Patrizia Lux

Love of Soul


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hatte dunkelbraune Augen. Sein Akzent verzauberte mich. Am Anfang dachte ich mir, was will der von mir? Er schrieb mir immer Gedichte und war sehr hartnäckig. Er ging in meine Parallelklasse, war ein Jahr älter als ich, und er mochte mich, trotz meiner dicken Brille. Ich war weitsichtig und musste diese dicken Gläser auf meiner Nase tragen. In der Schule nannten sie mich alle Brillenschlange, und ich hatte dadurch wirklich Komplexe bekommen. Manchmal rannte ich auch ohne Brille herum, aber dann stolperte ich immer über alles. Jeden Tag wünschte ich mir, wieder richtig sehen zu können, aber Gott tat mir den Gefallen nicht. Nadim meinte, dass ein schönes Gesicht nichts entstellen könnte, und verteidigte mich immer vor den anderen. Er wohnte nicht weit von uns weg, und wir spielten immer mit den Nachbarskindern Völkerball. Einmal fing er mich auf, als ich fast hingefallen wäre, weil ich den Ball unbedingt fangen wollte, und mein Herz machte Purzelbäume. Er hatte das schönste Lächeln, das ich kannte. Wir verbrachten jede freie Minute miteinander. Ab und zu schnupperten wir Großstadtluft, die eine halbe Stunde S-Bahn-Fahrt entfernt war. Unser Geheimtreff war ein kleiner Baggersee, zwei Stationen von unserer Stadt entfernt, wo wir oft badeten. Er war am Anfang oft bei mir, aber ich durfte nie zu ihm mit, denn seine Eltern mochten mich nicht. Nur einmal war ich bei ihm, einen Tag nach meinem vierzehnten Geburtstag, weil seine Eltern nicht da waren und seine Schwester auch nicht, denn die hätte uns verraten. Sie wollten erst am Abend kommen, aber sie kamen früher. Nadim und ich standen im Wohnzimmer, und er küsste mich das erste Mal. Ich war gefangen. Ich ließ mich fallen, und er fing mich auf. Er war wie Nektar für meine hungrige Seele. In seiner Nähe fühlte ich mich sicher. Es kam mir vor wie ein Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Ich hatte meinen Prinzen gefunden, mit dem ich immer zusammen sein wollte. Wir waren so versunken, dass wir gar nicht hörten, dass seine Eltern gekommen waren. Sie standen auf einmal da, als hätten sie sich hergebeamt. Seine Mutter schimpfte und sah mich an, als wäre ich eine Hure, die ihren Sohn verdarb. Ihr Gesicht war richtig hasserfüllt. Ich verließ gleich fluchtartig das Haus und rannte nach Hause, wie von bissigen Hunden gehetzt.

      Meine Mutter fand es auch nicht mehr so gut, dass ich mich mit ihm traf. Sie meinte zuerst, dass er nur ein Schulfreund wäre, der mir beim Lernen half, aber dann spürte sie doch, dass mehr dahintersteckte. Sie beobachtete, wie er mich küsste, als er ging, und verbot, dass er zu mir kam. Sie meinte, dass er mir nicht guttäte und ich durch ihn die Schule vernachlässigte; außerdem wäre ich ein paarmal zu spät nach Hause gekommen. Die Kulturunterschiede wären auch zu groß, und er würde mich nur unglücklich machen, weil es keine Zukunft hätte. Außerdem hätte sie noch Angst, dass ich schwanger würde. Ich versuchte, ihr zu erklären, dass er anders war, aber sie blieb hart und meinte, dass ich ihr das nicht antun solle. Ich würde schon wieder einen anderen finden und hätte ja noch Zeit. Sie machte mir auch noch Schuldgefühle. Ich fuhr zu Oma und erzählte es ihr. Sie meinte, dass sich meine Mutter nur Sorgen machte, aber sie meinte auch, dass man gegen die Liebe nichts machen könne, man könne sie nicht einfach auslöschen. Wo die Liebe hinfällt, meinte sie. Womit sie recht hatte. Ich wollte diese Liebe auch gar nicht auslöschen. Wir sahen uns zwar nicht mehr so oft, und wenn, dann mussten unsere Freunde für ein Alibi herhalten. Aber an unseren Gefühlen änderte sich nichts, und wir genossen jeden Augenblick.

      Meine Eltern waren unterwegs, und ich traf mich mit Nadim in der Stadt. Es war zwanzig Uhr, und meine Eltern kamen bestimmt erst um halb elf nach Hause, also hatten wir noch Zeit. Nadim fragte mich, ob ich auch Hunger hätte, und ich hatte Hunger, da ich noch nichts zu Abend gegessen hatte. Ich freute mich auf ein romantisches Essen.

      „Ich kenne ein gutes Lokal“, meinte er. „Da war ich schon mit Ferry.“

      „Ok, gehen wir hin“, sagte ich.

