Patrizia Lux

Love of Soul


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Wenn er keinen Stoff hatte, war er schlecht drauf, machte die Bedienungen blöd an oder schmiss sie gleich raus. Bisher war ich verschont geblieben. Er hatte das längste Auto, das ich je gesehen hatte, irgend so einen Amischlitten, und ich fragte mich jedes Mal, wie er einen Parkplatz finden konnte, weil er drei davon brauchte. Ich wusste, dass er nicht gut drauf war, denn er hatte es diesmal auf unsere neue Bedienung abgesehen, die ungefähr drei Wochen bei uns arbeitete. Sie sah gut aus, hatte Riesentitten, die sie durch ihre weit ausgeschnittenen Oberteile gut zur Geltung brachte, aber sie brachte nichts auf die Reihe. Einmal brach sie weinend zusammen, weil es ihr zu viel wurde. Ich versuchte, ihr zu helfen, so gut es ging, aber sie wurde nicht besser. Ich wusste, dass es ihr letzter Tag war, und ich wusste, dass sie nach seinen Bemerkungen das Bedienen gleich sein lassen würde. Er konnte einen dann so heruntermachen, dass man sich vorkam wie ein unnützes Ungeziefer, ein Wurm, auf dem man am besten gleich herumtrampelte oder in zwei Teile schnitt. Ich ging trotzdem zu ihm hin, egal wie schlecht er drauf sein würde, denn ich war noch viel schlechter drauf. Anna, die mich besuchte, meinte auch, dass ich hingehen sollte, weil Sandra zu schwach war, um Martins Charme zu widerstehen. Er hatte sich ja auch schon gut bei ihr eingeschleimt. Maggy meinte auch, dass ich mich rühren sollte, weil Sandra ihm sonst den Service gab.

      „Ich will meinen Service wieder“, beklagte ich mich. „Er ist zweimal die Woche hier und hat kein Recht auf meinen Service, außerdem ist er ein unkollegiales Arschloch.“

      Ich war selbst erstaunt, dass ich mich so traute.

      „Rege dich nicht auf“, gab er zurück. „Er macht guten Umsatz. Wenn er nicht da ist, dann hast du deinen Service wieder.“

      Ich machte auch guten Umsatz, aber ich wusste, dass ich meinen Mund halten sollte, weil er sonst noch sagte, dass, wenn es mir nicht passte, ich gehen könnte; darum ging ich lieber zu meinen neuen Gästen, die gerade gekommen waren. Ich schluckte meinen Ärger hinunter, wie so oft, und ging an die Arbeit. Ich stand erst mal eine halbe Stunde herum, bevor ein neuer Gast kam. Es war eine Tussi, die von hinten aussah wie dreißig, aber von vorne wie fünfzig. Als ich ihr ins Gesicht sah, erschrak ich, denn es sprang mir eine dunkelbraune Lederapfelhaut entgegen. Ich nahm mir vor, nicht mehr so oft in die Sonne oder ins Solarium zu gehen, weil es schrecklich alt machen konnte. Außerdem war sie total abgemagert ‒ wenn sie nicht Magersucht hatte. Sie wirkte sehr arrogant und bestellte sich einen Prosecco, den sie schnell trank. Als sie zahlen wollte, gab sie mir einen Zwanzigeuroschein. Als ich ihr herausgab, sah sie mich verwundert an und meinte, dass sie mir einen Fünfzigeuroschein gegeben hätte. Auf den Trick fiel ich nicht herein, weil er uralt war. Das Problem war nur, dass ich die zwanzig Euro schon eingesteckt hatte und ich zwei Fünfzigeuroscheine in meinem Geldbeutel hatte, die noch von mir waren. Sie regte sich fürchterlich auf und wollte den Geschäftsführer sprechen. Ich ging zu Mike und erklärte es ihm, worauf er meinte, dass er sie kennen würde und ich ihr auch fünfzig Euro herausgeben solle. Er entschuldigte sich auch noch bei ihr, und ich musste ihr das Geld geben. Ich hatte der Tussi doch glatt dreißig Euro von mir geben müssen. Als sie ging, wünschte ich ihr, dass sie die Treppen hinunterfiel. Wenn sie noch einmal kommen würde, dann würde ich sie nicht mehr bedienen. Der nächste tolle Gast kam, Bernadette, die mich jedes Mal volllaberte. Sie sprang schon auf mich zu und gab mir Küsschen rechts und links.

      „Na, meine Süße, wie geht es dir?“, fragte sie.

      „Nicht so gut“, sagte ich.

      „Aber immer noch besser als mir, oder?“

      „Ja, so gesehen schon.“

      Sie hatte Brustkrebs und rannte jetzt immer mit einem Turban herum. Ich bewunderte ihren Optimismus, den sie trotz ihrer Krankheit nicht verloren hatte. Sie hatte einen Begleitservice und fragte mich immer, ob ich nicht jemanden wüsste, der bei ihr arbeiten wollte. Sie würde mich natürlich für die Vermittlung bezahlen. Mich hatte sie auch schon gefragt, ob ich nicht bei ihr einsteigen wollte. Ich würde wesentlich mehr verdienen als hier. Ich schlug dieses Angebot ab, weil das nicht so ganz mein Ding war. Maggy hatte sie sich schon geschnappt. Sie machte es nebenbei. Sie würde mir bestimmt wieder von ihrem Exmann erzählen, der sie so fertiggemacht hatte, dass sie Brustkrebs bekam, und von ihren Reisen mit ihrem neuen Typen.

