idee. Ich rufe dich morgen Vormittag an. Wo erreiche ich dich?"

      Christoph wollte noch in der Nacht die Wohnung verlassen und sich auf seine alte Studentenbude zurückziehen. Da es dort kein Telefon gab und ich das heikle Thema mit ihm nicht über das Telefon der befreundeten Dame Huberti besprechen wollte, sagte er zu, von der Hauptpost aus bei uns anzurufen.

      Er rief aber nicht an. Am nächsten Vormittag nicht und in den nächsten Tagen auch nicht. Meine Frau und ich, wir sahen einander hilflos an, wussten wir doch nicht, wie wir Christoph erreichen konnten, ohne Staub in der dortigen Gerüchteküche aufzuwirbeln oder bei Eveline am anderen Ende der Leitung zu landen. Nach zwei Tagen schickten wir ein Telegramm an die alte Anschrift.

      Es kam keine Antwort, kein Anruf. Wir wurden nervös, waren voller Fragen und Sorgen und ohne eine Idee, an wen wir uns wenden könnten.

      Das heißt: nicht ganz ohne eine Idee. Am vierten Tag riskierte ich, was mir bereits am ersten eingefallen war, ohne dass ich es – aus verständlichen Gründen - Elke sagte: Ich rief von meinem Büro aus bei Elisabeths Wirtin an und fragte nach Sissy. Ich hatte Glück. Sie war zu Hause.

      "Guten Tag, Sissy!“ sagte ich und fügte die üblichen Höflichkeiten hinzu, weil ich erkunden wollte, wie sie zu mir stand. Sie war ausgesprochen freundlich, deshalb bat ich sie ohne noch weitere Umschweife: "Könntest Du so nett sein, meinen Bruder Christoph aufzufordern, dass er bei uns anruft. Es ist sehr dringend."

      Verständlicherweise hatte sie viele Fragen, aber ich erklärte nur, dass ich im Moment keinen anderen Weg wüsste, um an meinen Bruder zu erreichen.

      "Hm" sagte sie. "Ich werde auch Schwierigkeiten haben."

      "Wieso?" fragte ich, "Seht ihr euch nicht in der Uni?"

      "Eigentlich ja," antwortete Sissy "ich habe Christoph aber schon eine ganze Zeit lang nicht gesehen. Ich weiß nicht genau wie lange. Man achtet ja nicht so sehr aufeinander, wenn man keinen Grund dafür hat."

      "Was machen wir bloß?" fragte ich, nun doch ein wenig ratlos

      "Ach, ich werde ihn schon finden und ihm deine Bitte ausrichten. Aber" - sie zögerte, "aber was sage ich ihm, wenn er fragt, wieso ich den Boten spiele."

      "Erkläre es genauso, wie es war. Ich bedanke mich bei dir, Sissy, und hoffe, ich kann das einmal wiedergutmachen."

      Schnell beendete ich das Gespräch, denn einer meiner Chefs steuerte auf mich zu, Arbeit wartete. Ich wartete auch. Im Gegensatz zu meiner Frau tat ich es nun wieder mit einer gewissen Hoffnung.

      Die Tage vergingen. Als eine Woche Warterei hinter uns lag, fingen wir an, davon zu reden, ob wir unsere Freundin Huberti oder Rechtsanwalt Meierbeer einschalten sollten. Der Gedanke, dass beide etwas Außergewöhnliches vermuten könnten, wenn ich mich überraschend meldete, ließ uns zögern.

      "Du wirst wohl hinfahren müssen, um nach dem Rechten zu sehen". meinte meine Frau zehn Tage nach Christophs mitternächtlichem Anruf. Ich zuckte mit den Schultern und hatte keine Lust.

      8.

      "Je später ihr uns morgen aufweckt, umso größer wird die Überraschung."

      Auch diesmal verschluckte meine Frau in Erwartung eines harmonischen Abends jeden Kommentar. Übrigens gingen wir nicht ins Kino und bummelten in Anbetracht meiner hungergeplagten Eingeweide auch nur gut dreihundert Meter weit.

      Wir aßen ausgezeichnet, fühlten uns allerdings danach so, als hätten wir eine Spur zu viel gegessen. Demzufolge spazierten wir nach dem Mahl wieder die dreihundert Meter zum Auto, um direkt heim zu fahren. Nach einem prüfenden Blick auf die Verkehrslage, die hinsichtlich der Häufigkeit fahrender Autos als ruhig bezeichnet werden konnte, begann Elke mich an einer gewissen Stelle durch die Hose hindurch zu streicheln. Sehr bald spürte sie die erwartete Reaktion. Bei der dritten Ampel küssten wir uns. Weil das sehr gefühlvoll und intensiv geschah, zudem mit geschlossenen Augen, bemerkten wir nicht, dass das grüne Licht mittlerweile den Verkehr wieder freigab. Erst ein lautes, für unsere Ohren schrilles Hupen riss uns in die schnöde Wirklichkeit zurück.

      Langjähriges Training steigerte unsere Begierde, während der Wagen beinah von allein den Heimweg fand. Wir hatten es sehr eilig, ins Haus zu kommen. Die Mäntel landeten auf der Truhe im Flur. Die Kinder sahen unser unordentliches Tun ja nicht. Geradewegs ging meine Frau ins Schlafzimmer.

      Wäre ich ihr doch nur auf direktem Wege gefolgt!

      Stattdessen wollte ich in der Küche einen Orangensaft trinken. Folglich konnte ich den Zettel nicht übersehen, der dort auf dem Tisch lag. Die noch etwas ungelenke Schrift unseres Sohnes verkündete: "Tante Huberti Anruf Wichtich!"

      Die Nachricht bemächtigte sich sofort meiner Gefühle, so dass es zwecklos gewesen wäre, Elke die Existenz dieses Zettels vorläufig zu verschweigen. Mit Leichenbittermiene ging ich ins Schlafzimmer und sagte beim Anblick meiner erwartungsvollen Frau: "Scheiße!".

      Verblüfft und verständnislos sah sie mich an. Mit der Nachricht, die Jonas so sorgsam für uns notiert hatte, erhöhte ich den Grad ihres Verstehens. Als ich erklärte, ich müsste auf der Stelle anrufen, nickte sie enttäuscht.

      Hilde Huberti hielt diesmal nicht den sonst üblichen Wortschwall voller Höflichkeitsfloskeln für mich bereit.

      Als ich durch sie von Evelines Autounfall erfuhr, wusste ich noch nicht, dass ich in Bälde zu einem Privatdetektiv, noch dazu auf eigene Kosten, mutieren würde. Obwohl ich nicht Augenzeuge jenes Abends war, von dessen Geschehnissen wir erst 24 Stunden später erfuhren, habe ich mittlerweile eine so klare Sicht auf die Vorgänge, dass ich sie beschreiben kann, als sei ich dabei gewesen.

      Christoph besaß ein Motorrad, eine Rennmaschine mit allem Drum und Dran. Wie er das Geld aufgebracht hatte, sie in seinen Besitz zu bringen, bleibt sein Geheimnis. Fest steht, dass er schon lange mehrmals in der Woche neben dem Studium verschiedenen Jobs nachging, von Nachhilfestunden bis zum Transport von Konservendosen.

      An den Wochenenden fuhr er häufig zu Rennen und nahm auch gelegentlich selbst daran teil. Wenn er irgend konnte, verschwieg er diese Tatsache lieber, brachte sie ihm doch stets angstvolle Beschwörungen ein, nicht so leichtfertig mit