Giovanna Lombardo

Galan


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nach.“ Mit diesen Worten stand er auf und stellte sich hinter mich, um mir sanft über die Schultern zu streicheln. Kurz drauf war er weg.

      Mühsam rappelte ich mich auf und schleppte mich zurück in mein Zimmer. Mir tat alles weh. Mein Kopf fühlte sich irgendwie leer an. Ich zog die Vorhänge vors Fenster. Im Halbdunkeln streckte ich mich lang aufs Bett aus, und begann erneut, zu grübeln, über Jeremia und seine Verlobung mit Narissa. Wieder musste ich heulen. Nein, das durfte einfach nicht sein. In meinem Hals entstand ein riesiger Kloß. Übelkeit überkam mich. Ich musste aufhören, darüber nachzudenken. Fest entschlossen, nicht zu träumen, wälzte ich mich von einer Seite auf die andere. In meinem Kopf hörte ich immer wieder den inneren Wunsch, nicht zu träumen. Mit diesem Gedanken schlief ich endlich erschöpft ein.

      Irgendwann wachte ich auf. Es musste schon spät sein, denn in meinem Zimmer war es diesmal stockdunkel. Meine Augen brauchten einen Moment, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen.

      Was war passiert?

      Nach mehreren Wochen hatte ich erstmals nicht geträumt. Der Schlaf war so erholsam. Hatte ich Jeremia verloren? Schnell verdrängte ich diesen Gedanken.

      Warum hatte ich nicht geträumt?

      Dann kam mir ein Gedanke. In dem Buch über Seelenwanderer stand, dass die Frau, wenn sie nicht wollte, dass ihre Seele ihren Körper verließ, sich dies einfach nur wünschte. Dann konnte sie auch durchschlafen.

      Ich erinnerte mich, dass dies auch mein Wunsch gewesen war, bevor ich einschlief.

      Ich war also eine Seelenwanderin … oder doch nicht?

      Ich war so verwirrt und fühlte mich so einsam.

      Sobald ich etwas im Dunkeln sehen konnte, schwang ich mich aus dem Bett, trat ans Fenster und öffnete die Vorhänge. Draußen herrschte Nacht, es regnete. Morgen Abend würden wir Neumond bekommen. Dunkelgraue, dicke Regenwolken verdeckten den Himmel, sodass weder Mond noch Sterne zu sehen waren. Der Wind pfiff um das Haus. Die Fichten vor meinem Fenster wogen hin und her, als würden sie einem Wiegenlied lauschen. Doch plötzlich überfiel mich ein seltsames Gefühl, als würde ich beobachtet werden. Zu meinem Erstaunen beunruhigte es mich nicht. Der Wald der Schleier lag dunkel und geheimnisvoll vor mir. Ich drehte mich zu meinem Bett um und zündete die Kerze auf dem Nachttisch an. Der Raum wurde in ein warmes Licht getaucht. Ein Klopfen an der Tür unterbrach die leere Stille.

      „Isma, Liebes, bist du endlich wach?“, fragte meine Mutter leise von der anderen Seite der Tür.

      „Ja, komm rein, Mama!“

      Mutter öffnete die Tür und betrat das Zimmer. „Wie geht es dir?“, wollte sie wissen.

      „Mir geht es besser. Es tut mir leid, dass ich euch solche Sorgen gemacht habe.“

      „Aaron hat mir alles erzählt, deswegen wollte ich mit dir alleine sprechen.“

      Überrascht schaute ich sie an.

      „Komm, wir setzen uns.“

      Wir nahmen auf der Bettkante Platz. Sie strich mir mit ihrer linken Hand liebevoll über das Haar und schaute mich traurig an. „Ich hatte gehofft, dass es dir erspart bleiben würde, aber jetzt, da Aaron mir von deiner Vermutung erzählt hat, weiß ich, dass es nicht sein wird. Dein Vater und ich hüten ein Geheimnis, mit dem wir euch nicht belasten wollten.“

      Verwundert und mit einem Fragezeichen auf der Stirn blickte ich sie an. Was meinte sie damit?

      Aber sie sprach schon weiter. „Ich habe die Gabe von meiner Mutter und sie hat es von ihrer Mutter. Da es manchmal Generationen überspringt, hielten wir es nicht für nötig, dich damit zu belasten. Wir haben gehofft, es würde dich nicht treffen. Nun weiß ich, dass es nur Wunschdenken war. Wir mussten es geheim halten, weil viele Menschen es nicht verstehen und wir ihnen Angst machen.“

      Was wollte sie mir sagen? Langsam überkam mich der Verdacht, aber ich ließ sie weitersprechen.

