Hannelore Kleinschmid

Lieber Mord als Scheiddung


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unbedingt mit hundertprozentigem Einsatz die Elternrolle spielen müsste. Zu Recht sagte ich mir, ich hatte und hätte diese Heirat sowieso nicht verhindern können. Hilde Huberti gab mir ihren nachhochzeitlichen Standpunkt noch mit auf den Heimweg. Er besagte, dass Eveline erstens hübsch und wohlerzogen, dass ihr Vater zweitens einflussreich sei und drittens das Geld, von dem Christoph bislang nie nennenswerte Summen sein eigen nannte, zwar nicht allein glücklich mache, aber beruhige, wie Volksstimme so treffend sage.

      Zurück im Hotel suchte und fand ich mit lobenswerter journalistischer Akribie die Telefonnummer von Sissys Wirtin, rief dort an und erfuhr, dass sie weggefahren sei und erst am nächsten Morgen zurückerwartet werde. Enttäuscht, aber auch irgendwie erleichtert, warf ich meine Sachen in den Koffer, die Nadelstreifen zuunterst, und setzte mich in den Wagen. Elke erwartet mich am Montag. So freute ich mich, sie zu später Stunde mit der überraschenden Heimkehr des Gatten zu beglücken. Obwohl ich mir im Auto fest vorgenommen hatte, zu Hause sofort einen Ausgleich für die gestrige Nacht zu suchen, und mich auch ausführlich mit den möglichen Details beschäftigt hatte, war ich dann, als ich in meinem Bett landete, entschieden zu müde, mein Vorhaben in die Tat umzusetzen.

      Mit einigen beabsichtigten Lücken berichtete ich meiner Frau von den Geschehnissen rund um die Hochzeit in jener Stadt, die wir beide gut zu kennen glaubten. Ich schloss mit der Feststellung, dass jeder nach seiner Fasson selig werden solle, und wir schliefen ruhig ein in dem Gefühl, eine Verantwortung los zu sein.

      7.

      Wer ungeduldig zu werden droht, weil ich seiner Ansicht nach zu lange bei Schilderungen verharre, die von den Absichten, die ich mit diesem Bericht verfolge, wenig durchblicken lassen, der möge sich nur noch einige Seiten lang gedulden, bis sich ihm die Problemstellung in ihrem ganzen existenzbedrohenden Umfang offenbaren wird.

      Über zwei Briefe muss ich zunächst informieren, deren Bedeutung ich nicht richtig einordnen konnte. Der erste gelangte an einem Sonnabend, an dem ich dienstfrei hatte, in unseren Briefkasten. Seit der Hochzeit waren höchstens drei Wochen verstrichen. Meiner Neugier entsprechend, von der ich beruflich profitierte und die ich deswegen selten zu unterdrücken suchte, war ich als erster hinausgegangen, um nach der Post zu sehen. Das erwies sich für mich als günstig. Es war nur ein einziger Brief gekommen, in einem länglichen gelblichen Couvert, die Adresse mit der Schreibmaschine geschrieben, ohne Angabe der Hausnummer. Statt der Postleitzahl für unseren Stadtbezirk war sein Name notiert, ein Absender fehlte, was mich stutzig machte.

      Als ob ich den Inhalt geahnt hätte, ging ich äußerst behutsam vor. So ließ ich den Briefumschlag in meiner Hosentasche verschwinden und griff zu einer winzigen Notlüge, als mich meine Frau.fragte, ob Post gekommen sei. Sie wunderte sich, dass keinerlei Botschaft von irgendwoher in unserem Kasten gelandet sein sollte, verdächtigte dann aber, um sich das Ungewöhnliche zu erklären, die Post, die möglicherweise ihrem Briefträger einen freien Sonnabend gewährt und die Briefe und Zeitschriften für die Montagspost sammelte.

      Ich äußerte mich dazu nicht. Nach dem Frühstück ging ich zielstrebig zur Toilette, was nicht weiter auffiel, da meine Familie dieses Vorgehen mittlerweile als Gewohnheit billigt. Nur selten geschah es noch, dass Miriam oder Jonas in großes Stöhnen über ein dringendes Bedürfnis ausbrachen, während ich zeitungslesend den gewissen Ort hütete. Diesmal war es nicht die Zeitung, die ich ungestört und ungefragt studieren wollte, sondern das merkwürdige Schreiben. In der Tat war es mehr als merkwürdig, es war obszön. Man konnte es sogar als Drohung auffassen. "Alter Hurenbock" war die harmloseste der Beschimpfungen, die sich mir in Maschinenschrift präsentierten. Ein Ungeübter schien die Schreibmaschine verwendet zu haben. Alles war kleingeschrieben, vieles zusammen. Tippfehler gab es jede Menge, dazu orthographische. Ob das gewollt war oder nicht, konnte ich nicht beurteilen. Ich zeigte den Brief niemandem, weil ich keine Lust verspürte, Fragen zu beantworten. Die Drohung lautete, dass ich mich nie wieder in die Ehe meines Bruders mit Eveline einmischen solle, denn meines Lebens sei ich nur sicher, solange ich den Boden der Burger-Stadt nicht beträte. Ehrlich gesagt, fand ich das Ganze blöd und zuckte daher die Achseln, ohne mich zu fürchten. Um meiner gelegentlichen Vergesslichkeit, die manchmal als Unordnung beschimpft wurde, vorzubeugen, zerriss ich den Unflat in kleine Schnipsel und spülte ihn auf Nimmerwiedersehen in die Kloake der Weltstadt.

