Patrizia Lux

Love of Soul


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Recht, über mein Leben zu entscheiden. Ich wurde richtig wütend, sodass sie mich ans Bett fixierten und mich mit lauter Scheiße ruhigstellten. Die behandelten mich da drin wie eine Irre, und bevor ich dort drin wirklich zu einer wurde, holte mich mein Vater heraus. Eine junge Psychologin half mir wieder auf die Beine, und ich bin ihr heute sehr dankbar dafür.“

      „Ich bin auch froh, dass du noch lebst“, sagte ich.

      Anna versuchte alles, um mich abzulenken. Sie meinte, dass ich einen Schutzengel gehabt hätte. Wahrscheinlich in der Gestalt eines Koksdealers. Na toll, aber ich glaubte nicht mehr an Engel. Ich wusste nicht, wie ich es ohne sie geschafft hätte. Ich stürzte mich wieder in die Arbeit und ins Studium, damit ich an nichts mehr denken musste. Ich verdrängte es in die tiefste Ecke meiner Seele und brachte davor ein dickes Schloss an. Einfach weitermachen und durch! Was einen nicht umhaute, machte einen stärker. Patrick sah ich noch ein paarmal, immer mit einer anderen. Ich tat so, als hätte er nie in meinem Leben existiert. Mario sah ich noch einmal, als wir eine neue Disco ausprobierten. Auf dem Weg zum Klo begegnete ich ihm. Ich spuckte ihm ins Gesicht.

      „Du sollst in der Hölle verrecken“, sagte ich.

      Er grinste nur und meinte: „Kenne ich dich?“ Ich drehte mich um und wollte gehen. Da kam ein Typ auf Mario zu und sagte zu ihm: „Wichser.“ Ich konnte gar nicht so schnell schauen, da hatte Mario schon eine in der Fresse. Und als er etwas sagen und zurückschlagen wollte, bekam er die nächste Faust ins Gesicht. Seine Nase blutete nicht schlecht, und sie sah auch nicht mehr ganz gerade aus. Der Typ zückte auf einmal ein Messer. Das Gesicht, das Mario in diesem Moment hatte, vergesse ich nie. Die pure Angst und Hilflosigkeit standen darin. So ungefähr hatte meins auch ausgesehen, als ich bei ihm war. Es kamen noch zwei Typen dazu, die ihn anscheinend auch nicht besonders mochten. Von den anderen Leuten, die dazukamen, traute sich keiner, etwas zu machen. Die meisten verdrückten sich wieder, und einige standen da und sahen zu. Diesmal ging ich grinsend weiter, denn er hatte wohl mehrere Feinde. Alles Weitere wollte ich mir ersparen, außerdem wollte ich nicht als Zeugin aussagen, und schaulustig war ich auch nicht; vielleicht ein bisschen, aber das konnte mir auch keiner übel nehmen in diesem Fall. Ich überließ ihn seinem Schicksal. Mein Fluch hatte wohl gewirkt. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Die zwei Türsteher kamen angerannt. Er hatte wahrscheinlich noch einmal Glück gehabt. Das war eine kleine Genugtuung für mich, denn wenn ich Kickboxen gekonnt hätte, dann hätte er noch ganz anders ausgesehen. Sicher wäre das dann Selbstjustiz, aber was soll man machen, wenn die Gesetze für Vergewaltiger so schwach waren? Die meisten wurden auf Bewährung freigelassen oder aus Mangel an Beweisen das Verfahren eingestellt. In Amerika hatte ein vierzehnjähriger Junge Eier auf ein Auto geworfen. Der im Auto saß, drehte durch und erschoss den Jungen. DAS war verrückt. Ich packte Anna, und wir verließen die Disco.

      Ich nahm mir vor, in nächster Zeit gar nicht mehr wegzugehen, denn da kam nur Scheiße heraus.

      Als mir ein Bekannter Koks anbieten wollte, schmiss ich es ihm ins Gesicht. Ich wollte das Teufelszeug nie mehr sehen.

      Die nächsten zwei Wochen konnte ich mich in der Uni überhaupt nicht konzentrieren. Ich saß darin, wie wenn ich nicht dazugehören würde, und träumte von einem glücklicheren Leben.