      „Es ist ein bisschen weiter weg, so zwanzig Kilometer“, meinte er.

      „Ach so, wie kommen wir dahin?“

      „Wir stoppen.“

      „Ok“

      Mit Nadim hatte ich keine Angst zu stoppen, alleine wäre mir schon mulmig gewesen. Ich meine, man wusste ja nie, mit wem man da mitfuhr.

      Wir hielten eine Viertelstunde den Daumen heraus, dann hielt endlich ein Auto. Es waren zwei junge Typen darin. Na ja, irgendwie war mir doch mulmig.

      „Komm“, sagte Nadim.

      Wir stiegen ein, und die Typen fuhren los. Der Typ fuhr ganz schön schnell, überholte gleich ein paar Autos, was nicht ungefährlich war.

      „Kannst du vielleicht etwas langsamer fahren?“, fragte ich, weil meine Hände schon feucht wurden.

      „Wieso?“, meinte der Typ und legte noch einen Zahn mehr zu.

      Nadim blickte mich an und hielt meine Hand.

      „Na, was habt ihr denn vor?“, fragte der Typ.

      „Wir besuchen jemanden“, sagte ich.

      „Lasst uns doch einen draufmachen“, meinte der Typ.

      „Nein“, meinte Nadim. „Wir haben was vor.“

      Der auf dem Beifahrersitz grinste mich an.

      „Was hast du denn für ein Gestell auf der Nase?“, fragte er.

      „Das ist die neue Brille von Ray-Ban“, konterte ich.

      War mir klar, dass man wieder eine blöde Bemerkung über meine Brille machen musste.

      „Wir haben gutes Zeug zum Rauchen dabei“, meinte der andere. „Vielleicht siehst du dann besser.“

      „Wir rauchen nicht“, meinte Nadim.

      „Dann müsst ihr es mal probieren“, meinte der andere wieder.

      „Wir haben keine Lust“, sagte ich.

      Der auf dem Beifahrersitz drehte einen Joint und zündete ihn an. Er nahm zwei kräftige Züge und gab ihn dann dem Fahrer. Die waren komplett verrückt, dachte ich mir. Der Fahrer gab ihn wieder dem Beifahrer, der ihn nach hinten hielt.

      „Dann geht es euch besser, ihr seht so angespannt aus“, meinte der Fahrer und blickte in den Rückspiegel.

      Nadim überlegte und nahm den Joint. Er nahm einen Zug und gab ihn mir. Ich überlegte und dachte mir, na, ein Zug konnte nicht schaden, vielleicht würde ich dann lockerer. Ich zog etwas zu heftig daran und bekam gleich einen Hustenanfall. Dann gab ich den Joint wieder nach vorne. Als der Beifahrer ihn uns wieder nach hinten gab, lehnte ich dankend ab. Dieses Zeug verwirrte mich. Ich wollte so schnell wie möglich wieder aus dem Auto hinaus. Bekam ich jetzt einen Horrortrip? Nein, beruhige dich, sagte ich zu mir selber. Wir sind ja gleich da. Nadim saß ganz locker und entspannt da. Wie konnte er nur so locker und entspannt dasitzen? Wir hatten noch fünf Kilometer, die mir vorkamen wie hundert Kilometer, und ich hoffte, dass wir heil ankamen. Wir rasten die letzten fünf Kilometer weiter, und jedes Mal, wenn der Fahrer ein Auto überholte, sah ich mich schon an einem Baum kleben. Als wir endlich da waren, gab uns der Beifahrer noch seine Telefonnummer und meinte, wenn wir mal was bräuchten, dann sollten wir ihn anrufen.

      Der Fahrer hielt so einen Brocken vor uns hin.

      „Fünfzig Mark“, meinte er.

      „Wir haben nicht so viel Geld dabei“, meinte Nadim.

      Ein Dealer auch noch, dachte ich mir. Der wollte uns wohl abhängig machen. Jetzt reichte es, ich wollte hinaus. Ich brauchte dringend frische Luft, denn das ganze Auto stank nach dem Zeug. Man wurde ja schon von der Luft high. Wieso war Nadim so gelassen?

      Der Beifahrer brach das Stück durch.

      „Zwanzig Mark“, meinte er.

      Nadim zog zwanzig Mark aus der Tasche, nahm das Stück und gab das Geld den Typen.

      Ich war stinksauer, machte die Tür auf und stieg aus. Nadim wechselte noch ein paar Worte mit den Typen und stieg auch aus. Die Typen rauschten endlich ab. Ich stellte mir vor, wie ich alleine mit diesen Typen mitgefahren wäre. Alle möglichen Horrorvisionen stiegen mir in den Kopf.

      „Wieso hast du das gekauft?“, fragte ich Nadim.

      „Damit sie Ruhe geben“,