      „Schatz, ich bin eine Seelenwanderin, genau wie du eine bist!“

      Nun spielte in mir alles verrückt. Hatte ich sie richtig verstanden? Meine Mutter sah die Panik, die mich überkam. Schnell nahm sie mich in den Arm und drückte mich, wie es nur eine Mutter mit ihrem Kind konnte. Sie wiegte mich in ihren Armen und hauchte mir beruhigende Worte ins Ohr. Ihre Worte klangen gedämpft, als wäre mein Kopf in Watte gepackt worden.

      Die Wahrheit traf mich wie ein Schlag. „Ist das wahr? Ich wusste, dass es nicht nur Träume waren. Es war alles so echt. Jeremia war echt. Die Rede vom Krieg war echt.“ Plötzlich erkannte ich die Grausamkeit in dieser Wahrheit. „Mama, es wird Krieg geben. Menschen werden sterben“, sagte ich geschockt.

      Meine Mutter nickte nur. Tränen standen in ihren Augen. „Ich weiß, aber es gibt einen Grund, warum du diese Gabe besitzt. Habe keine Angst davor, egal was die Leute sagen werden. Es ist etwas Besonderes, du bist etwas Besonderes. Ich werde dir helfen, alles zu verstehen und dir beibringen, wie du damit umgehen kannst“, versprach sie mir.

      „Aber ich verstehe nicht, warum ich immer wieder zu Jeremia gelange, wenn ich einschlafe. Ich kannte ihn vorher nicht und wusste nicht einmal, dass er existierte.“

      „Alles hat seinen Sinn. Achte auf die Zeichen, dann wirst du es irgendwann verstehen“, erklärte sie mir verschwörerisch.

      Jetzt stieg mir die Röte ins Gesicht. Die peinliche Erkenntnis, dass Aaron ihr von Jeremia und mir erzählt hatte, war mir recht unangenehm. „Hat er dir wirklich alles erzählt?“, fragte ich beschämt.

      Meine Mutter lächelte. Sie schien zu wissen, was ich dachte. „Liebes, deine Gefühle sind ganz normal. In deinem Alter ist es nun mal so, dass man sich zu Männern hingezogen fühlt. Es ist in Ordnung.“ Mutter drückte mich noch einmal ganz fest. Dann löste sie sich von mir. „Isma, wir sprechen später noch mal darüber. Ich muss nun das Essen vorbereiten. Die Männer werden bald mit Bärenhunger von der Arbeit kommen. Mach dich bitte frisch und komm dann runter, um mir zu helfen!“

      Sie verließ mein Zimmer.

      Mutter war also eine Seelenwanderin, und ich hatte ihr Gen geerbt. Es gab noch so vieles, über das ich nachdenken musste, aber dafür blieb jetzt keine Zeit. Mein Leben wurde langsam interessant, aber auch gefährlicher.

      Was stand meinem Volk, meiner Familie und mir bevor?

      Was würde Jeremia tun?

      Und was hatte Netan, der Herrscher von Capan, vor?

      So viele Fragen, die nach Antworten suchten.

      Und nicht alle würden mir gefallen.

      Kapitel 5

      Am nächsten Tag. Nach dem Gespräch am vorherigen Tag mit meiner Mutter war nichts Besonderes mehr passiert. Während des Abendessens hatten wir über belanglose Dinge gesprochen. Mein Problem mit der Seelenwanderung wurde nicht erwähnt. Mutter wollte erst mit Vater darüber sprechen, bevor wir es dann meinen Brüdern mitteilen wollten. Das war mir sehr recht, denn ich selbst musste es erst begreifen und verarbeiten. Nach dem Abendessen spurtete ich direkt in mein Zimmer und setzte mich an den Schreibtisch. Ich holte mein Tagebuch heraus, um die Neuigkeiten festzuhalten und mir meine Sorgen von der Seele zu schreiben. Indem ich meine Erlebnisse niederschrieb, konnte ich sie am besten verarbeiten. Ich hatte sehr viel zu schreiben. Stunden später überkam mich wieder eine Müdigkeit, die sich wie Nebel über meine Gedanken legte. Ich gähnte und beendete den letzten Satz, bevor ich das Tagebuch zuklappte. Schließlich machte ich mich bettfertig und krabbelte unter die Decke.

      Jeremia musste die Nacht ohne mich auskommen. Natürlich wollte ich ihn sehen, aber ich befürchtete, dass ich etwas sehen könnte, was mir missfiel. Allein der Gedanke, Jeremia mit Narissa zusammen zu sehen, versetzte mich in Panik. Ich wollte nicht noch einmal verletzt werden.

      Also nahm ich mir vor, nicht meinen Körper zu verlassen. Und so sollte es dann auch sein.

      Am nächsten Morgen schnellte ich noch vor Sonnenaufgang