Patrizia Lux

Love of Soul


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dachte an Venus, die ich vermisste. Sie lebte jetzt bei Oma, weil ich zu wenig Zeit für sie hatte und das Landleben besser für sie war.

      „Ach, dein Hund. Der kann warten.“

      Er legte den Schlüssel demonstrativ auf den Tisch, griff mich unsanft am Arm und zog mich ins Schlafzimmer. Ich wünschte mir, dass ich den Selbstverteidigungskurs, den ich schon immer machen wollte, gemacht hätte. Ich dachte an meine Gaspistole in der Tasche, die auf der Couch lag. Thomas hatte sie mir mal geschenkt, weil er Angst um mich hatte, wenn ich abends allein unterwegs war. Jetzt hatte ich Angst um mich. Lieber Gott, wenn es dich wirklich gibt, dann hilf mir! Aber wenn ich an die Ungerechtigkeiten dieser Welt dachte, dann hatte ich nicht viele Chancen, dass meine Bitte erhört wurde, außerdem war ich ja selbst schuld, weil ich mit dem Arsch mitgegangen war. Wo bist du, Mutter? Konntest du nicht einmal da sein, wenn ich dich brauche? Wenn ich geschrien hätte, dann hätte es bestimmt keiner gehört, und wenn es jemand gehört hätte, dann hätte es ihn nicht interessiert. Als er mich unsanft aufs Bett warf, kam ich mir vor wie auf einer Schlachtbank.

      „Du kleines Miststück“, sagte er. „Dachtest du wirklich, das könntest du mit mir machen? Zuerst machst du mich geil, und dann, wenn es darauf ankommt, willst du wegrennen? Nicht mit mir.“

      Er starrte mich an wie ein perverser Lüstling. Dann zog er sich aus. Sein Schwanz kam mir vor wie eine Mordwaffe, die auf mich gerichtet war und jeden Moment losging. Ich hatte das Gefühl, wenn er in mich eindränge, dass mein Körper wie Glas zerspringen und in tausend Scherben zerbersten würde. Sein Geruch verursachte mir Ekel. Er zog mich an den Haaren zu seinem Wasserbett und gab mir einen kräftigen Schubs. Ich fiel wie ein Brett ins Bett, das mich hin und her schaukelte. Ich kam mir vor wie kurz vor dem Ertrinken. Ich wehrte mich, als er sich auf mich warf. Er schlug mir ins Gesicht, sodass ich ganz benommen davon war. Plötzlich klingelte es an der Tür.

      „Es hat geklingelt“, sagte ich.

      „Egal“, meinte er.

      Es hörte aber nicht auf zu klingeln.

      „Du bleibst, wo du bist“, befahl er.

      Er stand auf, zog sich seine Hose an und ging zur Tür.

      Ich ging ins Wohnzimmer, schnappte mir meine Tasche und holte meine Gaspistole heraus. Er stand im Gang und unterhielt sich mit einem Typen. Der andere sah ganz sympathisch aus, aber ich traute keinem mehr, und so ging ich auf die beiden zu und hielt ihnen die Knarre vors Gesicht.

      „Geht zur Seite!“, sagte ich. „Ich will hier raus.“

      „Ist die verrückt?“, meinte der eine.

      „Hat sich wahrscheinlich zu viel reingezogen“, meinte Mario.

      „Ich habe mir gar nichts reingezogen. Du Arsch wolltest mich vergewaltigen.“

      „He, Mario, spinnst du?“, meinte der andere. „Lass die Frau in Ruhe.“

      „Zuerst macht sie mich an, und dann lässt sie mich eiskalt stehen“, meinte Mario.

      „Deswegen braucht man keine Frau zu vergewaltigen. Du bist ja drauf. Hast dir wahrscheinlich zu viel reingezogen. Lass sie gehen.“

      „Soll sie doch gehen, die Schlampe. War sowieso nicht mein Typ.“

      Ich machte die Tür auf und rannte die Treppen hinunter. Mein ganzer Körper zitterte, und als ich auf der Straße ankam, musste ich mich erst mal übergeben. Mein Gesicht fühlte sich glühend heiß an und tat weh. Geld fürs Taxi hatte ich nicht mehr, und der Akku von meinem Handy war auch noch leer, also musste ich zur nächsten Telefonzelle, um Anna anzurufen, damit sie mich holen konnte. Sie war zum Glück da und kam gleich.

      „Was ist mit dir los?“, fragte sie besorgt, als sie mich sah, frierend und mein Gesicht zu Eis gefroren, weil mir der Schock immer noch im Gesicht stand.

