Giovanna Lombardo

Galan


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ein weiteres Kichern, während er mir aufhalf.

      „Hilf mir bitte, die Heuballen rüber zu den Boxen zu bringen“, bat ich ihn.

      „Wird sofort erledigt.“

      Gemeinsam machten wir uns an die Arbeit.

      Ich schwieg die ganze Zeit und Aaron pfiff fröhlich vor sich hin. Nach getaner Arbeit ließen wir uns auf das Heu fallen. Es war schon fast Mittag. Mutter würde uns bald zu Tisch rufen. Während wir erschöpft dasaßen, fragte Aaron neugierig, was ich heute Nacht Schlimmes geträumt hätte. Aaron wusste über meine Träume Bescheid. Er war der Einzige, den ich eingeweiht hatte. Er war immer ein guter Zuhörer und er versuchte, mir zu helfen, die Träume zu verstehen. Ich informierte ihn über meinen gestrigen Traum, ließ aber die Sache in Jeremias Zimmer aus. Dies brauchte er nicht zu wissen.

      „Was denkst du?“, fragte ich stirnrunzelnd.

      „Es ist wirklich seltsam. Ich verstehe, was du meinst mit den Parallelen. Gestern war ich auch sehr überrascht, als Brasne von den Weissagungen der Seherin erzählte. Ich musste sofort an deine Träume denken. Nun träumst du, dass Jeremia der Sohn von Jahred Nahal ist, der Herrscher aus dem Nachbarterritorium Cavalan. Jahred Nahal gibt es. Das wissen wir. Dass er einen Sohn mit dem Namen Jeremia hat, wusste ich nicht, aber wir erfahren ja auch nicht alles. Der Krieg ist vorhergesagt worden und in deinen Träumen sprachen sie auch darüber. Wie gesagt, es ist recht seltsam“, schloss er.

      „Was hat das alles zu bedeuten?“ wollte ich wissen. „Ich bin doch keine Seherin.“

      „Vielleicht hast du eine andere Gabe.“, antworte Aaron.

      „Und welche sollte das sein?“

      „Es gibt Geschichten über Seelenwanderer. Das habe ich in einem Buch gelesen, und Großvater hat mir Geschichten da­rüber erzählt.“

      „Von Seelenwanderern habe ich noch nie etwas gehört.“ Ich wurde hellhörig.

      „Die gibt es auch nicht mehr, zumindest denken das die Leute. Vor langer Zeit gab es Seelenwanderer in allen Territorien. Sie zählten zu den Vertrauten der Herrscher und hatten sehr viel Macht, waren aber auch sehr gefürchtet.“

      „Warum waren sie gefürchtet?“ Ich wollte mehr hören.

      „Nun ja, man erzählte sich, dass, wenn ihre Körper ruhten, ihre Seele wanderte. So beobachteten und belauschten sie die Leute im Auftrag ihrer Herrscher. Mit ihren Informationen konnten die jeweiligen Herrscher Abtrünnige ausfindig machen und sie dann bestrafen oder sogar töten lassen. Die Angst der Menschen wurde so groß, dass sie die Seelenwanderer jagten und ermordeten. Mit der Zeit gerieten Seelenwanderer in Vergessenheit.“

      „Das ist eine sehr traurige und grausame Geschichte, aber ich glaube nicht, dass ich eine Seelenwanderin bin.“

      „Warum glaubst du das?“, wollte Aaron wissen.

      „Weil ich in meinen Träumen nicht beeinflussen kann, wo ich hingehe. Ich habe noch nie zuvor von Jeremia gehört“, erwiderte ich.

      „Das mag sein, aber trotzdem wäre das eine Erklärung für das, was du erlebst.“

      Schweigend saßen wir da. So viele Gedanken schwirrten mir durch den Kopf. Konnte ich eine Seelenwanderin sein?

      Und warum hatte ich noch nie zuvor davon gehört?

      Mein Großvater hatte mir so viele alte Geschichten erzählt, warum nicht diese? So viele Fragen, die ich gerne beantwortet hätte. „Leihst du mir das Buch, in dem du über die Seelenwanderer gelesen hast“, bat ich ihn.

      „Natürlich, du kannst es haben, aber zerbrich dir bitte nicht zu sehr dein hübsches Köpfchen. Es wird einen Grund geben, warum das alles passiert und den wirst du früher oder später ergründen.“

      „Aaron, du brauchst dir keine Sorgen zu machen.“ Ich ergriff seine Hand, um ihn zu beruhigen. Aber meine innere Stimme sagte mir, dass ich insgeheim diese Sorgen teilte.

      Wir hörten Mutter nach uns rufen. Langsam erhoben wir uns und kehrten zum Haus zurück.

