Giovanna Lombardo

Galan


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bestanden aus rubinrotem Samt.

       Am Tisch saßen zwei Männer, die sich unterhielten. Plötzlich fing mein Herz an, wie wild zu klopfen. Ich fühlte es, ich wusste es, einer der beiden Männer musste Jeremia sein.

       Warum reagierte ich so sehr auf ihn?

       Ich näherte mich, stellte mich neben die sitzenden Männern und erkannte Jeremia, der mit einem älteren Mann sprach. Dieser Mann war kein Krieger, auch wenn seine stolze Haltung erkennen ließ, dass er einmal einer gewesen sein musste. Er trug, wie ein Herrscher, eine Robe aus dunkelblauem Samt. Der Kragen und die Knopfleisten waren mit Goldfäden durchzogen, die goldenen Knöpfe mit leuchtenden Rubinen besetzt. Er hatte einen weißen Bart. Seine kurzen Haare, die mal braun gewesen sein mussten, waren größtenteils ergraut. Seine Ohren liefen spitz zu, das kannte ich bereits von den Bewohnern aus der Stadt meiner Träume. War er der Herrscher dieser Stadt, dieses Territoriums? An seinen Augen blieb mein Blick haften. Solche Augen hatte ich noch nie zuvor gesehen. Sie waren wie Eis. Ein helles Blau mit silbernen Sprenkeln.

       Die Kalanten hatten meist grüne oder braune Augen.

       Dann drehte ich mich zu Jeremia um.

       Mein Herz schlug so hart gegen meine Brust, als wollte es zerspringen. Blitzartig musste ich den Atem anhalten. Ich hatte ihn zuvor nur aus der Ferne gesehen, als wir in der schwach beleuchteten Gasse standen und danach durch das Fenster der Taverne, wo er gesessen hatte. Später sah ich ihn in meinen Träumen, als er in der Universität der Stadt mit seinem Kommilitonen lernte, ein anderes Mal beim Kampftraining, das die Krieger auf einem großen Platz ausführten. Mehrfach begegnete ich seinen Kollegen und ihm, als sie durch die Stadt zogen und herumalberten, aber ich hatte ihn bisher noch nie aus nächster Nähe begutachten können. Ich traute mich nie wirklich näher an ihn ran. Warum eigentlich nicht, fragte ich mich jetzt. Wochen über Wochen träumte ich immer wieder nur von ihm. Er war mir schon so vertraut.

       Es schien, als würde er meine Gegenwart spüren. So kam es mir vor oder ich hoffte, dass er es tat. Immer wieder suchte er nach etwas. Das erkannte ich an seinen Bewegungen. Nach mir? Seine Kameraden machten sich lustig darüber, bis er es aufgegeben hatte, ihnen etwas zu sagen.

       Aber was ich jetzt fühlte, als ich ihn nun vor mir sah, konnte ich wirklich nicht in Worte fassen. Mein Körper war wie gelähmt und ich musterte ihn, prägte mir jedes einzelne Detail ein. Er war wunderschön. Einfach alles an ihm war perfekt. Seine Haltung entsprach dem eines stolzen Kriegers, sicher und beherrscht. Jeremia war groß und kräftig gebaut, hatte leicht gewelltes, braunes Haar, das ihm bis zum Nacken reichte. Eine Strähne fiel ihm ins Gesicht. Er hatte makellose, helle Haut, hohe Wangenknochen, eine gerade Nase und wunderschöne, geschwungene Lippen. Und da waren noch seine Augen, die das gleiche Eisblau hatten wie die Augen des Mannes, der ihm gegenüber saß. Sie mussten verwandt sein. Jeremia war schwarz gekleidet und die oberen Knöpfe seines Hemdes standen offen.

       Ich spürte meine Schmetterlinge im Bauch und hatte das Gefühl, als gehöre er zu mir.

       Mein Verstand sagte mir, natürlich musste es so sein. Es war ja auch mein Traummann, mein Wunschgedanke, meine Sehnsucht.

       Die Wirklichkeit sieht oft ganz anders aus, aber warum sollte ich mir einen hässlichen Mann vorstellen, in den ich mich verlieben sollte, wenn ich die Wahl hatte, mir einen schönen Mann auszusuchen? Ich musste schmunzeln. Natürlich ist Schönheit nicht alles - das Innere zählt viel mehr - aber wie könnte so ein edler, ritterlicher und stolzer Mann wie Jeremia, grob, grausam oder sogar böse sein?

      

       Unerwartet hob Jeremia seinen Kopf und blickte in mein Gesicht. Für einen Moment dachte ich, er würde mich sehen. „Ich kann deine Meinung nicht teilen, Vater. Um die Territorien auf unsere Seite zu bekommen, muss es andere Mittel und Wege geben. Sie müssen doch die Gefahr erkennen.“ Jeremia war wütend.

