Patrizia Lux

Love of Soul


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jung für das, was ihr da machen wollt. Verdorbene Jugend.“

      „Was machen Sie hier?“, fragte Nadim und ging gar nicht auf ihn ein.

      Es war sowieso alles peinlich genug, und ich schämte mich total.

      „Ich bin ein Nachbar und sehe ab und zu nach dem Rechten, wenn die Hausherrin nicht da ist.“

      Nadim holte unsere Klamotten.

      „Drehen Sie sich bitte um. Wir müssen uns anziehen.“

      Wir zogen uns schnell an. Der Hund, ein Boxer, sah genauso misstrauisch zu uns. Ich liebte zwar Hunde, aber der sah nicht gerade so aus, als könnte man zu ihm hingehen und ihn streicheln. Ich dachte, das sollte ich lieber sein lassen.

      „Was macht ihr hier?“, fragte der Typ noch einmal.

      „Wir sind Verwandte“, sagte Nadim.

      „Davon hat mir Sabine gar nichts erzählt.“

      „Hat sie vielleicht vergessen.“

      Der Typ blickte misstrauisch zu uns. Er sah sich überall um, weil er uns nicht traute. Nadim nahm im Augenblick der Unaufmerksamkeit des Mannes meine Hand und rannte mit mir hinaus. Wir schwangen uns aufs Rad und fuhren los wie Bonnie und Clyde, die auf der Flucht waren. Der Hund lief uns nach, und der Typ schrie noch hinterher, dass er die Polizei anrufen würde. Nadim gab dem Hund mit seinem Fuß einen Tritt mit, dass er sich fast überschlug. Davor schien er Respekt zu haben, denn er rannte zurück zu seinem Herrchen.

      „Gerade noch mal gut gegangen“, meinte Nadim. „Ferry hat gesagt, dass da einer ab und zu nachschaut, wenn die Eltern von Ferrys Freundin keine Zeit haben, aber dass es gerade jetzt kommen musste …“

      Vielleicht war es besser so, dachte ich mir, weil ich wahrscheinlich sonst noch schwanger geworden wäre. Ich nahm keine Pille. Vielleicht hatte der Buddha doch auf uns aufgepasst.

      Die Abendsonne tränkte die Landschaft in ein kitschig goldenes Licht. Als wir die Stadt erreichten, machten wir eine kurze Pause, weil mir wieder der Hintern wehtat. Die beleuchtete Stadt lag vor und die Natur hinter uns. Die Sonne küsste die Nacht, und Nadim küsste mich.

      „Ich liebe dich“, sagte er.

      „Ich liebe dich auch.“

      Nadim fuhr mich nach Hause. Am liebsten hätte ich ihn mitgenommen, aber dafür war es schon zu spät, weil meine Eltern bestimmt bald kommen würden. Wir verabschiedeten uns wehmütig. Ich wusste nicht, dass ich ihn für lange Zeit nicht mehr sehen würde. Hätte ich es geahnt, hätte ich ihn mitgenommen und noch jeden Augenblick ausgekostet. Am nächsten Tag kam nämlich die Polizei zu uns. In der Eile musste Nadim beim Anziehen der Geldbeutel herausgefallen sein. Der Typ hatte die Tante von Ferrys Freundin angerufen, und die hatte natürlich gesagt, dass sie uns nicht kenne. Die Polizei meinte, dass wir eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch bekommen könnten. Sie meinte, dass wir Glück hatten, dass nichts gestohlen war. Nadims Vater war so sauer, dass er ihm eine Ohrfeige verpasste und er in die nächste Ecke flog, und meine Mutter gab mir zwei Wochen Hausarrest. Ferrys Freundin bekam ebenfalls Schwierigkeiten, weil sie uns den Schlüssel gegeben hatte. Da saßen wir ja alle schön in der Scheiße. Meine Mutter war so sauer, dass sie gar nicht mehr mit mir redete. Alles, was ich ihr sagte, interessierte sie nicht. Meine einzige Rettung war Oma. Ich erzählte ihr alles. Sie war nicht ganz so begeistert, aber sie hatte Verständnis für uns. Mit der Mutter von der Tante war sie befreundet, und die Tante hatte ihr mal ein Bild abgekauft. Oma malte, und genau das wollte ich später auch machen. Sie meinte, dass sie mit ihr reden würde. Wie klein die Welt doch wieder war, und was für ein Glück ich hatte, dass es Oma gab! Wir bekamen keine Anzeige, weil Oma alles hinbog. Die Tante war zum Glück auch sehr verständnisvoll und tolerant für jugendliche Nöte. Nadim und ich fuhren noch einmal hin und entschuldigten uns mit einem großen Blumenstrauß. Oma schenkte ihr ein Bild, und sie meinte, dass wir unsere Strafe schon bekommen hätten. Sie wusste, dass wir uns nicht mehr sehen durften, weil sich Nadims Eltern auch entschuldigt hatten. Nadim kam auch noch auf eine andere Schule. Das war wirklich die größte Strafe für uns. Das Letzte, was mir Nadim sagte, war, dass er für unsere Liebe kämpfen würde.