      „Setz dich doch kurz“, sagte sie.

      Dieses „kurz“ kannte ich schon, aber da die anderen Gäste zufrieden waren und ich momentan nichts zu tun hatte, tat ich es, weil es sonst unhöflich gewirkt hätte. Sie redete wieder wie ein Wasserfall und hörte gar nicht auf. Als ich dann sagte, dass ich mich wieder um meine anderen Gäste kümmern müsste, meinte sie: „Aber das muss ich dir nachher noch erzählen.“

      Als ich aufstand, ging ich noch schnell aufs Klo, und als ich wieder zurückkam, waren die vier zwanzigjährigen Tussis, die gegessen und Wein getrunken hatten, weg. Ich konnte es nicht glauben, aber man durfte seinen Service wirklich nie aus den Augen lassen.

      Diese Mistratten!, dachte ich. Wenn ich sie je erwischen sollte, reiße ich ihnen ihre niedlichen Köpfe ab. Als ich gerade kurz vorm Explodieren war, weil es schon wieder fünfzig Euro Miese waren, kam ein neuer Gast. Sie lächelte mich an.

      „Hey, kennst du mich nicht mehr?“, fragte sie.

      Erst an ihrer Stimme erkannte ich, dass es Sabi war. Eigentlich hätte ich sie nicht mehr kennen sollen, nachdem sie mit Thomas ins Bett gegangen war. Ich wusste zuerst nicht, ob ich einfach an ihr vorbeigehen sollte, ohne ein Wort, aber dann konnte ich es doch nicht, denn wenn sie damals nicht mit Thomas ins Bett gegangen wäre, wäre ich immer noch in dieser öden Beziehung.

      „Du hast dich aber verändert“, sagte ich dann schließlich, weil ich wirklich erstaunt über ihre Veränderung war.

      „Ja, ich habe lange Haare.“

      Es waren nicht nur die Haare. Ihre ganze Persönlichkeit wirkte anders.

      „Arbeitest du hier?“, fragte sie fast entsetzt.

      Sie war auch nur Arzthelferin und putzte den Ärzten den Arsch.

      „Ich dachte, du studierst Kunst?“, meinte sie.

      „Tue ich auch, aber ich brauche auch etwas Geld.“

      „Ich arbeite bei Arnie, meinem Mann. Er ist Frauenarzt. Du wirst ihn gleich kennenlernen.“

      Als Arnie kam, roch ich gleich, dass er ein purer Macho war. Er hatte einen Bossanzug an, war mehr als einen Kopf größer als ich und sah auf mich herab wie auf ein kleines Mädchen. Er hatte etwas zu viel von seinem Davidoff drauf, sodass es aufdringlich wirkte. Als sie mich ihm vorstellte, nickte er nur gelangweilt und sah mich nicht mal an, sondern blickte auf eine aufgestylte Nobeltussi, die an der Bar saß und ihm zulächelte. Ich war ja auch nur eine kleine Bedienung, die brotlose Kunst studierte. Arnie setzte sich an einen Tisch und ließ uns alleine.

      „Lisa, du musst uns unbedingt einmal besuchen“, sagte Sabi, während er sich an einen Tisch setzte. „Wir haben uns ein Haus gekauft und alles ganz toll eingerichtet. Ich kaufe etwas Kaviar, damit du auch mal verwöhnt wirst.“

      „Ich mag keinen Kaviar“, sagte ich.

      „Ach so. Das wusste ich nicht. Gut, dann kaufe ich Lachs.“

      „Ich habe leider so wenig Zeit. Nett von dir.“

      Die Klamotten, die Sabi anhatte, konnte ich mir wahrscheinlich in zehn Jahren noch nicht leisten. Sie kaufte sich jetzt natürlich nicht mehr die Fetzen von H&M. Da musste schon Gabbana oder Gucci her. Früher sah man sie nur in Jeans und frechen, kurzen Haaren. Sie hatte mal Sängerin werden wollen. Arnie hatte das offensichtlich geändert. Ihre Oberflächlichkeit war wirklich preiswürdig. Man hätte ihr glatt einen Oscar verleihen können.

      „Singst du noch?“, fragte ich.

      „Nein, mit Arnie komme ich nicht mehr dazu. Übers Wochenende fliegen wir oft nach Nizza. Er hat dort eine Jacht.“

      „Verstehe.“

      Den Ärzten konnte es ja gar nicht so schlecht gehen. Was jammerten die immer so? Was sollte ich sagen mit meinen paar Kröten? Konnte mir nicht mal ein Auto leisten, weil ich sonst auf andere Annehmlichkeiten hätte