      „Erzähle ich dir später.“

      ***

      Als wir endlich zu Hause waren, schenkte Anna mir gleich einen doppelten Wodka ein und gab mir Eiswürfel für mein Gesicht. Ich konnte nicht mal reden. Meine Augen starrten in die dunkelste aller Nächte. Als ich das Glas leer hatte, weinte ich, bis kein Tropfen mehr in mir war. Ich saß mindestens drei Stunden auf dem Küchenstuhl, wie angenagelt, und als die Sonne, die mir so fremd vorkam, aufging, kam es mir vor, als wäre mein Körper Millionen Lichtjahre von der Erde entfernt, ohne jegliches Gefühl für Raum und Zeit. Es war mir völlig egal, wohin ich flog, denn ich hatte keine Empfindung mehr. Ich sah auf einmal, wie sich alles von mir löste, die Arme, die Beine, die Hände, der Kopf, die Haare, die Innereien; ziellos flogen die Teile durch die Atmosphäre, nur das Herz rannte der Sonne entgegen, und ich sah, wie es erleuchtete und verglühte.

      Als ich die Augen vorsichtig öffnete, konnte ich mich an die letzte Nacht kaum noch erinnern.

      War wahrscheinlich Selbstschutz, weil das Herz sonst zerbrochen wäre.

      Ich hatte gar nicht gemerkt, dass Anna die ganze Zeit neben mir gesessen hatte und mich sorgenvoll anstarrte. Ich schleifte mich zum Kühlschrank, um mir Wasser zu holen. Ich trank die ganze Flasche leer, und danach wurde mir so schwindlig, dass ich gerade noch den Stuhl erwischte, um mich festzuhalten. Ich musste unbedingt unter die Dusche, denn ich fühlte mich so schmutzig.

      „Du siehst ja wie ein Häufchen Elend aus“, meinte Anna mitfühlend.

      „Ich gehe jetzt unter die Dusche.“

      Während ich duschte, fiel mir alles wieder ein. Ich duschte mich mindestens eine halbe Stunde, und am liebsten hätte ich mir die Haut abgeschrubbt. Das Dumme war nur, dass man Erinnerungen nicht wegduschen konnte. Mein Gesicht war immer noch rot, zum Glück nicht blau.

      Als ich danach in mein Zimmer gehen wollte, hielt mich Anna fest.

      „Was ist passiert? Ich habe lange genug gewartet.“

      Ich erzählte es ihr, und sie sah mich mit großen Augen an, als erzählte ich ihr ein Märchen.

      „Dieses Schwein!“, sagte sie. „Man müsste solche Typen kastrieren.“

      „Nein, den Schwanz abhacken. Mensch, der Arsch hätte mich vergewaltigt, wenn es nicht geklingelt hätte. Zum Glück war er gieriger auf sein Koks, das ihm der Typ mitbrachte, als auf mich.“

      „Du hattest noch einmal Glück im Unglück. Ich bin schon mal vergewaltigt worden. Ich habe es immer verdrängt, aber jetzt ist es, wie wenn es heute gewesen wäre. Ich war vierzehn, er vier Jahre älter und gab mir Nachhilfeunterricht in Mathe, das Fach, das ich am meisten hasste; aber durch ihn machte es mir wieder Spaß. Er sah gut aus, ich war verliebt in ihn, und genau das nutzte er aus. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah, als er dicht hinter mir stand und ich seinen harten Schwanz spürte. Er knöpfte mein Kleid auf und hatte seine Hände schnell zwischen meinen Beinen. Zuerst fand ich es irgendwie schön, aber dann bekam ich Panik. Ich begann, mich zu wehren, was ihn anscheinend noch heißer machte. Da ich noch Jungfrau war und er mir den Schwanz von hinten reinrammte, tat es sehr weh. Ich schämte mich so, dass ich es keinem erzählen wollte. Aber wie sollte ich erklären, dass ich von ihm keine Nachhilfe mehr wollte? Ich erzählte es schließlich meinen Eltern, die total entsetzt und wütend waren. Da er der Sohn reicher Eltern war, die in unserer Stadt großen Einfluss hatten, sollte alles vertuscht werden. Außerdem meinte er, dass ich ihn verführt hätte. Die Eltern boten meinem Vater Schweigegeld an, das er aber nicht annahm und ihn noch wütender machte. Mein Vater ließ nicht locker, aber das Ergebnis war, dass er seinen Job verlor und die Eltern es so weit brachten, dass wir die Stadt freiwillig verließen. Der Typ kam ungeschoren davon. Sein Gesicht werde ich mein ganzes Leben nicht vergessen, und ich wüsste nicht, was ich täte, wenn ich ihm begegnen würde. Ich konnte jahrelang mit keinem Mann schlafen, weil ich mir dabei so dreckig vorkam. Erst Robert schaffte es mit viel Geduld, dass ich wieder Vertrauen hatte und mich hingeben konnte, und dann musste er bei einem Motorradunfall sterben. Ich wollte so gerne zu ihm und nahm Schlaftabletten, aber meine Mutter entdeckte mich rechtzeitig, weil sie eher nach Hause kam. Ich musste wohl eine Tablette zu wenig geschluckt haben. Eine Woche lag ich im Koma. Ich sah nur noch lauter blumig-warme