      Kapitel 5

      Ich merkte, dass mich die Nachtarbeit ziemlich auslaugte, nicht nur körperlich, sondern auch seelisch. Je länger man hier arbeitete, umso mehr bekam man von der verrückten Welt mit. Da war zum Beispiel Miriam, 17 Jahre alt. Ihre Eltern hatten sie hinausgeschmissen. Sie machte sich an Geldtypen heran, die meistens zwanzig Jahre älter waren, und ließ sich aushalten. Da waren Elke und Hans, beide um die vierzig, die sich immer jemanden für einen Dreier suchten. Biggi, eine frühere Arbeitskollegin, erzählte es mir, denn sie hatte selbst mal mitgemacht. Da war Jim, der Bruder von unserem Geschäftsführer. Er saß im Rollstuhl und schüttete sich jeden Tag die Birne zu. Er hatte vor zwei Jahren einen schweren Unfall gehabt, stand unter Drogen. Davor war er Discjockey in meiner Lieblingsdiscothek gewesen, und wenn er hier hereinkam, dann immer mit einer anderen. Die Zeiten waren vorbei. Da waren Linda und Peter, die wie ein glückliches Paar wirkten, aber von Lindas Schwester erfuhr ich, dass er sie schlug, weil er so eifersüchtig war. Sie konnte sich nicht trennen von ihm. Oder die ganzen Studenten, die einen fetten BMW fuhren und ihre Kreditkarten zückten. Alles gesponsert von Daddy. Thomas und Jörg bekamen das Geld zwar nicht von ihren Eltern, denn sie handelten nebenbei mit Autos, natürlich schwarz. Oder Sunny, ein wahnsinnig gut aussehender Typ, auf den ich auch bald hereingefallen wäre, bis ich erfuhr, dass er Zuhälter war, und man mir riet, dass ich die Finger von ihm lassen sollte, weil er ein knallharter Typ war. Sah man ihm wirklich gar nicht an, aber so konnte man sich täuschen. Oder Babsi, die allein erziehende Modedesignerin war. Sie ließ sich auf Tobi ein, der sie auf Heroin brachte. Oder Frankie, vierzig, schwul, hatte ein paar Boutiquen und kam jedes Mal mit seinen achtzehn- bis zwanzigjährigen Jüngern herein. Oder Markus, ein vierzigjähriger verkrachter Rechtsanwalt, der betrügerische Geschäfte machte. Er stand sogar schon in der Zeitung, aber lief immer noch frei herum. Oder Bernie, der tagsüber Makler war und abends seine weibliche Seite auslebte. Oder Stephan, der von den Hanseaten stammte und sein geerbtes Geld verprasst hatte und vom Dealen lebte. Oder Wolfgang, der Lebemann, der sich immer irgendwie durchmogelte. Er fragte mich mal, ob ich nicht Hemden bemalen wollte, die wir dann verkaufen könnten. Er würde die Hemden günstig bekommen. Ich fand die Idee nicht schlecht und bemalte den Kragen und die Knopfleiste. Es sah wirklich edel und cool aus. Ich machte zehn Hemden und gab sie ihm in meiner Gutgläubigkeit. Geld sah ich nie, aber solche Hemden in der Ladenkette seines Freundes, und es waren meine Muster. Am liebsten hätte ich den Laden in die Luft gesprengt. Als ich ihn wiedersah und darauf ansprach, tat er so, als wüsste er von nichts. Ich war mal wieder zutiefst enttäuscht von der Menschheit, aber dafür um eine bittere Erfahrung reicher. Bloß, meine bitteren Erfahrungen häuften sich langsam, und das tat weh. Ach ja, nicht zu vergessen Carmen und Claudia, beide magersüchtig. Sie tranken jeden Tag ihr Perrier und einen Martini. Jedes Mal, wenn ich sie sah, dachte ich mir, dass sie jeden Moment auseinanderfallen mussten. Und da waren noch Ernst und Sabine, um die fünfzig, verheiratet. Sie wirkten immer wie ein glückliches Ehepaar, hielten noch Händchen, küssten sich, und er hofierte sie. Aus einer Bar, in die ich zufällig mal hineinging, kam er Hand in Hand mit einer anderen Frau heraus. Am liebsten wäre ich zu Sabine hingegangen und hätte ihr gesagt, dass ihr Mann sie betrog, aber da ich ja Anstand hatte, ließ ich es. Ich wollte ja keine Scheinehe zerstören. Jedenfalls warf dieses Erlebnis einen Schatten auf das Bild, das ich von ihnen gehabt hatte. Darunter gab es auch ganz normale Leute, aber die waren dünn gesät. Die meisten waren irgendwie verrückt und abgehoben. Der ganz normale Wahnsinn fand hier täglich statt, und ich war mittendrin und ließ mich mitreißen.

      Es war mal wieder so ein Tag auf der Arbeit, an dem ich am liebsten alles hingeschmissen hätte. Als ich zehn Minuten zu spät ankam, hatte Martin, der neue Kellner, den ich sowieso nicht leiden konnte, weil seine Arroganz zum Himmel stank, meinen Service. Ich hatte ihn einmal gefragt, ob er mir helfen könnte, weil er nicht viel zu tun hatte und ich total im Stress war, damit die Gäste nicht so lange warten müssten. Er hatte zuerst eine Weile dagestanden, mir weiterhin zugesehen und gemütlich seine Tische geputzt und das Besteck eingewickelt. Seitdem wusste ich, dass ich es mit einem Egoisten zu tun hatte. Es gab nur bestimmte Leute, mit denen er sich unterhielt. Ich gehörte nicht dazu. Er ignorierte mich und sah mich von oben herab an. Ich nahm mir vor, ihn auch zu ignorieren. Der meinte, bloß weil er aus dem Hotelfach war, dass er was Besseres war. Der einzige Vorteil, den er hatte, war, dass er fünf Kaffees auf einmal tragen konnte. Ich hatte es zu Hause mal versucht, aber ich ließ es lieber bleiben, denn die Tasse, die obendrauf war, war auf den Boden gefallen. Gut, aber sonst konnte ich ihm das Wasser reichen; außerdem gab es Tabletts. Ich warf Sandra, der Oberkellnerin, die immer alle einteilte, einen bösen Blick zu. Ich wusste, dass sie auf ihn stand. Ich hatte diese Rolle auch mal gehabt, aber die hatte ich schnell wieder abgegeben, weil es immer Streit bei der Serviceeinteilung gab und du als Oberkellnerin jeden Scheiß ausbaden durftest. Ich verstand mich bis dahin gut mit Sandra, aber das konnte sich ändern. Außerdem war Martin nur zwei Tage die Woche hier und ich fünf und in den Semesterferien sieben. Er hatte kein Recht auf meinen Service, wenn ich da war. Ich riss mich zusammen und sagte ihr, dass ich das nächste Mal wieder