      Die Briefe, die ich schrieb, bekam er nie, weil sie seine Mutter vorher abfing und zerriss. Ich litt wie ein Hund, der ausgesetzt worden war, und war todunglücklich, denn ohne ihn war ich nichts, nur irgendein Mädchen, das vielleicht irgendwann wieder einen Typen finden würde, um nicht alleine zu sein. Das im Innern wusste, dass es nie mehr so empfinden würde. Er war ein Teil von mir, der verloren gegangen war, und ich wusste nicht, ob ich diesen Teil jemals wiederfinden konnte. Der Schmerz war das Einzige, was übrig blieb; er ließ mich spüren, wie tief Nadim in mich eingedrungen war. Er war nicht mehr da, aber der Schmerz ließ mich spüren, dass er existierte. Ich klammerte mich an den Schmerz, weil ich mich dadurch mit ihm verbunden fühlte.

      Ich wurde immer unglücklicher. Wenn meine Mutter wieder die ganze Nacht weinte, weil sie sich einsam fühlte, wenn Pa nicht da war, und sie wieder an Nico denken musste, dann war ich unglücklich. Wenn sie wie eine Furie auf mich losging, wenn ich etwas falsch machte, dann war ich unglücklich. Wenn sie meinen Hund Sammy nachts immer in den Keller sperrte, weil er winselte, um in meinem Bett zu schlafen, dann war ich unglücklich. Am liebsten hätte ich mich auch hinuntergelegt. Wenn sie mich vor fremden Leuten zur Sau machte, dann war ich unglücklich. Wenn mein Vater nachts kotzte, weil er wieder blau war, und am Morgen immer noch eine Fahne hatte, dann war ich unglücklich. Wenn wir ab und zu am Wochenende wegfuhren, artete es zu achtzig Prozent in einen Streit aus, und ich betete jedes Mal, bevor wir fuhren, dass es nicht dazu kam. Manchmal wünschte ich mir, dass mich das Auto damals zusammengefahren hätte. Jeder Tag, bis zu den Ferien, um endlich bei Oma zu sein, wurde eine Qual, und manchmal dachte ich, dass ich es nicht schaffen würde. Oma sagte immer, dass ich malen solle, wenn es mir nicht gut ging. Sie meinte, dass das die Traurigkeit vertreiben würde. Es war wirklich das Einzige, was mich ablenkte, und meine Tante sagte immer, dass ich das Talent von Oma geerbt hätte. Meine Noten wurden immer schlechter, und in einem Wahn zerriss meine Mutter meine ganzen Bilder, die ich mühsam gemalt hatte.

      „Du taugst nichts“, schrie sie mich an. „Du sollst was lernen und nicht deine Zeit mit Malen vergeuden.“

      Sie wollte ausholen und mir eine knallen, aber ich war schneller, denn ich holte aus, und zum ersten Mal, mit fünfzehn, erhob ich meine Hand gegen meine Mutter. Ich wollte nicht wieder ihren Ring am Kopf spüren.

      „Ich weiß, dass es dir lieber wäre, wenn ich tot wäre und Nico leben würde“, schrie ich sie an.

      Sie sah mich verdutzt an, ging in die Küche und weinte. Seitdem rührte sie mich nie wieder an. Sie tat immer so, als hätte sie gar kein Kind mehr. Sie hatte immer noch mich, aber ich war eben nichts, eine Ausgestoßene, die keine Rechte mehr hatte. Die Liebe meiner Mutter war mit Nico gestorben. Mein Vater war, wenn er nüchtern war, so hilflos. Er wusste überhaupt nicht, wie er mit mir umgehen sollte, und wenn er blau war, dann war er ganz nett, aber ich fand ihn dann immer ekelig. Das Weinen meiner Mutter konnte ich auch nicht mehr hören. Es war alles unerträglich geworden.

      Eines Tages war auch Sammy nicht mehr da, als ich nach Hause kam. Sie meinte, dass wir keinen Hund bräuchten. Ich hatte meinen besten Freund verloren. Ich hatte noch Sabi, mit der ich jeden Tag verbrachte. Sie war meine beste Freundin und half mir immer, wenn es mir nicht gut ging. Sie war meine einzige Rettung.

      Kapitel 2

      Ferry, Nadims Freund, machte eine Geburtstagsparty, und ich war auch eingeladen. Ich traf ihn zufällig im Café Splash mit seiner Freundin wieder. Er wusste von unseren Problemen. Wir sahen uns nicht oft, aber wenn, dann fragte er mich immer: „Na, was ist mit Nadim?“ Darauf wusste ich keine Antwort. Ich sagte ihm immer, dass er ihm schöne Grüße ausrichten solle. „Ich glaube, ich muss mal nachhelfen“, meinte Ferry, als er mich zu seinem achtzehnten Geburtstag einlud. Sie feierten bei einem deutschen Freund, der sturmfreie Bude hatte. Ich konnte Nadim wiedersehen. Vielleicht hatte sich einiges geändert, schließlich war seit dem Ausflug ein Jahr vergangen, und außerdem war ich seit zwei Wochen der glücklichste Mensch, denn ich hatte Kontaktlinsen bekommen.