      Der zweite Brief kam von Christoph.

      Er begann mit einer Situationsschilderung:

      "Mir geht es eigentlich gut, ich denke Eveline auch. Der Bauch wird kaum dicker. Ihrer, nicht meiner.

      Ich gehe zur Uni und häufig in die alte Bude. Deshalb bin ich auch so selten telefonisch in der neuen Wohnung zu erreichen. Aber im September will ich mit dem Examen anfangen. Es muss sein." Der Zufall hat den Brief von Christoph in den Papierbergen, die sich neben mir auf dem Schreibtisch im Gäste- und Arbeitszimmer türmen, erhalten, so dass ich ihn zitieren kann, anstatt mein Erinnerungsvermögen zu bemühen.

      Zwei Dinge habe er zu beklagen, fuhr mein Bruder fort:

      “Beide sind Scheiße! Entschuldigung, aber es ist so! Mein juristischer Freund von der Uni ist nicht mehr mein Freund, denn er geht total neben der Spur, und das auf meine Kosten. Er hatte mir zugesichert, dass mir aus dem feinen Ehevertrag keine Nachteile erwüchsen! Dabei bekomme ich kein Stipendium mehr, da mein Weib in der väterlichen Firma so viel verdient, dass die zulässige Höchstgrenze überschritten wird. Und kein Mensch hat das bedacht. Jetzt kriege ich keinen müden Schilling. Also muss ich jobben wie ein Irrer - und das tue ich. Außerdem stehe ich auf dem Standpunkt, dass gefälligst die Familie meiner Frau für mich aufzukommen hat. Jawohl. Mir ist egal, was Du denkst."

      Ich dachte mir nicht viel, zu fremd war mir Christophs Welt. Aber die folgende Mitteilung ließ mich doch nicht kalt. Er schrieb:

      "Stell Dir vor, Brüderlein, gestern ruft die Dame Huberti in der neuen Wohnung an. Sie verlangt mich zu sprechen. Ich bin aber nicht da. Sie wirkt aufgeregt, weshalb meine Goldschnecke nach dem Grund fragt. Sie sagt nur, dass es auf der letzten Seite der Stadtzeitung steht. Wie Du Dich sicher erinnerst, stehen auf dieser Seite vermischte Nachrichten von Todesfällen bis Hochzeiten und Tauschwünschen? Am gestrigen Morgen hieß es dort wörtlich:

      'Christoph Anders, jetzt Schwiegersohn der Burger-Familie, illegitimer Sohn des Rechtsanwaltes Meierbeer, ladet zur Feier seiner bestandenen Examina ein.'

      Zwei faustdicke Lügen in drei Zeilen! Zuerst war, wie Du Dir denken kannst, meine Holde aus dem Häuschen, und ich platzte vor Wut.

      Ich habe sofort bei dem Käseblatt angerufen und mich beschwert. Diese Mitteilungen sind keine Anzeigen und werden nicht bezahlt. Das Blatt reagiert sogar auf anonyme Anrufer wie in diesem Falle. Was meinst Du, soll ich gegen Unbekannt klagen? Bitte ruf mich umgehend an!

      Jemand will meinen Ruf ruinieren und mich bei der Familie unmöglich machen. Natürlich habe ich auch mit Meierbeer geredet. Er ist empört, aber das ist auch schon alles. Die Zeitung bringt morgen die von mir verlangte Gegendarstellung. Ich zweifle, ob das reicht. Das Gerücht ist schließlich in der Welt. Ich weiß genau, wer das getan hat: Marianne, die liebe Schwester. Sie kann mich nicht riechen, weil sie Angst hat, ich könnte ihrem Freund gegenüber dem Herrn Papa die Position streitig machen. Ich habe den verehrten Johannes Müller nämlich im Studium längst überrundet, obwohl ich erst viel später eingestiegen und einige Jährchen jünger bin.

      Leider kann ich nichts beweisen!

      Bruderherz, bitte belästige mich umgehend mit Deinem Rat!"

      Das tat ich, nachdem ich einen meiner Freunde von der Jurisprudenz befragt hatte. Dessen Rat leuchtete mir ein, und so gab ich ihn weiter. Von einem Prozess gegen Unbekannt oder gegen die Zeitung sei abzuraten, weil dadurch die Angelegenheit wochenlang breitgetreten werde und sich schließlich auch im Kopf des Uninteressiertesten festgesetzt habe. So bleibe bestimmt etwas hängen von der Verleumdung.

      Wen wundert es, dass Elke und ich dies alles höchst unerfreulich fanden. Wir redeten weniger über Christoph als je zuvor. Dabei standen weitere Steigerungsformen des Unerfreulichen bevor.

      Nach einer mehrwöchigen Pause des Schweigens meldete sich Christoph kurz nach Mitternacht am Telefon. Ich war gerade