      Beim Mittagessen unterhielten sich alle angeregt. Nur ich schaffte es einfach nicht, den Gesprächen zu folgen. Meine Gedanken kreisten immer wieder um die Seelenwanderer.

      Nach dem Essen überreichte Aaron mir auf seinem Zimmer das Buch. Jetzt brauchte ich ein stilles Plätzchen, und wie so oft, fand ich die Ruhe auf meiner kleinen Holzbank am Brunnen bei meinen Blumen im Garten.

      Kapitel 3

      Die Sonne schien warm vom Himmel, während ich auf der Bank saß und in dem Buch las. Es müssen Stunden vergangen sein, die Sonne hatte bereits ein sattes Rot angenommen, als ich plötzlich meinen Namen rufen hörte. Es war Calena. „Da bist du ja. Ich habe dich schon überall gesucht.“ Sie lachte mich an und umarmte mich stürmisch. Ich drückte sie fest an mich. Ich war froh, sie zu sehen. Sie trug einen mit Lilien bestickten, violetten Rock und dazu eine fliederfarbene Bluse mit Puffärmeln. Ihr Haar fiel in üppigen langen Wellen über ihren halben Rücken. Sie sah wunderschön aus.

      „Gibt es etwas zu feiern, du bist so elegant gekleidet?“, wollte ich wissen.

      Sie stand mir gegenüber und strahlte wie die Sonne. „Brasne war bei meinem Vater und hat um meine Hand angehalten, und mein Vater hat eingewilligt.“

      Wir fielen uns in die Arme. Ich freute mich so sehr für die beiden. Meine Augen füllten sich mit Freudentränen. Endlich hatten sie es geschafft. Ich mochte Calena sehr, sie war für mich wie eine Schwester. Wir lösten uns voneinander.

      Mir fiel ein, dass sie eigentlich noch abwarten wollten, weil die Seherin ein Unheil prophezeit hatte. „Wolltet ihr nicht noch warten?“

      Calena nickte. „Ja, das wollten wir. Aber wie lange hätte das gedauert? Es könnten noch Jahre vergehen, bis das eintrifft, was die Seherin gesehen hat. Heute Mittag sagte Brasne plötzlich, dass er keine Sekunde länger warten will und ging geradewegs zu Vater. Ach Isma, ich bin so glücklich. Das ist der schönste Tag in meinem Leben. Komm, lass uns ins Haus gehen. Brasne wartet schon auf uns. Er möchte, dass wir es allen gemeinsam sagen.“ Sie zog mich von der Bank hoch und wir hüpften freudig erregt ins Haus.

      Dort warteten schon alle auf uns. Sie unterhielten sich leise. Aaron kniete vor dem Kamin und war damit beschäftigt, das Brennholz zu entzünden. Es wurde langsam dunkel. Die Sonne war fast verschwunden und am Himmel schimmerte bereits die blasse Mondsichel.

      Brasne stand an der Türschwelle. Seine Nervosität war ihm deutlich anzusehen. Als er uns sah, zwinkerte er mir zu und nahm Calena in die Arme. Ich setzte mich zu Aaron an den Kamin.

      Brasne begann zu sprechen: „Calena und ich möchten euch etwas mitteilen.“

      Plötzlich war es mucksmäuschenstill. Alle blickten gespannt auf Brasne und Calena.

      „Ich habe um Calenas Hand angehalten und ihr Vater hat eingewilligt. Wir wollen so schnell wie möglich heiraten.“

      Dann sprangen wir alle gleichzeitig auf.

      Mutter war die erste, die das Paar in die Arme schloss. Sie weinte vor Freude. „Ich bin ja so glücklich. Endlich hat einer meiner Söhne eine Frau gefunden. Ich hatte wirklich die Hoffnung schon aufgegeben.“

      Brasne lächelte schief, doch Calena und Mutter lagen sich bereits in den Armen.

      Vater drückte fest Brasnes Hand. „Ich bin stolz auf dich, mein Sohn.“ Und an Mutter gerichtet meldete er: „Ich möchte sie auch mal umarmen.“ Langsam löste sich meine Mutter von Calena. Nun nahm mein Vater Calena in die Arme. Von der Seite erhaschte ich einen Blick auf ihn. Auch er hatte Freudentränen in den Augen. Aaron, Theran, Talon, Jazem und Casper nahmen reihenweise Brasne und Calena lachend in die Arme. Alle waren so glücklich und zufrieden. Was für ein Glück die beiden doch hatten!

      Ungewollt schob sich Jeremia in meine Gedanken. Es wäre schön, mit ihm zusammen zu sein, hier bei meiner Familie.