       Sein Vater schaute ihn mit müden Augen an. „Wir haben alle fünf Territorien informiert. Ich bin überall persönlich hingereist und habe mit allen Herrschern gesprochen. Sie hoffen, dass es nicht zu einem Krieg kommen wird. Sie hoffen, dass sie die Capitaner besänftigen können.“

       „Capans Herrscher Netan hat keine Angst vor uns. Er ist ein wahrhaftes Monster und hat seine Armee aufgestockt und aufmarschieren lassen. Seine Krieger könnten jederzeit die Grenzen überschreiten. Und Vater, bedenke, sie sind nicht wie wir. Sie sind grausame Bestien, die neben ihren herkömmlichen Waffen ihre Reißzähne benutzen, um ihre Opfer bei lebendigem Leib zu zerfetzen. Ich habe gesehen, wie ihre Klauen sich durch Fleisch und Rippen bohrten und das Herz eines Gegners aus seiner Brust rissen. Sie sind kaltblütige Barbaren. Unsere einzige Möglichkeit, sie abzuwehren, liegt in dem Zusammenhalt aller sechs Galanterritorien, die gemeinsame Streitkräfte bilden.“

       „Ich weiß, mein Sohn. Fast alle haben die Situation erkannt, nur Herrscher Verson vom Territorium Nalada sträubt sich noch. Da Nalada an der Grenze zu Capan liegt, hat Verson mit Netan ein Friedensabkommen geschlossen. Sie leben seit Tausenden von Jahren friedlich nebeneinander. Verson will die Gefahr nicht sehen und bagatellisiert die Gewalt, die von den Capitanern ausgeht, behauptet gar, Gewalttaten kämen in seinem Territorium nie vor.“

       Einen Moment herrschte Stille. Dann redete sein Vater weiter. „Du weißt, dass sogar die Gefahr besteht, dass Nalada und Capan sich zusammenschließen könnten.“ Jeremia schluckte, während sein Vater fortfuhr.

       „Ja, das wäre entsetzlich. Die Armeen von Nalada und Capan zusammen sind einfach zu stark und uns weit überlegen. Wir müssen Verson umstimmen und Nalada auf unsere Seite bekommen. Wir dürfen auf keinen Fall zulassen, dass sie sich vereinen. Das wäre verheerend. Deswegen bitte ich dich, Jeremia, willige ein in die Verlobung mit Versons Tochter Narissa. Dies ist die einzige Möglichkeit, Nalada zu einem Bündnis mit uns zu verpflichten. Du würdest als Versons Nachfolger den Thron besteigen. Verson ist schon alt. Er wünscht sich, dass seine Tochter einen Mann heiratet, der ihrer würdig ist, und Narissa liebt dich, das weiß ich.“

      

       Ich konnte es nicht glauben. Er gehörte zu mir! Ich fühlte es.

       Was war das für ein absurder Traum?

       Sogar in meinen Träumen drohte eine andere Frau, mir meinem Traummann wegzunehmen.

       „Nein Vater, ich will das nicht. Ich begehre sie nicht und von Liebe kann keine Rede sein.“ Jeremia schlug mit der Hand auf den Tisch.

      

       Uff! Das war eine Erleichterung. Mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich hätte ihn fast verloren, bevor ich ihn überhaupt besaß.

      

       „Wie du willst, mein Sohn, aber denke darüber nach, denn anders werden wir sie nicht überzeugen können. Es ist zum Wohle aller. Lass uns nun zu Bett gehen. Die Ereignisse machen mich alten Mann sehr müde und ich kann mich nicht mehr konzentrieren.“

       Bevor er den Raum verließ, blieb er kurz bei seinem Sohn stehen und legte eine Hand auf Jeremias Schulter. Dann entfernte er sich.

       Jeremia blieb sitzen. Er vergrub sein Gesicht zwischen seinen Händen. Ich konnte seine Verzweiflung spüren. Plötzlich stand er auf und hechtete mit schnellen Schritten zur Tür. Ich folgte ihm. Er schritt mit seinen langen Beinen so schnell voran, dass ich teilweise sogar rennen musste. Während wir zwei weitere Räume durchquerten, hörte ich ihn laut mit sich selbst sprechen. „Wie kann man so etwas von mir erwarten? Sie kennt mich doch gar nicht. Wir sind uns erst ein paar Mal begegnet, schon redet sie von Liebe. Sie ist ein verwöhntes, kleines Biest. Sie weiß doch gar nicht, was Liebe bedeutet. Sie will doch nur ein neues Spielzeug und ihr Vater gibt ihr immer alles, was sie will. Unser aller Leben steht auf dem Spiel, und alles hängt von diesem Weibsbild ab.“